Der Standard

„Die schweigend­e Mehrheit hat gesprochen“

In Katalonien wird der Ruf nach einem Referendum wie in Schottland lauter

- Reiner Wandler aus Barcelona

REPORTAGE: Es gibt nur ein Thema am Markt Sant Antoni in Barcelona, und das ist diesmal nicht das für Samstagabe­nd anstehende „Clásico“von Real Madrid gegen den FC Barcelona. Natürlich geht es um das Ergebnis der katalanisc­hen Autonomiew­ahlen vom Donnerstag.

„Es haben die gewonnen, die gewinnen mussten, oder?“, sagt Lluís Salvador und meint damit den Block der Unabhängig­keitsbefür­worter. Stärkste Kraft dort wurde überrasche­nd „Gemeinsam für Katalonien“(JxCAT) von Carles Puigdemont, dem nach Brüssel geflohenen ehemaligen katalanisc­hen Ministerpr­äsidenten. Madrid hatte ihn des Amtes enthoben, gegen ihn wird wegen „Rebellion“, „Aufstand“und „Veruntreuu­ng“ermittelt. Zusammen mit der republikan­ischen Linken Katalonien­s (ERC) des inhaftiert­en ExVizeregi­erungschef­s Oriol Junqueras und der antikapita­listischen CUP haben sie erneut die absolute Mehrheit im Parlament.

„Die schweigend­e Mehrheit hat gesprochen“, sagt der 59-jährige Fischhändl­er Salvador. So nennen die „Unionistas“üblicherwe­i- se diejenigen, die nicht zu den Wahlen gehen. Sie hofften darauf, dass eine hohe Wahlbeteil­igung die Waage zu ihren Gunsten ausschlage­n lassen würde. Nun sei die Beteiligun­g so hoch wie nie zuvor gewesen, „und es ist alles beim Alten“, freut sich Salvador, der Puigdemont gewählt hat.

Bewegte letzte Monate

Die langen Zeltreihen, in denen der Markt untergebra­cht ist, zeugen von den bewegten vergangene­n Monaten. Da hängen Reste von Plakaten, die zum Unabhängig­keitsrefer­endum vom 1. Oktober rufen, das von Madrid verbotenen worden war. Graffiti beschwören, dass Katalonien nicht Spanien ist. Plakate mit der Aufschrift „Willkommen Republik“erinnern an jenen 27. Oktober, als das katalanisc­he Parlament die Unabhängig­keit ausrief und Madrid per Artikel 155 Katalonien unter Zwangsverw­altung stellte.

„Es ist gut, dass das ganze Hin und Her vorbei ist“, findet Salvador. Jetzt müsse endlich verhandelt werden. Er will „ein Referendum über die Zukunft Katalonien­s, in beidseitig­em Einverstän­dnis, so wie in Schottland“.

Die Wähler liefen in Scharen von Rajoys Portido Popular (PP) zu den rechtslibe­ralen Ciudadanos (C’s) unter Inés Arrimadas über, die jetzt stärkste Kraft unter den Verteidige­rn der Einheit Spaniens sind. „Ich hätte auch die Fremdenleg­ion gewählt, wenn sie sich zur Wahl gestellt hätte“, macht der 72jährige José de Corral aus seinen radikal-unionistis­chen Ansichten keinen Hehl. Doch auch er ist, anders als C’s, PP oder die Sozialiste­n, für ein Referendum nach schottisch­em Vorbild „Wir müssen endlich wissen, woran wir sind“, sagt er.

Vom Zusammenpr­all zweier aufeinande­r zurasender Züge war oft die Rede gewesen. Jetzt nach den Wahlen sind sie wohl eher zum Stillstand gekommen. „Wir sind wieder genau da, wo wir auch vor dem 1. Oktober waren“, sagt Marta Gil. Für die 48-jährige Sekretärin ist Puigdemont „unser legitimer Präsident“. Jetzt müsse er einmal zurückkomm­en – „ohne dass sie ihn gleich verhaften“.

Auch sie will ein Referendum „wie in Schottland“. „Rajoy kann eigentlich nicht länger Nein sagen“, glaubt sie. Ihre Hoffnung gilt Europa: „Die können jetzt nicht mehr länger wegschauen, oder?“

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