„Sinfonie der Religionen“in Bosnien-Herzegowina
Im multikonfessionellen Bosnien-Herzegowina beglückwünschen einander Christen und Muslime an Feiertagen. Manche Muslime besuchen sogar die Christmette, die Tradition hat aber seit dem Krieg abgenommen. Das Zusammenleben funktioniert dann, wenn keine Relig
„Wenn Weihnachten war, sind wir immer zuerst zu Boro und dann erst in die Schule gegangen.“Asim P., ein Muslim, kann sich noch erinnern, wie er als Kind in der Herzegowina bei seinem orthodoxen Freund eingeladen war, um Keške zu essen – ein Hühnerfleischgericht. In Bosnien-Herzegowina war die Tradition, die Feste Andersgläubiger mitzufeiern, weit verbreitet. Auch heute noch beglückwünscht man sich per SMS zu Bajram, Ostern, Chanukka oder Weihnachten.
In Bosnien-Herzegowina leben seit Jahrhunderten Muslime, orthodoxe und katholische Christen und Juden nahe beieinander. Das Land ist in diesem Sinne beispielhaft für Europa. Im Schlechten wie im Guten. Seit Nationalisten im Krieg (1992–1995) Angst und Hass streuten und die Religionen national aufgeladen wurden, haben sich die Beziehungen verschlechtert, aber es gibt auch heute Orte und Zeitpunkte, wo man sich näher kommt als anderswo.
Die Koexistenz führt zudem zu unbewussten Imitationen. In Sarajevo kann man heute Christbaumschmuck mit muslimischen Namen kaufen. Auf muslimischen Gräbern sind – wie bei Christen – die Namen auf den Grabsteinen eingraviert, auch Kerzen oder Blumen zu finden, etwas, was Muslime anderswo nicht machen.
Christen gratulieren
Während des Kommunismus erledigten Muslime – wenn die Christen Weihnachten feierten – oft deren Arbeit, damit die Christen freihaben konnten. „Wir haben die Mechanismen des Zusammenlebens gelernt, und wenn die drei, vier Religionen hier feiern, dann partizipieren die anderen“, erklärt der katholische Theologe Ivan Marković. Er ruft zu Weihnachten Imame an, damit sie in die Kirche kommen und den Christen gratulieren, meist tun sie das nach der Predigt.
„Am wichtigsten ist, dass das die religiösen Führer in den lokalen Gemeinden machen, denn dort beten die Menschen, dort ge- schieht Religion.“Marković selbst feiert auch Bajram. „Heuer war ich in der Moschee, und die Muslime freuten sich, weil sie mich im franziskanischen Habit sahen“, erzählt er.
Der Grund für wechselseitigen Respekt komme daher, dass man „Gott im Glauben des anderen“anerkenne, denkt er. Bosnien-Herzegowina habe aber auch ein „negatives Gesicht“. Immer wenn eine Gruppe vorgeherrscht habe, überlegen gewesen sei und versucht habe, die anderen zu ihrem Glauben zu bekehren, hätten die anderen Verteidigungsmechanismen entwickelt, sagt der Mann mit dem grauen Schnurrbart und den freundlichen Augen.
Wenn man daraus lernen kann, dann wohl am ehesten, dass Zusammenleben nur dann funktioniert, wenn keine Religionsgrup- pe dominiert oder missioniert. Der islamische Theologe Muhamed Fazlović, der sich bei seinem Studium an der Gregorianischen Universität in Rom auf das Christentum spezialisiert hat, zitiert eine Koran-Sure, in der Muslime aufgefordert werden, Gemeinsamkeiten mit den anderen zu suchen.
„O Volk der Schrift, kommt herbei zu einem Wort, das gleich ist zwischen uns und euch“, heißt es da. Als „Volk der Schrift“oder „Volk des Buches“bezeichnet man im Islam auch Juden und Christen. Fazlović hat beides, die Bibel und den Koran studiert.
„Der Islam ist die einzige nichtchristliche Religion, die an die unbefleckte Empfängnis glaubt“, erklärt er und verweist auf die „tiefe Verbindung“zwischen den beiden Religionen. Der junge Wissenschafter kennt Priester, die zu den Imamen zum Fastenbrechen (Iftar) während des Ramadans zu Besuch kommen.
Er erwähnt eine Fatwa zu der Frage, ob es für Muslime richtig sei, Christen zu deren Feiertagen religiöse Wünsche zu übermitteln. Der bosnische Rat der Muftis kam kürzlich zu dem Schluss, dass es sich nicht um eine Glaubensfrage, sondern um eine Respektbezeugung handelt, die die interreligiösen Beziehungen fördert. Also empfahl man die Wünsche.
Diaspora kommt
In Sarajevo, einer mehrheitlich muslimischen Stadt, treffen sich am 24. Dezember auch Muslime gegen Mitternacht vor der katholischen Kathedrale. Manche besuchen sogar die Christmette. Weihnachten ist jedenfalls für alle ein Anlass zum Feiern, denn dann kommt die Diaspora aus dem Ausland und man besucht einander.
Und nicht nur im Advent kann man hier sakrale Lieder aller Religionen hören. Der Franziskaner Marković hat nach dem Krieg den Chor Pontanima gegründet, in dem alle konfessionellen Traditionen gepflegt werden. Die Texte sind in Hebräisch, Arabisch, Bosnisch, Altkirchenslawisch, Lateinisch und Ladino – der Sprache der sephardischen Juden.
Marković spricht von einer „Sinfonie der Religionen“. Er setzt auf den „Verfremdungseffekt“, um ungewöhnliche Perspektiven einzunehmen und Stereotype zu brechen. Das geschieht etwa, wenn Pontanima das arabisch-islamische Lied Salla Alejke Allahu vorträgt. „Danke, Allah, du gabst mir diesen zarten, bezaubernden Buben! Bereits in der Wiege hat er alle Neugeborenen übertroffen“, heißt es da.