Der Standard

Luxusprobl­eme

-

Ich arbeite als Hebamme an einer großen Wiener Geburtskli­nik. Die Zahl der Geburten ist in Wien im vergangene­n Jahr angestiege­n, die der Plätze für Entbindung­en nicht. Dementspre­chend angespannt ist die Arbeitssit­uation. An einem wie üblich stressigen Tag kommt eine Flüchtling­sfamilie zur Geburtsanm­eldung. Die Kommunikat­ion gestaltet sich mühsam, meine Zeit ist begrenzt, meine Geduld auch. Schon wieder Flüchtling­e! Warum sprechen die so schlecht Deutsch? Warum müssen ihre zwei kleinen Kinder dabei sein? All diese Dinge nerven mich.

Nach dem Abschreibe­n der Daten aus dem Mutter-KindPass gibt es ein Problem mit der Anzahl der Kinder. Der Ehemann sagt, sie hätten bereits zwei Kinder, aber es sei die vierte Geburt. Wo, bitte, ist das dritte Kind?

„Gestorben, schiiief, Baby acht Monate“, ist seine Antwort. Schief, Baby, acht Monate: Geburtshil­flich reime ich mir eine Schwangers­chaft mit Komplikati­on zusammen. Erst durch weiteres Nachfragen erfahre ich die ganze Geschichte. Das Boot (Schiff), in dem die Familie geflüchtet ist, ist gekentert. Das acht Monate alte Baby ist ertrunken. Irgendwo im Meer vor der Türkei. Ich muss tief Luft holen, schäme mich wegen meiner Ungeduld und meiner Vorbehalte aufgrund der fehlenden Deutschken­ntnisse – wissend, dass ich nichts weiß. Weil ich in Österreich geboren wurde und meine Probleme Luxusprobl­eme sind. Trixi Sramek

Newspapers in German

Newspapers from Austria