Der Standard

Schöne Bescherung

Manche Dinge verliert man, manche gewinnt man. Der erblindete Blues-Musiker Robert Finley hat eben sein zweites Album veröffentl­icht. „Goin’ Platinum!“könnte ihm eine späte Weltkarrie­re bescheren. Ein kleines Weihnachts­wunder ist es allemal.

- Karl Fluch

Wien – Glänzende Augen unter dem Weihnachts­baum sind nicht nur Kindern vorbehalte­n. Auch große Kinder dürfen sich der Atmosphäre des Weihnachts­fests ergeben, dabei müssen die Augen oft nicht einmal mehr gut sehen können, um zu strahlen.

Robert Finleys Augen leuchten, wenn er spricht, obwohl sein Augenlicht fast erloschen ist. Auf einem ist der Blues-Musiker blind, das andere besitzt gerade noch 40 Prozent Sehleistun­g. Das ist die Folge eines zu spät behandelte­n Grünen Stars. Doch Finley nimmt diese Einschränk­ung demütig an: „Manche Dinge muss man verlieren, um etwas anderes zu gewinnen.“

Robert Finley aus dem US-Bundesstaa­t Louisiana hat eben sein zweites Album veröffentl­icht, es heißt verheißung­svoll Goin’ Platinum!. Es ist sein persönlich­es Weihnachts­wunder. Genau genommen schon sein zweites. Während in seinem Alter die meisten aufhören, fängt er erst richtig an. Finley ist 64. Im Vorjahr hat er sein Debütalbum veröffentl­icht. Der Titel las sich wie ein Manifest: Age Don’t Mean A Thing.

Das bezog sich nicht nur auf ihn als Spätberufe­nen, nein, mit seinen damals 63 Jahren war er der Jüngste im Studio. Seinen Erstling spielte er mit einer Band ein, deren Mitglieder früher bei Superstars wie Isaac Hayes, Aretha Franklin oder Al Green Dienst versahen. Die Mischung ergab Dynamit. Age Don’t Mean A Thing überzeugte mit seiner Soul-Eleganz und der alle Höllenfeue­r durchleide­nden Stimme Finleys.

Genialer Pausenfüll­er

Aufgefalle­n war der amtlich als blind geltende Musiker bei einem Festival. Da fragte er, ob er in der Pause zwischen zwei Bands auf die Bühne dürfe, um ein paar Songs zu spielen. Das war’s. Er begeistert­e das Publikum derart, dass es ihn nicht mehr runterlass­en wollte. So entdeckte ihn die Hilfsorgan­isation Music Maker, die in der Folge sein erstes Album finanziert­e.

40 Jahre lang hatte er auf seine Chance gewartet, spät im Leben bot sie sich ihm, und er ließ sie sich nicht entgehen. Age Don’t Mean A Thing schlug ein. Seither spielt er auf Festivals nicht in, sondern nach der Pause, und sein Publikum wird ständig größer. So wurde Dan Auerbach auf ihn aufmerksam. Der übernahm als kreativer Kopf der Band Black Keys die Rolle des Protegés und produziert­e sein neues Album.

Eine Million Platten

Auerbachs Strahlkraf­t und sein Erfolg sind mit dem seines Lieblingsf­eindes Jack White (The White Stripes …) vergleichb­ar. Nicht nur in den USA sind beide große Namen im Rock-Business. Ob Finleys Album tatsächlic­h Platin erhält, also eine Million Exemplare verkaufen wird, muss im Moment offenbleib­en. Wenn es am Ende doch nur 999.990 sind – an der fehlenden Qualität des Hauptdarst­ellers wird es nicht ge- legen haben: Robert Finley ist ein Naturereig­nis.

Und es gibt ein geneigtes Publikum für Figuren wie ihn. Der heuer verstorben­e Soulsänger Charles Bradley lebte sechs Jahre lang vor, wie man als ähnlich spät Berufener eine Weltkarrie­re hinlegen kann. Dasselbe galt für die 2016 verstorben­e Sharon Jones. Und seit über zwei Jahrzehnte­n leben Musikverla­ge wie Fat Possum oder Anti gut davon, Blues- und Soulvetera­nen einer neue Generation von Fans vorzustell­en. Solomon Burke, Mavis Staples oder Betty Lavette gelangen so zweite Karrieren – mit der Musik, die sie bereits in den 1960ern und 1970ern gespielt hatten.

Gitarre oder Schuhe?

Bei Robert Finley hat es vor 54 Jahren begonnen. Damals verdiente sich Klein-Robert bei seinem Vater 20 Dollar. Der gab ihm den Rat, er möge sich damit etwas Nützliches kaufen, es nicht für Süßigkeite­n ausgeben, nein, Schuhe sollten es werden. Bobby ging also wegen neuer Schuhe in die Stadt. Doch da sah er in der Auslage eines anderen Geschäfts eine Gitarre hängen. „$ 19.95“stand auf dem Preisschil­d, Roberts Schicksal war besiegelt.

Sein Vater war nicht erfreut, doch der Vorstand eines Gospelquar­tetts wollte die Ambitionen seines Sohnes unterstütz­en, solange der keinen gottlosen Blues singen würde. Natürlich tat er genau das, mit allen Anfängerpr­oblemen: In einem Youtube-Video erzählt Finley, wie ihm das Publikum davonlief, wenn er auf den Plätzen seiner Heimatstad­t Bernice spielte. Also meldete er sich für das Freizeitpr­ogramm einer Jugendstra­fanstalt an: „Die konnten ja nicht weglaufen.“

Später musizierte er in der Army – er war in Deutschlan­d stationier­t – und moderierte, wieder zu Hause, mit seinen Schwestern eine Gospelshow bei einem lokalen Radiosende­r. Im Brotberuf wurde er Tischler. Das ging so lange gut, bis der groß gewachsene Mann öfter seinen Finger als den Nagel traf.

Licht statt Dunkel

Doch anstatt im Ruhestand in die Dunkelheit abzugleite­n, lernte er das Scheinwerf­erlicht der Bühne kennen. „Das Gute daran ist, es blendet mich nicht!“In diesem Licht trägt er mitreißend­e Dreiminüte­r vor. Seine Songs heißen Get It While You Can oder Complicati­ons oder Real Love Is Like Hard Time. Es sind mit Augenzwink­ern dargeboten­e Zweideutig­keiten, die einen anhaltende­n Lebenshung­er vermittelt.

Auerbach entwarf dafür eine mehrheitsf­ähige Produktion, die einen gewissen Popappeal besitzt, ohne Finleys natürliche Autorität zu untergrabe­n. Gut, auf die Damenchöre hätte Auerbach ein-, zweimal verzichten können, und anstatt einiger gar lieblicher Gitarrensp­ielereien hätte er Finley lieber selbst ans Gerät lassen sollen. Denn im Unterschie­d zu Age Don’t Mean A Thing spielt Finley auf seinem neuen Album nicht mehr selbst Gitarre, Auerbach hat das übernommen. Deshalb erinnert ein Lied wie If You Forget My Love ein wenig an den sonnigen Sound seines Soloalbums Waiting On A Song. Nachdem das aber wie geschnitte­nes Brot über die Ladentisch­e ging, ist es wohl kein Fehler.

Aber etwas vernachläs­sigt er. Finley ist ein Blues-Sänger. Gut, die Grenzen zum Gospel und zum Soul sind fließend, doch der Blues taucht auf Goin’ Platinum! kaum auf. Ein Lied wie Three Jumpers lässt erahnen, welche Macht Finley in dem Fach besitzt. Three Jumpers kommt am ehesten in die Nähe des Genres. Da hört man im Hintergrun­d die Bandmitgli­eder ekstatisch jauchzen, das Keyboard streut sexy Funk ein, die Gitarre Auerbachs klingt endlich richtig dreckig, kein Chorgesang überzieht diesen aus dem Sumpf gezogenen Song mit unnötigem Süßstoff.

Aber Finley steht da drüber. Ihm merkt man an, dass er sich pudelwohl fühlt. Er braucht nicht den verrückten alten Lumpi zu spielen wie ein Andre Williams, er ist ganz bei sich. Finley ist naturlässi­g. Das bescheinig­t ihm auch Auerbach. In einem Interview erzählte er, wie Finley instinktsi­cher auf alle Ideen im Studio reagierte, aus allem das Beste machte. 40 Jahre lang hat er das bei kleinen Gigs am Wochenende geübt. Heute ist der darin ein Meister: Eine schöne Bescherung.

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