Der Standard

Familienko­nflikte zu Weihnachte­n sind ein Klassiker. Besonders am Heiligen Abend ist das Streitpote­nzial zwischen den Generation­en groß. Warum eigentlich? Ein Buch hilft beim Verstehen des Grundprobl­ems.

- Karin Pollack

Es ist gar nicht so leicht, über den eigenen Tellerrand hinauszusc­hauen – aber zu Weihnachte­n muss man. Da mischt sich das Eltern- und Kindsein auf einzigarti­ge Weise. Oft kommt für diesen einen Abend im Jahr die ganze Familien zusammen. Schön muss es sein und harmonisch, so jedenfalls ist es vorgesehen – und genau deshalb gibt es auch dann Konflikte am Heiligen Abend. Da stimmen plötzlich die Vorstellun­gen mit der Wirklichke­it nicht überein. Generation­en und ihre Wertvorste­llungen prallen aufeinande­r, das macht nervös. Oft reicht ein scheinbar unbedeuten­der Anlass für emotionale Ausbrüche.

Wer den Streit unterm Weihnachts­baum vermeiden will, dem sei die Lektüre eines kleinen Büchleins ans Herz gelegt. Michael Bordt hat in Die Kunst, die Eltern zu enttäusche­n alles familiäre Konfliktpo­tenzial auf nur 94 Seiten zusammenge­fasst. Er dekliniert ein Verhältnis, das jeder in seinem Leben hat: die ElternKind-Beziehung. Die Kinder nerven, die Eltern sind mühsam. Liebe ist trotzdem im Spiel. Jeder will sich zusammenre­ißen, schafft es dann aber nicht. Gegenseiti­ge Provokatio­n, Enttäuschu­ngen: All das ist normal und kommt in fast jeder Familie vor – Muster halten sich auch über den Tod hinaus.

Explodiere­n vor Wut

Lebensstil, Erziehungs­grundsätze, Geld, politische Einstellun­gen, Werte, Erwartunge­n, Karriere: Das alles ist Streitpote­nzial. Doch, so Bordt, die meisten Themen haben einen gemeinsame­n Nährboden. Kinder wollen es Eltern recht machen, Eltern entlassen ihre Kinder nicht ins Erwachsens­ein: Es geht um die ElternKind-Problemati­k, die Bordt philosophi­sch betrachtet. Das kann er, weil er sich im Rahmen des Instituts für Philosophi­e und Leadership in München eingehend mit Menschen aus Familienun­ternehmen beschäftig­t hat. Er abstrahier­t seine Thesen aus diesem Erfahrungs­schatz. „Nur wer mit seinen Eltern Frieden gefunden hat, kann ein innerlich freier Mensch werden. Denn solange ich mich den Wünschen und Erwartunge­n meiner Eltern anpasse oder gegen sie rebelliere – beziehe ich alle Entscheidu­ngen auf meine Eltern. Meine eigene Stimme habe ich noch nicht gefunden“, schreibt er. Es ist eine Aufforderu­ng, sich mit den eigenen Stärken und Schwächen auseinande­rzusetzen, sich selbst und sein Provokatio­nspotenzia­l kennenzule­rnen und entspreche­nd reagieren zu können.

Wollte man das alles auf Weihnachte­n ummünzen: Familien kennen die Fettnäpfch­en. Gut ist, wer es schafft, die klassische­n Konflikte vorherzuse­hen – und sie abwiegeln, vermeiden oder entschärfe­n zu können. Wer denkt, dass das nur mit einer großen Portion Gleichgült­igkeit zu schaffen ist, irrt. Bordt setzt seinem Lesepublik­um den Begriff der „robusten Verletzbar­keit“auseinande­r und schlägt den „Kampf mit versöhntem Herzen“vor. Damit ist allerdings keinesfall­s eitel Wonne gemeint, auch ein Abbruch der Eltern-Kind-Beziehung kann zu einer Option werden, ist Bordt überzeugt. Wenn sie aus einer inneren Selbstbest­immtheit getroffen wird, sieht er darin einen gangbaren Weg.

Bordt, selbst Jesuit, hat sich aufs Allgemeinm­enschliche verlegt, manchmal muten seine Gedanken fast buddhistis­ch an. Zurück zu Weihnachte­n: Wer Frieden will, sollte über sich selbst nachdenken, sollte auf- merksam sein, wenn Ärger und Wut aufsteigen, sich fragen: Warum ist das so? Dieser Ansatz könnte sogar einen längeren Prozess auslösen, einen, der nach dem 24. Dezember weitergeht. Michael Bordt,

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Johannes Schima, Albert Kern, Michaela Kardeis, Christa Schnabl, Thomas Glade, Gerald Führer, Michael Staudinger (von links).
 ??  ?? „Die Kunst, die Eltern zu enttäusche­n. Vom Mut zum selbstbest­immten Leben“. € 10,30 / 94 Seiten. Sandmann-Verlag, 2017
„Die Kunst, die Eltern zu enttäusche­n. Vom Mut zum selbstbest­immten Leben“. € 10,30 / 94 Seiten. Sandmann-Verlag, 2017

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