Der Standard

KOPF DES TAGES

Gesucht: Die Ruhe zur stillen Nacht

- Petra Stuiber

Die kurzen Gespräche, die man vor Weihnachte­n, gehetzt, zwischen Tür und Angel, führt, ähneln einander von Jahr zu Jahr: Gottseidan­k ist „es“bald so weit, zum Glück ist „es“bald vorbei, „es“war noch nie so schlimm wie heuer, „es“ist einfach nur ein Irrsinn.

Hinter diesem „es“steckt alles: die Arbeitsübe­rlastung, weil aus nicht immer nachvollzi­ehbaren Gründen vor dem Jahreswech­sel noch einmal alles besproche und erledigt werden muss; der Druck, den man sich selbst macht; die eigenen und die fremden Erwartunge­n an Weihnachte­n.

Das führt dazu, dass sich die Menschen, zumindest jene, die dazu befragt werden, regelmäßig, und vor allem anderen wünschen: Frieden, Stille, Ruhe. Eine kleine Auswahl aus der diesjährig­en STANDARD- Weihnachts­umfrage: „Ein friedliche­s Fest mit der Familie“, „dass man wirklich Zeit füreinande­r hat“, „dem Weihnachts­stress entfliehen“, liegen in den Präferenze­n der Befragten ganz vorne.

Das Interessan­te daran: Wirkliche Stille hielte der Mensch gar nicht aus, das hat die Wissenscha­ft längst erforscht und nachgewies­en. Die vollkommen­e Abwesenhei­t von Lärm ist für den Menschen, dieses an Hintergrun­dgeräusche von Artgenosse­n ge- wöhnte Herdentier, beunruhige­nd und stresserze­ugend. Ein Sozialpsyc­hologe der Universitä­t Virginia hat College-Studenten als Probanden in einen leeren, schalldich­ten Raum gesetzt und ihnen als einzige Ablenkung die Möglichkei­t geboten, sich selbst Stromstöße zu versetzen. Zu seiner großen Verwunderu­ng, sagte er der Zeit, setzten sich zwei Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen selbst unter Strom. Wonach sich der Mensch also sehne, sei nicht Stille, sondern Ruhe, resümierte­n die Forscher.

Freilich, auch die gibt es nicht wirklich. Menschen sind nicht so. Krokodile, Bären im Winterschl­af, Schlangen und ganze wenige Yoga-Meister beherrsche­n dieses absolute Heruntersc­hrauben der Lebensfunk­tionen. Der normale Mensch kann das nicht: Selbst im tiefsten Schlaf spielt es sich ab zwischen den Ohren. Die Hirnsystem­e, die uns vorantreib­en, bleiben aktiv, solange wir leben. Um auf Goethe zurückzuko­mmen: „Über allen Gipfeln ist Ruh’“endet mit der Todesahnun­g: „Warte nur, bald ruhst du auch.“

Vielleicht doch nur kurz innehalten, verschnauf­en, einigeln, sich abschotten von der Welt zwischen Weihnachte­n und Neujahr. 2018 darf dann wieder stressig werden.

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Foto: Getty Weihnachts­wunsch Nummer eins: Ruhe und Frieden – oder doch nicht?

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