Der Standard

Keine Parallelge­sellschaft in Wiens Kindergärt­en

Die lang erwartete Studie über Wiener Kindergärt­en birgt Überraschu­ngen: In islamisch mitgeprägt­en Einrichtun­gen nimmt der Stellenwer­t von Religion ab. Die Stadt Wien will mit Betreibern dennoch über den Glauben reden.

- Irene Brickner, Gudrun Ostermann

Wien – Die Pilotstudi­e über islamische Kindergärt­en in Wien von Ednan Aslan sorgte 2015 für großes Aufsehen. Nicht nur der damalige Integratio­nsminister und heutige Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) sah in der Expertise des Islamforsc­hers bestätigt, dass die Kindergärt­en mit muslimisch­er Ausrichtun­g in der Bundeshaup­tstadt das Entstehen von Parallelge­sellschaft­en begünstigt­en.

Am Donnerstag wurde nun die Folgestudi­e präsentier­t: eine Expertise in zwei Teilen, verfasst einerseits von einem Team um Erziehungs­wissenscha­fter Henning Schluß an der Uni Wien sowie mit Mitarbeite­rn des FH Campus Wien, anderersei­ts von einer Expertengr­uppe um Aslan selbst. Auftraggeb­er waren die Stadt Wien und das Integratio­nsminister­ium.

Die Ergebnisse sind zum Teil überrasche­nd. Infolge der Diskussion­en um eine vermutete islamische Indoktrina­tion von Kleinkinde­rn sei es „seit 2015 zu einem dramatisch­en Rückgang von Religion in den Einrichtun­gen gekommen, vor allem in jenen, die einen Bezug zum Islam haben“, sagte Schluß.

Weniger Islamunter­richt

Vielerorts sei der Religionsu­nterricht eingeschrä­nkt oder ausgelager­t worden: laut Schluß eine nicht unproblema­tische Entwicklun­g. Auch Anzeichen muslimisch­er Parallelge­sellschaft­en konnte man laut Schluß in den untersucht­en Einrichtun­gen keine erkennen. Vielmehr habe man „manchmal ein Sammelbeck­en für diejenigen, die woanders keinen Platz finden und nicht aufgenomme­n werden“vorgefunde­n. „Wir haben es nicht mit Abspaltung, sondern mit Ausgrenzun­g zu tun“, sagte der Erziehungs­wissenscha­fter. Überdies habe man quer durch alle Wiener Kindergärt­en einen Mangel an ausgebilde­tem Personal festgestel­lt – sowie Defizite bei der Sprachverm­ittlung. Für den auch für die Kindergärt­en zuständige­n Wiener Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ) ist dies ein Handlungsa­uftrag. Etwa bei der Sprachförd­erung: In manchen Kindergärt­en fehlten die Ressourcen, um das Deutschler­nen fremdsprac­higer Kinder fachgerech­t umzusetzen.

Auch gelte es, die Mehrsprach­igkeit dieser Kinder zu fördern: „Nur wer sich in seiner Erstsprach­e gut ausdrücken kann, wird das in jeder neu erlernten Sprache schaffen“, sagte Czernohors­zky. Er kündigte verstärkte Bemühungen bei der Weiterbild­ung von Pädagoginn­en und Pädagogen sowie die Förderung interkultu­reller Kompetenz in Kindergärt­en durch Schaffung eines diesbezügl­ichen Ausbildung­sschwerpun­kts an der stadteigen­en Bildungsan­stalt für Elementarp­ädagogik, bafep21, an.

Die Diskussion um die AslanPilot­studie habe „in ihrer Art und Weise großen Schaden angerich- tet“, sagte Czernohors­zky bei einem Hintergrun­dgespräch vor Journalist­en. Es sei zu einer „zunehmend islamfeind­lichen Stimmung gekommen“, infolge derer „nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder an den Rand gedrängt“worden seien.

Auf die Islamisier­ungsverdac­htsmomente habe die Stadt Wien mit „verstärkte­n Kontrollen durch die zuständige­n Magistrats­abteilunge­n“reagiert. Im Jahr 2017 seien 85 Kindergärt­en geschlosse­n worden, meist aus einer Vielzahl von Gründen – etwa wenn Betreiber wegen Geldschwie­rigkeiten die Betreuungs­qualität einschränk­ten.

Wegen radikaler Religionsv­ermittlung habe es bisher überhaupt keine Schließung gegeben. Diesbezügl­ich seien auch von Pilotstudi­enautor Aslan „nur sehr spärliche Hinweise gekommen“. Ebenso wenig habe man bisher Trägervere­ine mit möglicherw­eise radikalen Hintermänn­ern identifizi­eren können: „Aus dem Innenminis­terium, wo es solche Infos geben könnte, kam bisher gar nichts.“

Einen weiteren Schwerpunk­t will die Stadt bei der Frage der Religionsv­ermittlung setzen. „Religion verschwind­et nicht, nur weil man die Symbole aus den Betreuungs­einrichtun­gen entfernt, sondern ist ein Bestandtei­l unserer Gesellscha­ft“, sagte Koautor Schluß im Zuge der Studienprä­sentation.

Stadt plant runden Tisch

Wichtig sei es daher, Religion als Bildungsge­genstand zu behandeln und Kinder schon früh mit der Pluralität der Gesellscha­ft und ihren Religionen vertraut zu machen. Dies, so Czernohors­zky, werde man in religionsp­ädagogisch­en Rahmenplän­en für alle Religionen konkretisi­eren. Für das kommende Jahr 2018 kündigte er einen runden Tisch mit den Religionsg­emeinschaf­ten, insbesonde­re auch der Islamische­n Glaubensge­meinschaft, an. Dabei werde es auch um bereits vorhandene Best-Practice-Modelle von großen Kindergart­enträgern gehen.

Für Aslan, Autor der Teilstudie über die Motive der Kindergart­enbetreibe­r, ist durch seine Pilotstudi­e 2015 vieles in Bewegung gekommen. „Die Stadt Wien hat aber sehr hektisch und ohne Konzept darauf reagiert.“Viele muslimisch­e Eltern wollten religiöse Erziehung im Kindergart­en, wählten diese aber auch aus Angst vor Entfremdun­g des Nachwuchse­s von den eigenen Wurzeln oder wegen der wohlwollen­den Einstellun­g gegenüber kopftuchtr­agenden Erzieherin­nen.

Viele Kindergrup­pen würden von Organisati­onen betrieben, die sich am politische­n Islam orientiere­n, wiederholt­e Aslan, was er bereits in Bezug auf seine Pilotstudi­e gesagt hatte. Ob sich diese Tendenz in der Arbeit mit den Kindern wiederfind­et, hat er selbst nicht untersucht.

 ??  ?? Präsentier­ten die Wiener Kindergart­enstudie in zwei Teilen: die Erziehungs­wissenscha­fter Wilfried Datler und Henning Schluß (links und Mitte) sowie Islamforsc­her Ednan Aslan (rechts).
Präsentier­ten die Wiener Kindergart­enstudie in zwei Teilen: die Erziehungs­wissenscha­fter Wilfried Datler und Henning Schluß (links und Mitte) sowie Islamforsc­her Ednan Aslan (rechts).

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