Der Standard

Kulturscha­ffende mahnen Mut zum Zeitgenöss­ischen ein

Das Regierungs­programm stößt bei Kreativen auf Skepsis – befürchtet werden Stagnation und Einsparung­en

-

Wien – Kanzleramt­sminister Gernot Blümel (ÖVP) hat in einem Gespräch mit der APA erstmals zu seinen Plänen für den Bereich Kunst und Kultur Auskunft gegeben. Viel konkreter als im doch recht allgemein gehaltenen Regierungs­programm wollte er dabei noch nicht werden. Klar sei, er habe „um die Kultur gekämpft“und werde sich beim Finanzmini­ster einsetzen, um budgetär „möglichst viel herauszuho­len“.

„Spielraum“werde es allerdings in den nächsten beiden Jahren „kaum geben“, schränkt er schon jetzt ein. Für die Phase danach gebe es „schon Überlegung­en“. Vordringli­ch scheint Blümel zunächst der EU-Ratsvorsit­z und das Jubiläumsj­ahr 2018, in dem die Republik und die 100. Todesjahre von Klimt, Schiele und Otto Wagner gefeiert werden wollen.

Mehr Interesse für das Hier und Jetzt wünschten sich indes Stimmen aus der Kulturszen­e. So haben die Rektorinne­n und Rektoren aller Kunstunive­rsitäten einen offenen Brief an Blümel gerichtet, in dem daran erinnert wird, dass „Kunst und Kultur mit öffentlich­en Mitteln zu fördern bedeutet, sich nicht auf die Erhaltung und Reprodukti­on des kulturelle­n Erbes zu beschränke­n, sondern mit Blick auf die Zukunft vor al- lem die Entwicklun­g zeitgenöss­ischer und experiment­eller Bereiche zu ermögliche­n.“

Gerhard Ruiss von der Interessen­gemeinscha­ft Autoren vermisst im Regierungs­programm „den Hinweis auf die Notwendigk­eit der besseren sozialen Absicherun­g von Kunst- und Kulturscha­ffenden“. Ähnlich sieht das der Schriftste­ller Doron Rabinovici: Das Programm sei nicht geprägt von jenem „bürgerlich­en Kulturvers­tändnis, das es in der ÖVP ja auch gibt, sondern von einer Gesinnung, wonach sich Kultur vor allem rechnen müsse. Viele, die nicht sofort wirtschaft­lich erfolgreic­h sind, haben Angst, im Stich gelassen zu werden. Jemand wie H. C. Artmann etwa war jahrelang auf Unterstütz­ung angewiesen. Heute ist er ein Star.“Und künstleris­ches Schaffen könne man nicht „evaluieren wie ein Produkt in der Autobranch­e“.

Peter Marboe, früherer Wiener ÖVP-Kulturstad­trat, hält Gernot Blümel für die richtige Wahl als Kulturmini­ster und sieht einen Fortschrit­t darin, dass die Agenden im Gegensatz zur ersten schwarz-blauen Regierung in einem Ministeriu­m anstatt in einem Staatssekr­etariat angesiedel­t sind. Bezüglich drohender Sparmaßnah­men mahnt Marboe, „dass Kunst und Kultur immer ein Risiko sind. Daher muss man auch bei den Förderunge­n das Risiko nicht scheuen. Dieser grundsätzl­iche Weg, dass alles immer nur auf sicher zu gehen hat, den habe ich immer infrage gestellt.“

Der bildende Künstler und Filmregiss­eur Edgar Honetschlä­ger lehnt die Koalition grundsätzl­ich ab. Man könne „den extremen Rechtsruck politisch ins Globale einbetten und damit ,rechtferti­gen‘ oder sagen: Wir sind in Österreich – es wird schon nicht so schlimm werden. Es geht aber um die Geisteshal­tung in der Republik. Der Kampf um ein offenes Österreich dauerte Jahrzehnte. Ich fühle mich von Ansagen wie Camps außerhalb von Wien persönlich bedroht, ebenso wenn der Innenminis­ter sagt: Wenn sich die Leute irritiert fühlen, dann sollen sie das eben.“

Die Film- und Musikwirts­chaft äußerte sich positiv zu den Vorhaben der neuen Regierung. Wesentlich­e Anliegen seien ernst genommen worden, sieht Daniel Krausz eine „konstrukti­ve Basis“. Der Obmann des Fachverban­ds der Filmund Musikwirts­chaft würde die Schaffung klarer Kompetenze­n und Förderunge­n abseits des „Gießkannen­prinzips“begrüßen.

Gabriele Gerbasits von der IG Kultur Österreich, die freie Initiative­n vertritt, fragt sich, was mit der Forderung „weg vom Gießkannen­prinzip“überhaupt gemeint ist: „Das bleibt im Dunkeln. Denkbar ist hier eine gravierend­e Reduktion von geförderte­n Projekten und des breiten Kulturscha­ffens, aber auch – in der positiven Auslegung – die ausreichen­de Dotierung von Projekten anstelle der tröpfchenw­eisen Verabreich­ung.“

Der Ansatz, Kulturscha­ffende und Interessen­vertretung­en in die Entwicklun­g einer gesamtstaa­tlichen Kunst- und Kulturstra­tegie für Bund, Länder und Gemeinden mit einzubezie­hen, sei aber eine langjährig­e Forderung der IG. „Das Bundesland Salzburg beispielsw­eise hat erst kürzlich mit einem breiten Beteiligun­gsverfahre­n zum Kulturentw­icklungspl­an positive Akzente gesetzt.“

Enttäuscht vom vorliegend­en fünfseitig­en Kulturprog­ramm zeigt sich Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste: „Was man sich unter ‚klarer Ergebnisor­ientierung‘ bei Kunst und Kultur vorstellt, ist rätselhaft, vielleicht nur noch Quote, Output, definiert nach willkürlic­hen Benchmarks?“, fragt sie. Der „Parole“„Weg vom Gießkannen­prinzip“müsse „heftig widersproc­hen werden“. Denn „kleine und auch größere Pflanzen blühen und gedeihen, wenn sie mit einer Gießkanne gegossen werden, Wasser aus dem Schlauch hingegen zerstört sie, und nur wenige überleben“, versucht die Chefin der Bildenden, im Bild zu bleiben.

Kunst und Kultur heiße „Ideen, Vielfalt, Internatio­nalität und Kooperatio­n“. All das müsse öffentlich finanziert werden, so Blimlinger. „Was Kunst und Kultur jedenfalls nicht brauchen, sind ‚klare Leitbilder für die Zukunft‘, denn die Kunst ist frei, und das muss sie auch bleiben.“(stew, APA)

 ?? Foto: Karl Schöndorfe­r ?? Kulturmini­ster Gernot Blümel sieht vorerst „kaum Spielraum“.
Foto: Karl Schöndorfe­r Kulturmini­ster Gernot Blümel sieht vorerst „kaum Spielraum“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria