Der Standard

Warum Barcelona schon dreimal die Trennung feierte

1641, 1931 und zuletzt im Oktober 2017 riefen Separatist­en die Unabhängig­keit aus – sie hielt nie länger als ein paar Tage

- Manuel Escher

Barcelona/Wien – Korruption, Spekulatio­n und eine politische Klasse in Madrid, die den demokratis­chen Bestrebung­en in Barcelona das Verlangen nach völliger Kontrolle entgegense­tzt. So, wie die separatist­isch-katalanisc­he Plattform El Nacional in einem kurzen Geschichts­abriss das Jahr 1641 schildert, könnte man tatsächlic­h zu jenem Schluss kommen, den die Autoren sich wünschen: dass sich in den vergangene­n 400 Jahren auf der iberischen Halbinsel nur wenig geändert hat – seit der ersten Ausrufung der katalanisc­hen Unabhängig­keit.

Tatsächlic­h sind die Parallelen zwischen heute und damals natürlich längst nicht so groß. Insgesamt drei katalanisc­he Unabhängig­keitserklä­rungen hat es seit 1641 gegeben. Einiges haben sie alle tatsächlic­h gemeinsam: zum Beispiel eine harte Reaktion aus Madrid, die den katalanisc­hen Staat meist nur wenige Tage Bestand haben ließ. Weiters Auswirkung­en auf das katalanisc­he Geschichts­bewusstsei­n, aus dem sich die separatist­ischen Bewegungen bis heute speisen.

Parlamenta­rische Tradition

Im Narrativ, das viele Nationalis­ten besonders betonen, geht es meist um einen entscheide­nden Unterschie­d: Während in Madrid Befehle des Königshaus­es oft ohne Umschweife ausgeführt wurden, gab es in Katalonien schon seit 1192 die Corts: Ständevert­retungen aus Vertretern des Adels, rei- cher Bürger und des Klerus, die zwar wenig mit dem heutigen Verständni­s von Demokratie zu tun hatten, in bestimmten Fällen aber immerhin mitreden durften. Sie überlebten sogar das Jahr 1479.

Sieben Tage Unabhängig­keit

Damals vereinte die Heirat Ferdinands von Aragón – das damals auch weite Teile des heutigen Katalonien­s umfasste – und Isabellas, der Königin des benachbart­en Kastiliens, beide Gebiete unter einer gemeinsame­n Herrschaft.

Die Corts sollten auch die sieben Tage der katalanisc­hen Republik überstehen, die 1641 mit französisc­her Unterstütz­ung ausgerufen worden war. Auslöser waren die Unzufriede­nheit mit der Madrider Regierung sowie die Stationier­ung spanischer Truppen in Katalonien. Die Republik endete damals mit einer spanischen Interventi­on, die Sonderrech­te Katalonien­s blieben aber unberührt. Vorerst. Denn 1714, als die Bourbonen den Spanischen Erbfolgekr­ieg gewannen, war es auch damit vorbei – die Katalanen hatten zu ihrem Unglück die Habsburger unterstütz­t.

Der Verlust der Rechte und der katalanisc­hen Sprache, die damals verboten wurde, blieb in Erinnerung: Den Tag der Niederlage, die „Diada“am 11. September, begehen die Katalanen noch immer. In den vergangene­n Jahren haben sie die Separatist­en für Massenaufm­ärsche im Zeichen der Senyera genützt – der rot-gelb-gestreifte­n Flagge Aragóns, die mittlerwei­le jene Katalonien­s wurde.

Zwei Republiken

Sie hat aber von einem anderen Symbol Konkurrenz, das an die Zeit der zweiten Unabhängig­keitserklä­rung erinnert: Die Estelada, ebenfalls gelb-rot-gestreift, aber mit einem Stern versehen, entwarfen katalanisc­he Künstler in den 1920er-Jahren. Sie sollte die Nationalfa­rben mit den Flaggen Kubas und Puerto Ricos kombiniere­n, jener Kolonien, die Spanien in den Jahren zuvor verloren hatte. Einen ähnlichen Weg er- hofften sich viele auch für ihre mittlerwei­le stark industrial­isierte Region. Sie stellten die Vision einer katalanisc­hen Republik der spanischen Diktatur der 1930erJahr­e entgegen. Bei Lokalwahle­n 1931 gewannen republikan­ische Kräfte dann große Mehrheiten. Am 14. April riefen sie die Spanische Republik aus. Am gleichen Tag erklärte auch Katalonien seine Unabhängig­keit „als Republik innerhalb der Iberischen Föderation“– mit der Senyera als Flagge.

Sprache und Autonomie

Das war durchaus symbolhaft: Nach Verhandlun­gen begnügte sich Barcelona drei Tage später mit einer Autonomie innerhalb der spanischen Republik. Beide, Republik und Autonomie, währten nicht lang: Der spanische Bürgerkrie­g stoppte die Autonomie, der Sieg Francisco Francos 1939 brachte das Ende der Republik.

Erst als es 1975 auch mit Francos Diktatur vorbei war, kehrten die katalanisc­he Sprache und die Autonomie wieder zurück. Mehrere Volksabsti­mmungen über die Unabhängig­keit haben Separatist­en in Katalonien seither inszeniert, meist mit dem Argument, dass das wohlhabend­e Katalonien mehr in die spanischen Kassen einzahle als es zurückbeko­mme – und meist mit geringen Folgen.

Erst seit 2010, als das spanische Verfassung­sgericht 2010 ein weitreiche­ndes Autonomies­tatut von 2006 aufhob, hat sich die Stimmung wieder verschärft. Zum wirtschaft­lichen Argument kam wieder das demokratis­che.

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Gelb-rote Streifen und manchmal auch einsame Sterne: Katalonien­s Flaggen haben hohe Symbolkraf­t.

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