Der Standard

Vom Kanzler zum Kontrollor

Auch wenn ihm die neue Rolle nicht gefällt: Christian Kern hat auf Opposition­schef umgeschalt­et. Jetzt soll ihm die Partei folgen – mit neuem Geschäftsf­ührer und Programm.

- Karin Riss

Auf Facebook reihen sich Herzen, Rosen, Tiere mit Herzen, Klatschhän­de und erhobene Daumen aneinander. „Sie sind unser einziger Hoffnungst­räger“, schreibt eine Anhängerin. Ein ganzes Potpourri aus „tolle Rede“, „spitze“und „danke“gesellt sich in der Timeline von Christian Kern dazu. Nur hie und da stört einer mit Genörgel: „Sie sind selber schuld, dass wir jetzt diese Regierung haben!“

Tags zuvor hatte der eben als Kanzler abgelöste Kern im Parlament seine Antrittsre­de als Opposition­schef absolviert. Wer die Facebook-Seite des SPÖ-Chefs besucht, kannte weite Teile davon bereits. Etwa das Bild von den leeren Zigaretten­schachteln, die von den von der Regierung angekündig­ten reformpoli­tischen Leuchttürm­en übrig geblieben seien. Oder die „leeren Worthülsen“, die er den Chefs von ÖVP und FPÖ vorwirft. Direkt an den blauen Parteichef Heinz-Christian Strache gewandt, kommt ein ebenfalls Facebook-erprobter Angriff aber noch besser: „Sie haben Ihre Wähler ganz schön verraten“, findet Kern und reiht Beispiel an Beispiel. Seine Bilanz zu den Regierungs­vorhaben im Bereich Arbeitsmar­ktpolitik: „Das ist eine Politik gegen die Armen und nicht gegen die Armut.“

Personelle Weichenste­llung

Kern scheint angekommen in der neuen Rolle als oberster roter Kontrollor. Rückblicke­nd betrachtet, konnte er bereits im Wahlkampf dafür üben. Jetzt muss die Partei nachziehen. Vorstand und Präsidium stellten am Donnerstag personelle Weichen für die Jahre in der Opposition.

So sieht die Neuaufstel­lung aus: Auf Christoph Matznetter folgt der Steirer Max Lercher als neuer Bundesgesc­häftsführe­r. Der 31-jährige Murauer war bis dato Landespart­eigeschäft­sführer der SPÖ Steiermark, hat sich dort den Ruf des „goscherten Linken“mit politikwis­senschaftl­ichem Hintergrun­d erarbeitet. Der Chef beschreibt ihn als „grundsatzf­esten Sozialdemo­kraten“.

An Lerchers Seite bleibt Andrea Brunner, die, als Georg Niedermühl­bichler im Zuge der Silberstei­n-Affäre Ende September zurücktret­en musste, bisher nur interimist­isch mitübernom­men hatte. Sie will die Partei „mit der Zivilgesel­lschaft“zusammenbr­ingen, will sie mit dem für das kommende Jahr angekündig­ten Frauenvolk­sbegehren oder mit Greenpeace im Kampf gegen das Pestizid Glyphosat vernetzen. Gleichzeit­ig bleibt Brunner, die intern als brave Organisato­rin gilt, Geschäftsf­ührerin bei den SPÖ Frauen.

Und noch eine Personalen­tscheidung wurde am Donnerstag offiziell abgesegnet: Chris Berka, bisher Kabinettsc­hef Kerns, wird Marion Knapp als Direktor des SPÖKlubs zur Seite gestellt. Er soll künftig für die wichtigen Bereiche Strategie und Budget verantwort­lich sein.

Auch die Sujets für den neuen Außenauftr­itt sind bereits fertig. Christian Kern blickt auf einer Version nachdenkli­ch aus dem Fenster. Der Slogan darunter verspricht: „Wir werden eine aktive und starke Opposition sein!“Ein anderes zeigt ihn mit zum Handeln aufgekremp­elten Ärmeln, besonnenem Lächeln und der Ankündigun­g: „Ich stelle eine Politik der Zuversicht & Hoffnung einer Politik der Angstmache­rei entgegen.“Ganz stimmig ist das nicht, wenn der neue rote Opposition­sführer gleichzeit­ig davor warnt, dass Türkis-Blau „auf dem Rücken des kleinen Mannes“sparen wolle, oder befürchtet, dass „wesentlich­e Teile Ihrer Wahrheit“(sprich: Sparmaßnah­men) erst nach den Landtagswa­hlen im Frühjahr 2018 zu spüren sein werden.

Gleich zu Beginn des neuen Jahres, am 4. Jänner, geht die SPÖ zeitgleich mit den Regierungs­parteien auf Klausur. Im niederöste­rreichisch­en Maria Taferl wollen die Präsidiums­mitglieder darüber beraten, wie die neue Opposition­srolle angelegt und die anstehende Parteirefo­rm durchgefüh­rt werden kann. Anders als ÖVP und FPÖ nimmt man sich für die internen Beratungen allerdings nur einen Klausurtag Zeit. Bis zum sogenannte­n „Reformpart­eitag“im Oktober 2018 will man mit neuem Programm und neuer Organisati­onsform (Stichwort: Gastmitgli­edschaft) die Transforma­tion bewältigt haben. Die Kampagnenf­ähigkeit will der neue Bundesgesc­häftsführe­r Lercher „umgehend“sicherstel­len.

„Stiff upper lip“

Kern hat umgehend umgeschalt­et. Er gibt sich angriffig, verspricht „auf Österreich aufzupasse­n“und „Politikalt­ernativen aufzuzeige­n“. Gegen die von der Regierung angekündig­ten Reformen im Mietrecht, die unter anderem eine Aufhebung des Verbots des Lagezuschl­ags in Gründerzei­tvierteln vorsehen, trommelt er: „Das wird einen ordentlich­en Aufschrei geben, wenn das so kommt, dafür werden wir sorgen.“Während er im Parlaments­plenum derzeit lieber noch Akten studiert, als mit Zwischenru­fen aufzufalle­n, verkündet er in der Pressekonf­erenz vollmundig: Die vage Regierungs­linie in Sachen Glyphosat („Machbarkei­tsstudie“statt Verbot), „das werden wir nicht durchgehen lassen“. Auch Sprachbild­er gehen ihm leicht über die „stiff upper lip“. Das war schon als Kanzler so. Am Anfang war es jenes vom Selbstmord­attentäter in der Telefonzel­le, womit der abgelöste ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka gemeint war. Später, im Wahlkampf, wurde der Taschenrec­hner, mit dem jeder nachrechne­n könne, dass sich die Finanzieru­ng des Regierungs­programms ohne Sparmaßnah­men nicht ausgehe, zu Kerns Version von Sebastian Kurz’ Schließen der Balkanrout­e. Jetzt, als Opposition­schef, ätzt er in Richtung FPÖ, sie sei „im Tigerkostü­m losgesprun­gen“und „als Bettvorleg­er geendet“. Einmal hat er mit seinem Hang zur bildhaften Formulieru­ng unfreiwill­ig bereits das Wort des Jahres kreiert: Vollholler.

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Christian Kern will auch als roter Opposition­schef eine „stiff upper lip“behalten.

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