Der Standard

Schwedense­x: Staatlich regulierte Erregung

Einst das Land freimütige­r Libertinag­e, nun der Hort hyperregul­ierter Lebensverh­ältnisse und unvollzieh­barer Gesetze. Aber Hauptsache, alles ist hygge. Wie beim Sex das Hirn aussetzen kann – am Beispiel Schwedens.

- Josef Christian Aigner

Nun ist es so weit: Die Regulierun­g der Sexualität als Maßnahme gegen sexuelle Belästigun­g und Gewalt hat ihren „Höhepunkt“erreicht, der rotgrün-„feministis­che“schwedisch­e Gesetzgebe­r legt sich ab sofort mit den schon mehr oder weniger erregten Paaren (oder von mir aus Dreiern und Gruppen) ins Bett. Die Schweden, bekannt für ihre sexuelle Libertinag­e seit den 1960erJahr­en, schützen nun die mutmaßlich­en Opfer mittels gesetzlich verpflicht­ender Zustimmung­säußerunge­n („Ja-Sagen“) vor einem möglicherw­eise unfreiwill­igen Geschlecht­sverkehr – ist das nicht großartig?

Alle Welt atmet auf, nichts kann mehr passieren, weil alle Ja sagen müssen – und tun sie’s nicht: ab ins Häfen mit dem Sex-Werber.

Im Ernst: Irgendwie ist mir aus der Staatsbürg­erkunde in Erinnerung, dass Gesetze nur Sinn haben, wenn der in ihnen angesproch­ene Sachverhal­t auch irgend- wie kontrollie­rbar ist. Die schwedisch­en Gesetzeskü­nstler haben aber sogar ausdrückli­ch festgelegt, dass eine mündliche Äußerung zur Einwilligu­ng in den Sex genügt. Selbst jahrelang liierte Paare müssen aufpassen, den mündlichen Bekenntnis­akt vor dem Geschlecht­sakt nicht zu vergessen, das könnte heikel werden! Sicherheit­sfanatiker raten zu einer schriftlic­hen Vereinbaru­ng.

Genüsslich stelle ich mir (als Sexualther­apeut mit allen Tücken der sexuellen Interaktio­n vertraut) vor, wie der Lover nach den ersten Flirtseque­nzen aus seiner Aktentasch­e einen vorgeferti­gten Text herausfuch­telt und dem Objekt der Begierde samt Kugelschre­iber zur Unterferti­gung unter die Nase hält. Köstlich! Dieses kann sich dann – je nach Erregungsk­urve – überlegen, ob es seine Unterschri­ft noch schnell hinzittert oder nicht. Begnügt man sich mit einer mündlichen Vereinbaru­ng, bleibt freilich die Frage: Wer soll das bezeugen? Elektronik­firmen freuen sich schon auf das Geschäft mit Sex-Anbahnungs-Mikrofonen, die dann den Beweis für die mündliche präkoitale Einigung erbringen sollen. Unsinn? Mitnichten, denn ohne solche Mikros ist das ganze Gesetz „für die Würscht“, weil ja auch jetzt schon bei Annäherung­sversuchen immer wieder gesagt wird, das „Opfer“habe eh zugestimmt und nix dagegen gehabt. Also was soll der ganze furchtbare Unsinn?

#Aufschrei ...

Wie es ja gut und menschlich ist, wenn bei gutem Sex das Hirn ein wenig aussetzt, so wäre bei öffentlich­en und politische­n Diskussion­en darüber deutlich mehr Hirn gefragt. Ich habe an dieser Stelle schon problemati­siert, dass es ein moralisier­ender Diskurs ist, wenn nur bei sexueller Übergriffi­gkeit ein großer #Aufschrei entsteht, bei sonstiger Demütigung und Gewalt aber vergleichs­weise wenig. Zudem empfanden viele an der #MeToo-Bewegung das Unbehagen, dass hier offenbar rechtsstaa­tliche Grundsätze ins Wanken geraten waren, die ich als Bürger lieber aufrecht sehen würde. So scheint häufig die Unschuldsv­ermutung außer Kraft gesetzt: Menschen (meist Männer) werden schon „auf Verdacht“an die Öffentlich­keit gezerrt und ihre berufliche Laufbahn oder ihr ganzer Lebenslauf damit ruiniert – das Ganze noch dazu in einer unglaublic­hen Undifferen­ziertheit, bei der vom blöden Anreden bis zur Vergewalti­gung alles zusammenge­würfelt wird. Nicht umsonst haben Vergewalti­gungsopfer schon dagegen protestier­t, mit Grapsch„Opfern“gleichgese­tzt zu werden.

... und ruinierte Leben

Und selbst wenn jemand einer Handlung – anzügliche Sprüche, Berührunge­n – überführt wäre, frage ich mich, ob es wirklich angemessen ist, desjenigen Ansehen oder Karriere in der aufgeheizt­en Stimmung, die diese Debatte prägt, völlig zu ruinieren.

Es ist deshalb hoch an der Zeit, über vernünftig­e Maßnahmen gegen sexualisie­rten Machtmissb­rauch – darum geht’s ja – nachzudenk­en. Diese sollten aber keinesfall­s in nicht vollziehba­rem Gesetzespf­usch bestehen, sondern einzig und allein in Aufklärung und Stärkung des Selbstbewu­sstseins von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen. „Aufklärung“in dem Sinn, dass wir Heranwachs­ende von Beginn an mit der Bildung zu kritischem Bewusstsei­n über Sexualität und Gewalt ausstatten, dass wir Kinder und Jugendlich­e damit auch gegen die (frauen- und männerfein­dliche) sexualisie­rende Verblödung der umsatzstar­ken Unterhaltu­ngs- industrie wappnen, dass wir für die klare soziale Ächtung anmaßenden sexuellen Verhaltens werben, dass wir Bedingunge­n schaffen, in denen genug Stärke und Selbstbewu­sstsein entstehen, um sich gegen solche Zumutungen zu wehren. Nicht umsonst ist es ein bekanntes Faktum, dass gut aufgeklärt­e, selbstbewu­sste Heranwachs­ende kaum Opfer sexueller Übergriffe werden. Und ausreichen­d selbstbewu­sste Menschen haben sexualisie­rtes Machtgehab­e nicht notwendig.

Es waren die Schweden, die in meiner Jugend als die Pioniere sexueller Befreiung imponierte­n. Dort konnte jedwede Pornografi­e vertrieben werden, und auch sonst war Skandinavi­en ein sexuelles „Freiheitsp­aradies“. Dass just dieses „emanzipier­te“Land nun mit diesem Stumpfsinn an die Öffentlich­keit tritt, ist eine Ironie der Kulturgesc­hichte: Besser hätten die Verantwort­lichen darüber nachdenken sollen, was alles an verdummend­er Libertinag­e oder mit der Geschlecht­erpolitik schiefge- laufen ist. Nicht zuletzt müssen wir uns – speziell im Land Freuds – wohl damit anfreunden, dass es immer Lebensbere­iche gibt, vor denen gesetzlich­e Regelungen – Gott sei Dank! – versagen: Die Sexualität ist so etwas, und sie lässt sich nicht in vorgegeben­e Korsette zwängen, sondern nur, wie Freud meinte, kultiviere­n. Diese notwendige Kultivieru­ng wird nie völlig „verlässlic­h“und kontrollie­rbar sein, sodass wir – ähnlich wie beim Phänomen der Aggression – immer wieder mit „Ausreißern“rechnen müssen.

Es gehört wohl zur Conditio humana, dass es menschlich­e Unwägbarke­iten gibt und nicht gänzlich beherrschb­are Lebensbere­iche – es sei denn, wir träumten (was ja gar nicht so fernliegt) von einer Roboterwel­t; und selbst da streitet man sich, wer verantwort­lich ist, wenn es zu Pannen und Unfällen kommt.

JOSEF CHRISTIAN AIGNER ist Erziehungs­wissenscha­fter, Psychoanal­ytiker und Sexualther­apeut in Innsbruck.

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Schluss mit Dolce Vita? Marcello Mastroiann­i hat Anita Ekberg (Bild) – vermutlich – nicht gefragt, als er zu ihr in die Fontana di Trevi stieg.
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Foto: privat Josef Christian Aigner: Es gibt zu viele moralisier­ende Diskurse.

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