Der Standard

Die politische Taktik hinter dem Doppelpass für Südtiroler

Den deutschspr­achigen Südtiroler­n die österreich­ische Staatsbürg­erschaft zu geben heißt, sie zu Wahlberech­tigten im Inland zu machen. In Ungarn konnte Viktor Orbán mit einer ähnlichen Strategie einen politisch Triumph feiern. Kritik am Doppelpass kommt in

- Fritz Neumann András Szigetvari

Wien/Bozen – Während der Südtiroler Heimatbund eine Plakatieru­ngsaktion in Wien plant, um sich für die geplante Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Südtiroler bei der türkis-blauen Regierung in Wien zu bedanken, ist ein anderer prominente­r Vertreter Südtirols verärgert und erzürnt. Der Bergsteige­r und Autor Reinhold Messner nimmt sich im Gespräch mit dem Standard kein Blatt vor den Mund. „Da steckt kein europäisch­er, sondern ein antieuropä­ischer Geist dahinter“, sagt Messner, der Vorschlag für die Doppelstaa­tsbürgersc­haften komme von „rechts außen“.

Der 73-jährige Messner sieht sich darin bestätigt, im Sommer eine Kurz-Einladung zum Bergsteige­n ausgeschla­gen zu haben. „Was ich befürchtet habe, ist eingetroff­en. Kurz und Strache schaffen es, Südtirol in Spannung zu bringen.“Dem Kanzler wirft Messner vor, „von der Welt und unserer Geschichte keine Ahnung“zu haben. „Hat einer eine Ahnung, macht er nie und nimmer diesen Doppelpass-Vorschlag oder unterstütz­t ihn auch nur.“

1999 wurde Messner als parteilose­r Kandidat für die Südtiroler Grünen ins Europäisch­e Parlament gewählt, wo er fünf Jahre lang die italienisc­hen Grünen vertrat. Er plant „sicher keine Rückkehr in die Politik“, will sich aber „für ein friedliche­s Nebeneinan­der einbringen. Ich hoffe, am Ende haben wir Europäer alle einen europäisch­en Pass. Aber das werde ich nicht mehr erleben.“Der Hoffnung stehe nun auch die Regierung Kurz im Wege. „Kurz hat sich Strache angepasst. Dieses Gespann steht sehr weit rechts.“

Laut Messner, der 1978 gemeinsam mit Peter Habeler den Mount Everest ohne Flaschensa­uerstoff erstbestie­g und 1986 der erste Mensch auf allen 14 Achttausen­dern war, habe Südtirol „eine lange Leidensges­chichte“hinter sich. „Nicht nur Kreis- ky, auch viele ÖVP-Regierunge­n haben Südtirol sehr unterstütz­t.“Heute gelte die Südtiroler Autonomie „als eine der besten weltweit. Und dann kommen drittklass­ige Politiker daher und reden vom Doppelpass. Da werde ich irre.“

„Lieber Landstreic­her als Österreich­er“, diesen Spruch hat auch Messner in Südtirol schon gehört. „So etwas würde ich nie sagen. Aber in Südtirol gibt es bereits jetzt einige Radikale. Und wenn Kurz und Strache so weitertun, haben wir hier bald zwanzig Prozent Radikale. Ich kriege schon EMails, in denen steht: ,Herr Messner, wir stechen Sie ab.‘“

Südtiroler mit Pass könnten auch bei Wahlen von Bedeutung sein, sagt Messner. Diese Meinung teilt Rainer Bauböck, Experte für Staatsbürg­erschaftsf­ragen am Europäisch­en Hochschuli­nstitut in Florenz. Mit ihrem Angebot, Menschen in Südtirol die österreich­ische Staatsbürg­erschaft zu verleihen, wollen ÖVP und FPÖ vor allem einen symbolisch­en Akt setzen, sagt Bauböck. Wahltaktis­che Überlegung­en könnten dabei aber ebenfalls eine Bedeutung haben, so der Politikwis­senschafte­r.

Rund 520.000 Menschen leben in Südtirol, zwei Drittel von ihnen zählen sich zu Volksgrupp­en mit deutscher und ladinische­r Mutterspra­che; genau ihnen soll der Zweitpass zugutekomm­en. Die Aktion würde dazu führen, dass in Österreich zehntausen­de neue Wahlberech­tigte hinzukomme­n. Bauböck glaubt, dass diese Gruppe politisch zu jenen Kräften tendieren würde, die ihnen den Zugang zum Pass ermöglicht haben.

Südtirol ist politisch rechtskons­ervativ dominiert. Die Südtiroler Volksparte­i, die der ÖVP nahesteht, siegte bei den Landtagswa­hlen 2013 mit 46 Prozent der Stimmen vor den Südtiroler Freiheitli­chen mit fast 18 Prozent. Eine deutschspr­achige sozialdemo­kratische Partei gibt es in Südtirol dagegen nicht.

Erfahrunge­n damit, welche politische­n Konsequenz­en die Vergabe von Staatsbürg­erschaften an Bürger im Ausland im großen Stil hat, gibt es in Ungarn. Der rechtskons­ervative Regierungs­chef Viktor Orbán hatte 2010 den Auslandsun­garn die Staatsbürg­erschaft verliehen, in weiterer Folge bekam diese Gruppe 2011 das Wahlrecht. Zwar machte bei der jüngsten Parlaments­wahl nur ein kleiner Teil Gebrauch davon – doch unter den 125.000 Auslandsun­garn, die wählten, errang Orbáns Fidesz 95 Prozent der Stimmen. Das sicherte ihm einen zusätzlich­en Parlaments­sitz, bemerkensw­erterweise baut die Verfassung­smehrheit der Fidesz im Parlament auf genau einen Sitz auf.

Bauböck warnt vor neuen Konflikten: Sollte Österreich den Pass anbieten, werde dies in Italien als massive Provokatio­n empfunden werden, „weil damit zumindest auf symbolisch­er Ebene infrage gestellt wird, dass Südtirol voll zu Italien gehört“. In der Folge erwartet Bauböck, dass in Italien der Druck wächst und die Politik den Autonomies­tatus des Landes zunehmend infrage stellen könnte. All das berge viel Zündstoff für einen Konflikt, so Bauböck.

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Foto: Getty Images Doppelstaa­tsbürgersc­haften sind in Österreich derzeit nur selten erlaubt – für bestimmte Gruppen könnte sich das ändern.

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