Van der Bellen, eine Enttäuschung?
Kaum ist die Regierung angelobt, hört man Kritik. Am Bundespräsidenten. Zu Recht? Einige Anmerkungen zur Aufgabe, zu den Möglichkeiten und zur jüngsten Performance Alexander Van der Bellens in der Hofburg. Bei der Amtseinführung der neuen Bundesregierung
Der Bundespräsident hat dadurch, wie er seine verfassungsmäßige Aufgabe erfüllt hat, offenbar bei manchen für Enttäuschung gesorgt. „Er hat sich im Präsidentschaftswahlkampf als Bollwerk gegen die Freiheitlichen präsentiert, jetzt sind von ihm nur sehr leise Töne zu hören“, liest man und „Wo ist das versprochene Bollwerk?“. Vereinzelt ist gar von „Verräter“die Rede, und dass er lieber für Neuwahlen hätte sorgen sollen, anstatt diese Bundesregierung anzugeloben.
Große Töne
Große Töne sind es, die da gespuckt werden, aber Empörung und Ratio scheinen hier in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander zu stehen. Schlicht dumme Einwürfe wie der Wunsch nach Neuwahlen, die Alexander Van der Bellen hätte provozieren sollen, sind nicht einmal diskussionswürdig. Ein derartiges Demokratie(un)verständnis wäre ohne Zweifel ein massiver Bumerang geworden.
Aber vielleicht sorgt ein nüchterner Blick auf die Fakten für eine gewisse Annäherung an die Realität. Hauptkritikpunkt scheint zu sein, dass VdB den Blauen sowohl Innen- als auch Verteidigungsministerium „überlassen“hat. Lassen wir einmal die Frage beiseite, welche Ministerien die Kritiker den Blauen denn überhaupt gelassen hätten (ja eh, keine), aber schauen wir uns das genauer an: Der Bundespräsident hat den Oberbefehl über das Bundesheer und ist damit Vorgesetzter aller Bundesheerangehörigen einschließlich des Bundesministers für Landesverteidigung, eines seiner Kabinettsmitglieder ist ein General des Bundesheers. Das ist nicht viel, aber auch nicht nichts. Die Staatssekretärin im Innenministerium, die sich unter anderem um die Korruptionsagenden sowie das Gedenkwesen (z. B. die KZGedenkstätte Mauthausen) kümmern soll, ist eine Erfindung von VdB und kommt von der ÖVP.
Geheimdienste
Es wird kritisiert, dass Geheimund Nachrichtendienste nun in einer Hand seien. Genau deswegen wird ein Rechtsschutzbeauftragter mit erweiterten Berichtspflichten und ebenso erweiterter Zuständigkeit installiert werden. Da sieht doch das Gesamtbild schon etwas anders aus – auch wenn man sich diese Regierung nicht schönzureden braucht und auch wenn man sich ansehen muss, wie sich dieses Gesamtbild in der Praxis entwickelt.
Diverse Ministervorschläge hatte VdB im Zuge der Regierungsbildung laufend mit Kurz und Strache besprochen, zwei in besonderem Maße punzierte FP-Exponenten hat er dem Vernehmen nach abgelehnt. Ja, das Außenministerium haben die Blauen bekommen, allerdings in Gestalt einer Frau ohne blaue Parteikarriere. Der distanzierten Haltung der FPÖ zur EU wurde dadurch Rechnung getragen, dass der Bundeskanzler die EU-Agenden vom Außenministerium zu sich ins Kanzleramt holt, was, wie man hört, vom Bundespräsidenten unterstützt wurde. Das von der FPÖ angedachte „Heimatschutz“-Ministerium blieb eine Gedankenblase.
Ein weiterer Input des Bundespräsidenten für die Vorgespräche der Regierungsbildung waren die Einhaltung der Grund- und Freiheitsrechte und ein starkes Bremsen des populistisch-demagogischen Wunsches nach massivem Ausbau der direkten Demokratie sowie, wie schon seinerzeit von Klestil, das Verlangen nach einem klaren Bekenntnis zu Europa.
Nicht in einer Hand
Was ich aber, gerade als Jurist, viel wichtiger finde als die kritisierte Vereinigung von Innenund Verteidigungsministerium in einer Parteihand, ist, dass es nicht Justiz und Polizei sind, die beide von der FPÖ besetzt werden, wovon ja durchaus auch die Rede war und was dem Vernehmen nach der Bundespräsident mit Energie verhindert hat. Nach wie vor ist die Staatsanwaltschaft eine weisungsgebundene Behörde, dem Justizminister unterworfen. Die Staatsanwaltschaft ist es, in
Thomas Höhne: VdB hat eine weisungsgebundene Staatsanwaltschaft in blauer Hand verhindert. deren Auftrag die Polizei bei gerichtlichen Straftaten tätig wird, und die Staatsanwaltschaft ist es, die die Richtung des Agierens der Polizei vorgibt. Staatsanwaltschaft und Polizei in einer Hand – das mögen sich die Kritiker einmal ausmalen, was das in einer „heißen Situation“bedeuten kann. Ich glaube, es kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, dass Van der Bellen diese Konstellation verhindert hat.
Böse Blicke
Van der Bellen hat aus seinen Möglichkeiten sehr viel herausgeholt, auch wenn seine Kritiker die Klestil’sche „versteinerte Miene“bei der Angelobung vermisst haben mögen. Viel wichtiger, auch konstruktiver, als böse Blicke bei der Angelobung war es wohl, dass Van der Bellen in den Koalitionsgesprächen für ein Klima gesorgt hatte, in dem er nicht a priori als Feind wahrgenommen wurde, sondern als Gesprächspartner, dessen Input man ernst genommen – und auch berücksichtigt – hat.
Was aber ist der unerfüllte Traum der Nicht-Schwarz-BlauWähler, die nun von „ihrem“Bundespräsidenten enttäuscht sind? Dass er Schwarz-Blau hätte verhindern sollen? Dieser Wunsch taugt nicht einmal dazu, vor Weihnachten mit einem Briefchen ins Fenster gelegt zu werden, sondern ist mit einem „Return to sender“Stempel zu retournieren.
Return to sender
Wäre es nicht eher genau deren Aufgabe gewesen, Schwarz-Blau zu verhindern, und sind es nicht gerade Rot und Grün gewesen, die dies erfolgreich vermasselt haben? Dass dies nun an deren statt Van der Bellen hätte erledigen sollen – „wozu haben wir ihn denn gewählt?“–, ist allzu billig. Aber Politik spielt sich ja nicht nur bei Wahlen ab, sondern in erster Linie in der Zeit dazwischen.
Also: Es gibt viel zu tun! Für die Opposition, die vielzitierte Zivilgesellschaft – und auch für UHBP, von dem wir sicherlich in Zukunft des Öfteren klare Worte erwarten werden.
THOMAS HÖHNE (Jahrgang 1953) ist Rechtsanwalt in Wien. Er ist Mitglied des Vorstands des Architekturzentrums Wien und war in derselben Funktion auch im Verein Künstlerhaus, Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs, tätig.