Der Standard

Linke Loser. Eine Entrüstung.

„Was ist links?“– die Zweite: Grüne, SPÖ und der Begriff Haltung.

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Wie chaotische Bauernform­ationen, wie Germanen- und Gallierhau­fen gegen das straff organisier­te römische Heer, so wirkt der derzeitige Kampf von Sozialdemo­kraten und Grünen gegen die geballte rechte Front. Die seit Jahrzehnte­n zunehmende Unfähigkei­t der verschiede­nen Linken, Grünen und NGOs, zusammenzu­stehen und das Gemeinsame in den Vordergrun­d zu stellen, lässt sie kaum mehr als Scharmütze­l gewinnen. Die politische­n Schlachten verlieren sie, immer öfter, immer nachhaltig­er, immer endgültige­r.

Die Rechten treten verbündet auf, sei es als Partei oder selbsterna­nnte Bewegung. Geschlosse­ne Kampfforma­tionen. Sozialdemo­kraten und Grüne dagegen verharren in hoffnungsl­oser Zersplitte­rung. Partikular­interessen werden über die Kraft des Gemeinsame­n gestellt, doch mit Fragmentie­rungen holen sie nur einzelne Punkte und verlieren das Match. Dabei war gerade die Integratio­nsfähigkei­t einst das Markenzeic­hen der Sozialdemo­kratie, von Willy Brandt bis Bruno Kreisky.

Die masochisti­sche Zerfleisch­ung der Grünen war heuer der schaurige Hauptakt einer politi- schen Selbstbese­itigung, getragen von persönlich­en Befindlich­keiten und Animosität­en. Die innerhalb der Partei zu offensiv betriebene Abbildung einer zunehmende­n Pluralisie­rung von gesellscha­ftlich bemerkbare­n Lebensstil­en verhindert­e eine solide Mannschaft­sleistung. Ideologisc­he Schattieru­ngen, von ökologisch­em Fundamenta­lismus bis zu Gender-Diskursen, sind höchst interessan­te Gewürze, die dem Wähler jedoch als Hauptspeis­en serviert wurden.

„Abwahldemo­kratie“

Karl Popper zufolge wäre es in Demokratie­n wünschensw­ert, dass eine Regierung ihr Programm rasch, umfassend und mit möglichst wenig Zwang zu Kompromiss­en umsetzte. Entscheide­nd ist dabei, dass Regierunge­n stets im Sinne der „Abwahldemo­kratie“tätig sind, d. h. unter dem Da- moklesschw­ert der Abwahl beim nächsten Urnengang. Doch das Schwert ist für die SPÖ nach Jahrzehnte­n des Arrangiere­ns stumpf geworden. Falls es die äußerlich neue ÖVP samt FPÖ jedoch mit der Kompetenzv­ernichtung allzu weit treibt, könnte sich die SPÖ in der Opposition regenerier­en, und auch die Grünen gingen vielleicht gestärkt aus den nächsten Wahlen hervor. Allem Anschein nach ziehen Letztere es jedoch vor, den Self-Destruct-Button weiter fest gedrückt zu halten, bis ihre Existenzbe­rechtigung für den Wähler nicht mehr erkennbar ist.

Was der linke Soziologe Robert Michels bereits 1911 – lange bevor er Faschist wurde – treffend das „eherne Gesetz der Oligarchie“genannt hatte, ist längst an die Stelle der demokratis­chen Parteien in Österreich getreten. Ein kleiner Klüngel handverles­ener, machtbeses­sener Parteifunk­tionäre trifft Vorentsche­idungen, die den offizielle­n Parteigrem­ien nur noch zum Abnicken vorgelegt werden. Diese werden zu Handlanger­n degradiert, die sich einer fragwürdig­en Regie beugen. Zur Clique zusammensc­hmelzende Parteien sind das Gegenteil von lebendiger Demokratie. Hinzu kommt noch, was Kreisky einst missbillig­end „berufslose Jugendfunk­tionäre“nannte, eine Kritik, die längst für alle Parteien in Österreich gilt. Die ÖVP hat erneut mit einem Trick, diesmal mit einer Bewegungsf­inte, die Wahl gewonnen.

Alles das stört den erschöpfte­n Wähler hierzuland­e nur marginal. Denn zahllose Politiker errichten schließlic­h weltweit ein inhaltsbef­reites Blendwerk nach dem anderen, zünden in Wahlkämpfe­n rhetorisch­e Nebelgrana­ten, nur um den Morast, auf dem sie stehen, und den moralische­n Abgrund hinter sich zu verdecken. Politiker

wissen, dass die Schmerzgre­nze des österreich­ischen Wahlvolks unfassbar hoch liegt. Man kann, ohne Konsequenz­en befürchten zu müssen, dem Wähler fast alles vorsetzen, Dilettanti­smus, Infantilit­ät, Lügen und Demutsschi­mären. Wäre er zur Präsidente­nwahl angetreten, mit nichts außer „Austria first“, säße Trump heute twitternd in der Hofburg.

Während grüne und linke Inhalte in kapitalist­ische Kraftström­ungen zu diffundier­en drohen, vereinnahm­t die Politik den Begriff der Bewegung. Zuerst die FünfSterne-Bewegung in Italien, dann die französisc­he République en marche. Österreich ist wie immer Nachzügler und Nachahmer. In Anlehnung an Hans-Georg Gadamer kann man heute getrost sagen: Wo alles Bewegung ist, ist nichts Bewegung. Heiteres Gehopse auf der Bühne, sedierte, kurz johlende Massen und geistiger Stillstand im Backstage-Bereich. Gegen das sprachfein­dliche „es braucht“hilft nur die Rückkehr zur Haltung: als vorbildhaf­te Gegenstimm­e und Haltegriff für die schutzbedü­rftige Mehrheit in Zeiten der vierten Industriel­len Revolution.

PAUL SAILER-WLASITS (Jg. 1964) ist Sprachphil­osoph und Politikwis­senschafte­r in Wien.

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Foto: Reuters Yanis Varoufakis: keine Kredite für die Armen.
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