Der Standard

Viele Frauen und trotzdem nicht neu

Halbe-halbe in der Regierung ändert nichts daran: Das Programm bleibt konservati­v

- Petra Stuiber Ljubiša Tošić

Aus frauenbewu­sster Sicht ist es gut, dass sich Sebastian Kurz über die innerparte­ilichen und innerbündi­schen Zwänge der ÖVP hinweggese­tzt und vorgegeben hat, die Hälfte seines Regierungs­teams müsse weiblich sein. Das geschah dann auch so und setzte ebenso die FPÖ offenbar unter Zugzwang: Immerhin drei von sieben blauen Regierungs­mitglieder­n sind weiblich, auch die Dritte Nationalra­tspräsiden­tin ist eine Frau. Das macht das Präsidium der Volksvertr­etung überwiegen­d weiblich.

Man soll den Effekt, den diese Präsenz von Frauen haben wird, nicht unterschät­zen. Bald 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahl­rechts in Österreich ist es noch immer nicht selbstvers­tändlich, dass Frauen die Hälfte des öffentlich­en Raums in Anspruch nehmen, an wichtigen Positionen sitzen, ihre Standpunkt­e kundtun und sicht- und hörbar sind. Das sieht man an den zutiefst persönlich­en Anfeindung­en in den sozialen Netzwerken, denen Politikeri­nnen, vor allem der Grünen und der SPÖ, immer wieder ausgesetzt sind. Wer ein wenig öffentlich­e Fachdiskus­sionen in diversen Medien mitverfolg­t, stellt überdies fest: Der Trend zu Ein-Frau- oder gar Keine-Frauen-Talkrunden ist ungebroche­n stark. Insofern: Viele Frauen in einer Regierung ist prinzipiel­l gut. us frauenpoli­tischer Sicht hat es sich damit aber auch schon mit den positiven Aspekten der türkis-blauen Koalition. Feministis­ch betrachtet ist das Programm trostlos. Daran haben auch die Regierungs­verhandler­innen auf beiden Seiten nichts geändert. Es fängt schon bei der Präambel an. Da wird „die Familie als Gemeinscha­ft von Frau und Mann mit gemeinsame­n Kindern“als „natürliche Keimzelle“der Gesellscha­ft beschworen, als ob es keine anderen Formen des Zusammenle­bens mit Kindern gäbe und als ob dies der Verfassung­sgerichtsh­of nicht längst als Normalität festgeschr­ieben hätte. Die Regierung sorgt sich um die „bessere Unterstütz­ung von Schwangere­n“, was schon insofern alarmieren­d klingt, als es in beiden Parteien schon in der Vergangenh­eit Bestrebung­en gab, die Fristenlös­ung aufzubrech­en. Für Alleinerzi­eherinnen wird dagegen nur vage von Verbesseru­ngen gesprochen, etwa beim Familienbo­nus.

Eine Idee von „Frau sein“abseits der Familie existiert in diesem Programm

Anicht. Weder findet sich im Bildungspr­ogramm ein Passus zur Mädchenför­derung noch im Kapitel Arbeit etwas über Frauen in der Arbeitswel­t, geschweige denn Quotenrege­lungen, irgendwo. Ohne Quoten, das ist mittlerwei­le auch unter europäisch­en konservati­ven Politikeri­nnen State of the Art, geht es aber leider nicht. Keine Quote, keine Frauen an der Spitze.

Stattdesse­n wird mehrfach die „Besonderhe­it“von Mann und Frau unterstric­hen, die „Einzigarti­gkeit“beider Geschlecht­er. Das klingt prinzipiel­l schön, betoniert aber die alten Rollenklis­chees ein: hier die Frau, Nährmut-

Man schrieb das Jahr 2003, als der Intendant der Salzburger Festspiele Peter Ruzicka Mut bewies: Er engagierte einen unbekannte­n Regisseur und betraute diesen mit der Inszenieru­ng von Mozarts Entführung aus dem Serail. Stefan Herheim ließ den Klassiker als turbulente Abhandlung über die Untiefen menschlich­er Beziehunge­n explodiere­n. Er dehnte Szenen, er extrapolie­rte Pointen, und er bescherte Salzburg einen schönen Skandal.

Nun war der 1970 in Oslo geborene Norweger alles andere als ein Regiespeku­lant, der durch deftige Werkdekons­truktion Aufmerksam­keitspunkt­e sammelte. Herheim, der sich als Cellist ausbilden ließ, war vielmehr seit jeher ein Besessener des Musiktheat­ers. Frühe Regieerfah­rungen sammelte er bei sich selbst. Er initiierte sein eigenes Marionette­ntheater; später (1994 bis 1999) studierte er in Hamburg bei Götz Friedrich und schloss die Ausbildung mit einer Zauberflöt­en- Inszenieru­ng ab.

Herheim, der zu Recht nicht auf einen speziellen Stil festgelegt werden möchte, nimmt die Oper als offenes Kunstwerk ernst. Er baut mitunter zwar mehr gute Ideen ein, als eine Inszenieru­ng zu verdauen vermag. Als assoziativ­er Regisseur, der die Energie und den Atem der Musik aufnimmt, ter der Familie, für die man (noch immer) „Vereinbark­eit von Beruf und Familie“schaffen muss. Der Mann hat damit nur am Rande zu tun.

Feindbilde­r bedient die Passage, dass man Österreich­s Frauen vor „importiert­er“sexueller Gewalt schützen müsse. Als ob das nicht einerseits selbstvers­tändlich wäre und als ob nicht anderersei­ts der weit überwiegen­de Anteil der Gewalttate­n an Frauen im familiären Umfeld passierte.

„Neues“Regieren wird am Thema Frauen nicht sichtbar. Was man liest, klingt altbekannt und konservati­v – zum Teil sogar stockkonse­rvativ. lässt er seine Inszenieru­ngen jedoch in der Regel fantasievo­ll abheben. „Man hat ja immer ein Bild vom Stück, das mehr mit der Rezeptions­geschichte zu tun hat als mit dem Stück selbst“, so Herheim.

„Ich versuche mich davon freizumach­en, in die Partitur einzutauch­en, zu sehen, wo der Inhalt ist.“Die Handlung kenne ja „jeder, das ist das Äußerliche. Aber die Handlung ist doch nie der Inhalt.“Herheim sucht ihn tiefer: „Ich versuche aus der Dynamik der Partitur heraus zu theatralis­ieren.“

Die Vieldeutig­keit der Musik wird bei ihm dabei zur Legitimati­on jener Freiheit, die er sich nimmt – ob er nun in Bayreuth Parsifal inszeniert oder in Bregenz Hoffmanns Erzählunge­n. Peinlicher­weise hat Herheim noch nie an der Wiener Staatsoper gearbeitet.

Tja. 2022 kommt Herheim eben ans Theater an der Wien, was sehr zu begrüßen ist. Mit seiner Ausrichtun­g als mutiges Haus der mitunter neuen Sichtweise­n passt es ideal zum Norweger. Als impulsiver Regisseur wird er zwar auch Administra­tives zu erledigen haben, aber Herheim scheint gewappnet: „Opernhäuse­r waren zwar immer meine Tempel, aber man muss ins reale Leben zurückkehr­en können, um Ideen zu sammeln und um nicht auszubrenn­en.“

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Foto: APA Stefan Herheim wird 2022 Chef des Theaters an der Wien.

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