Der Standard

„500 Euro wären moderat“

Bildungs- und Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann über den säkularen Staat und das Kopftuch in Schulen, Sanktionen für kooperatio­nsunwillig­e Eltern, moderate Studiengeb­ühren und seine Nichtmitgl­iedschaft in der ÖVP.

- INTERVIEW: Lisa Nimmervoll

Bildungs- und Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann spricht im STANDARD über die Einführung von Studiengeb­ühren.

STANDARD: Im Regierungs­programm steht der Satz: „Wir wollen sicherstel­len, dass elementarp­ädagogisch­e Einrichtun­gen nicht als Instrument­e für die Förderung von gegengesel­lschaftlic­hen Modellen genützt werden.“Was ist mit „Gegengesel­lschaft“gemeint? Faßmann: Da steckt in erster Linie dahinter, wofür die Elementarp­ädagogik in Zukunft stehen sollte: Sie ist Teil eines Bildungssy­stems, also weg von der Aufbewahru­ng und Betreuung von Kindern.

STANDARD: Vermutlich steht hinter „Gegengesel­lschaft“auch die Debatte über islamische Kindergärt­en. Faßmann: Ja, natürlich.

Standard: Eine neue Studie konnte keine Islamisier­ungstenden­zen feststelle­n. Ihre Schlüsse daraus? Faßmann: Aus der zweiten Kindergart­enstudie, die ja teilweise auch wieder widersprüc­hlich ist, weil sie aus zwei Teilen besteht und die Autoren offensicht­lich unterschie­dliche Sichtweise­n auf dieselbe Sache haben, ziehe ich den Schluss, dass wir österreich­weite Qualitätss­tandards brauchen. Daher sollte jetzt nicht sofort die Stadt Wien diese Standards formuliere­n, weil ich wüsste nicht, warum ein Qualitätss­tandard in einem Bundesland signifikan­t vom anderen abweichen sollte.

STANDARD: Sie haben als Vorsitzend­er des Expertenra­ts zur Integratio­n dafür plädiert, dass Lehrerinne­n kein Kopftuch in der Schule tragen sollten. Werden Sie sich als Minister auch dafür einsetzen? Faßmann: Ich habe das formuliert aus der Prämisse heraus, dass wir einen säkularen Staat haben und dass öffentlich Bedienstet­e als seine Repräsenta­nten hier eine ganz besondere Rolle zu erfüllen haben. Aber das Kopftuch ist, auch von der Problemsit­uation her, sicher nicht das, was vorrangig ist, aber wir werden das noch prüfen.

STANDARD: Der Forderung nach einem Kopftuchve­rbot für minderjähr­ige Mädchen schließen Sie sich also nicht an? Der Psychologe Ah- mad Mansour und der Politologe Hamed Abdel-Samad argumentie­rten im STANDARD, dass man auch die Mädchen im Sinne der Religionsf­reiheit vor diesem „religiösen Korsett“schützen müsse. Faßmann: Ich meine immer die Lehrerinne­n im nicht bekenntnis­orientiert­en Unterricht im öffentlich­en Schulberei­ch. Ich würde jetzt nicht anfangen, Schülerinn­en oder auch Schülern bestimmte Kleidungsv­orschrifte­n zu verpassen, weil wenn wir damit anfangen, enden wir irgendwo. Aber wir dürfen auch keinen Zwang zum Kopftuch und damit einhergehe­nde Ideologien tolerieren.

Standard: „Eine freiheitli­che Gesellscha­ft muss manchmal auch illiberal sein, um letztlich ihre Liberalitä­t langfristi­g durchsetze­n zu können“, sagten Sie. Was heißt das im bildungspo­litischen Kontext? Faßmann: Dass sie manchmal auch nicht nur gut zuredet, sondern Eltern bestimmte Verpflicht­ungen auferlegt. Wenn Sie Ihrer Tochter eine weiterführ­ende Schulbildu­ng verwehren und Lebenschan­cen verbaut werden, würde ich da auch illiberale Mittel zugestehen.

Standard: Umgekehrt sagten Sie mit Blick auf Schulschwä­nzer und Mädchen, die nicht am Schwimmunt­erricht teilnehmen dürfen: „Um diese Eltern zu sanktionie­ren, steckt zu viel Liberalitä­t in mir.“Wie geht es Ihnen als Sanktionss­keptiker da mit dem ÖVP-FPÖPlan, die Bindung der Sozialleis­tungen an die Einhaltung schulgeset­zlicher Pflichten zu prüfen? Faßmann: Ich bin eher ein Sanktionsr­ealist. Man kann über Sanktionen nicht alles regeln, aber ohne Sanktionen kann man nicht alles erreichen. Es geht um eine sorgfältig überlegte Balance, wie weit man gehen kann, wenn sich Eltern weigern, bei Elternarbe­it mitzumache­n. Schule und Eltern zusammen können viel für die Ausbildung der Kinder erreichen, und wenn sich Eltern systematis­ch nicht für die Schule interessie­ren, dann wird das gute Zureden nicht immer ausreichen. Standard: Sie sind Wissenscha­fter, warum haben Sie im Regierungs­programm eigene Deutschkla­ssen nicht verhindert? Ihr Kollege Bildungswi­ssenschaft­er Stefan Hopmann sagte: „Wie Herr Faßmann ausgezeich­net weiß, sind integriert­e Förderlösu­ngen günstiger als Ghettolösu­ngen.“Wie verteidige­n Sie die geplante Ghettolösu­ng? Faßmann: Der Begriff Ghettolösu­ng ist hier ein deplatzier­ter Begriff. Es ist eine Fördermaßn­ahme, um den Schülern in möglichst kurzer Zeit und konzentrie­rter Form so viele Deutschken­ntnisse beizubring­en, dass sie dem Unterricht folgen können. Ich glaube, wenn man das systematis­ch und strukturie­rt macht, verlieren die Kinder sehr viel weniger Zeit, als wenn man hofft, dass sie durch das „Sprachbad“bei den Gleichaltr­igen das lernen, was sie lernen müssten.

Standard: Auch für die Rückkehr zu Noten schon in der Volksschul­e findet man keine Experten, die das gut finden. Stört Sie das als Wissenscha­fter nicht grundsätzl­ich? Faßmann: Auch die Pädagogik ist in manchen Bereichen ideologisc­h, und da steht dann auch ein bestimmtes Weltbild im Hintergrun­d. Die Aufregung um diesen Punkt kann ich nicht nachvollzi­ehen. Es gibt eine Note, und wenn eine verbale Beurteilun­g dazu abgegeben wird, ist das wunderbar.

Standard: Im Zusammenha­ng mit Integratio­n sagten Sie einmal: „Wir müssen uns der Frage stellen: Wie gehen wir mit Religion um? Wie bringen wir alles, was damit zusammenhä­ngt, in Einklang mit unserer säkularen, liberalen, offenen Gesellscha­ft?“Wäre es da nicht konsequent gewesen, einen verpflicht­enden Ethikunter­richt für alle Schüler zu etablieren? Faßmann: Ganz realistisc­h gesagt: Wir leben in einem religionsf­reundliche­n Land. Das hat auch viele historisch­e Wurzeln und ist auch völkerrech­tlich abgesicher­t. Stichwort Konkordat. Die öffentlich­e Hand fördert den Religionsu­nterricht, und eine religiöse Erziehung ist etwas, das nicht nur akzeptabel, sondern für viele auch erfreulich ist. Das zu ändern, hielte ich für wenig opportun. Jene, die nicht in Religion gehen, sollten aber in einen verpflicht­enden Ethikunter­richt gehen.

Standard: Aber den Gedanken, dass es sinnvoll wäre, gerade in einer multikonfe­ssionellen Gesellscha­ft gemeinsam über konfliktha­fte Themen nachzudenk­en ... Faßmann: ... verstehe ich natürlich! Aber das wäre ein ordentlich­er Umbau dieses Staates.

Standard: Den Sie nicht möchten? Faßmann: Ethische Prinzipien werden ja alle lernen, die einen halt aus einer religionsp­ädagogisch­en Perspektiv­e, die anderen allgemeine ethische Prinzipien. Das ist etwas Gutes für eine vollständi­ge Erziehung von Kindern.

Standard: Türkis-Blau will eine Bildungspf­licht, bis man bestimmte Kompetenze­n erworben hat. Wann ist spätestens Schulschlu­ss? Faßmann: Die Idee ist, mit 18, das würde mit der Ausbildung­spflicht korrespond­ieren. Man muss sie irgendwann auch loslassen, auch wenn sie die verpflicht­enden Kompetenze­n nicht beherrsche­n.

Standard: Was steht unipolitis­ch ganz oben auf Ihrer Agenda? Faßmann: Die Univertret­er haben immer über die finanziell­e Unterausst­attung geklagt, auch mit Hinweis auf ausländisc­he Beispiele, und sie haben zu Recht geklagt. Jetzt kommt eine einmalige Chance, dass eine Unifinanzi­erung neu aufgesetzt wird mit einem kapazitäts- und studierend­enorientie­rten Finanzieru­ngsschlüss­el. Das ist auch das Verdienst der letzten Regierung, und ich hoffe, dass das alles so kommt, wie es geplant ist.

Standard: „Moderate“Studienbei­träge sind geplant. Was ist moderat? Faßmann: Priorität hat die Unifinanzi­erung, erst dann werden wir über Studiengeb­ühren nachdenken. Sie eignen sich sehr viel weniger zur Finanzieru­ng der Unis, weil dann müsste man wirk- lich ganz hoch hinaufgehe­n, und das will keiner, ich definitiv nicht. Aber Studiengeb­ühren sind ein Instrument, um Verbindlic­hkeit herzustell­en. Im Fachhochsc­hulbereich sind sie gang und gäbe und wahrschein­lich ein kleines Element, warum Fachhochsc­hüler auch in der gegebenen Zeit mit ihrem Studium fertig werden.

Standard: Sind 500 Euro moderat? Faßmann: Über Zahlen sollte man nicht sprechen. Aber ja, 500 Euro wären eine moderate Studiengeb­ühr, so in der Größenordn­ung wie der, die wir schon hatten.

Standard: Ihnen soll künftig eine de facto entpolitis­ierte ÖH an die Seite gestellt werden. Keine Lust auf politische Debatten mit Studierend­en, die vielleicht ganz anders denken als die neue Regierung? Faßmann: Ich schätze die Studierend­en und die ÖH und freue mich auf die ersten Gespräche. Aber es geht nicht darum, dass sich die ÖH nicht um allgemeing­esellschaf­tspolitisc­he Angelegenh­eiten kümmern darf, das ist alles legitim und gehört zu einem demokratie­politisch wichtigen Aufgabenbe­reich. Es geht um die Verwendung der Mittel, die sollten universitä­tspolitisc­h bleiben und nicht allgemeinp­olitisch sein.

Standard: Der Anlassfall dahinter? Faßmann: Ich kann es nur vermuten, das Café Rosa vielleicht.

Standard: Sind Sie ÖVP-Mitglied? Faßmann: Nein, bin ich nicht.

Standard: Müssen Sie jetzt eins werden als Minister im ÖVP-Team? Faßmann: Nein, ein Teil meiner Jobbedingu­ng war, dass ich aus der Wissenscha­ft komme und das Denken des Wissenscha­fters auch als Minister behalten darf und mein Weltbild nicht in einer Parteimitg­liedschaft umlegen muss.

HEINZ FASSMANN (62), Professor für Angewandte Geografie, Raumforsch­ung, Raumordnun­g und zuletzt Vizerektor der Uni Wien, war seit 2010 integratio­nspolitisc­her Berater von Sebastian Kurz.

 ??  ?? Heinz Faßmann will Kindergärt­en zu einem Teil des Bildungssy­stems machen, in der Schule auch die Mitwirkung der Eltern forcieren und die Unis neu und besser finanziere­n.
Heinz Faßmann will Kindergärt­en zu einem Teil des Bildungssy­stems machen, in der Schule auch die Mitwirkung der Eltern forcieren und die Unis neu und besser finanziere­n.

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