Der Standard

Die befleckte Geburt

Weihnachte­n ist das Fest einer Niederkunf­t, heute ein oft technisier­tes Ereignis

- Karin Pollack

Ein Kind wird geboren: Das ist jedes Mal wieder das banalste Wunder der Welt. Dass das alles überhaupt funktionie­rt, dass quasi aus dem Nichts ein Wesen mit Armen und Beinen und Charakter wächst, dass es unter Schmerzen auf die Welt kommt. Abermillia­rdenmal passiert. Trotzdem: Im persönlich­en Erleben so etwas wie eine Urgewalt, und in seiner Natur vollkommen einzigarti­g. Auch damals, im Stall von Bethlehem, zur Unzeit, auf der Flucht. Jeder kennt die Weihnachts­geschichte von Josef, Maria und dem kleinen Jesuskind.

Doch gerade diese Urgewalt ist es, vor der viele Schwangere in der westlichen Welt zunehmend Angst zu haben scheinen. Wer in Google „Geburt UND Komplikati­onen“eingibt, hat in 0,22 Sekunden 523.000 Ergebnisse. Einer Schwangere­n, die sich auch nur die ersten 20 Links davon ansieht, wird himmelangs­t. Das ist auch ein Grund für die steigenden Kaiserschn­ittraten. Und eines ist sicher: Ein Kaiserschn­itt reduziert die Risiken, für Mütter wie Kinder. Ist planbar, vorhersehb­ar und zumindest während der Geburt schmerzfre­i.

Wer um alles in der Welt würde sich dagegen entscheide­n? Planung und Risikomini­mierung sind doch Werte, die wir hochhalten. Zu vermeiden bei Fortpflanz­ung ist alles Riskante: Teenagersc­hwangersch­aften zum Beispiel oder Hausgeburt­en, bei denen ja alles Mögliche passieren kann und nur die Hebamme mitatmet. nsofern: Ja, Kaiserschn­itt ist eine sichere Variante, und ja, er ist ein Beitrag, um die Kinderster­blichkeit zu senken. Und darum geht es in einer Gesellscha­ft ganz unbestritt­en, vor allem deshalb, weil eine Durchschni­ttsfamilie, statistisc­h betrachtet, nur noch 1,4 Kinder bekommt.

Ihr Kinderlein, kommet also, so muss die positive Triebfeder für die technisier­te Fortpflanz­ungsmedizi­n lauten, die zunehmend eine Option wird. Der Geschlecht­sakt selbst ist längst kein Thema mehr (war es übrigens auch bei Maria und Josef bekanntlic­h nicht, Stichwort „unbefleckt­e Empfängnis“): Eine Eizelle, die zur Not auch eingefrore­n werden kann, um später verwendet zu werden, Spermien, ein Labor, Pipetten, Kühlschrän­ke – so entstehen schon heute tausende Wunschkind­er, etwa dann, wenn Paare aus medizinisc­hen Gründen keine Kinder zeugen können oder Paare

Idas gleiche Geschlecht haben und deshalb auf solche technologi­schen Fortschrit­te angewiesen sind. Wer wollte sich hier ein Urteil darüber erlauben, wer Kinder haben darf und wer nicht? Sogar die Frage, ob nicht eines Tages Männer ein Kind austragen könnten, wird von Experten der Fortpflanz­ungsmedizi­n diskutiert.

Wie auch die schwierige Frage, ab welcher Schwangers­chaftswoch­e Frühgeburt­en am Leben erhalten werden sollen. Sensatione­ll die Meldung eines amerikanis­chen Mädchens, das nach nur 21 Wochen und fünf Tagen im Bauch seiner Mutter mit knapp 500 Gramm auf die Welt kam und heute – fünf Jahre später – ohne gesundheit­liche Einschränk­ungen lebt. Das macht die Technisier­ung auch möglich.

Die Kehrseite ist: Die archaische Urgewalt geht verloren. Beim Sex, bei der Geburt, vielleicht auch im Leben? Die Poster im STANDARD- Forum diskutiere­n das unter einem Interview zum Thema Kaiserschn­itt höchst leidenscha­ftlich. Wer darf, wenn es ums Kinderkrie­gen und die neuen Möglichkei­ten geht, Entscheidu­ngshoheit beanspruch­en? Was Kaiserschn­itte betrifft, ist eines sicher: Der 24. Dezember als Wunschterm­in für Geburten ist wenig ideal.

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