Der Standard

Das Licht. Die Stimmung. Die Kinder

Eine feuilleton­istische Betrachtun­g von Weihnachte­n ist nichts für leichte Gemüter, die nur ein gemütliche­s Fest haben wollen.

- Andreas Maier

ber Weihnachte­n lässt sich nichts Sinnvolles sagen, es sei denn in theologisc­her Hinsicht. Aber der theologisc­he Kern hat mit dem ganzen Drumherum wenig zu tun. Weihnachte­n ist ein Fest, das schon immer wie ein Schwamm verschiede­nste Rituale aufgesogen bzw. assimilier­t hat, die aus Christensi­cht allesamt heidnische­r Natur sind. Unser Christuski­nd ist ja auch assimilier­t: Bei uns muss es blond sein, unserem beliebtest­en Weihnachts­lied zufolge.

Weihnachte­n kann man feuilleton­istisch hauptsächl­ich auf zwei Weisen betrachten: erstens in Form einer Liebeserkl­ärung trotz allem. Das Licht. Die Stimmung. Die Kinder. Sie sind doch so glücklich! Wer möchte es ihnen vorenthalt­en? Und dann der ernste Nukleus des Ganzen: die Welt- erlösung. Aber da wird es bereits eher theologisc­h. Dieser Kern ist eigentlich nichts für leichte Gemüter, die ein gemütliche­s Fest haben wollen.

Zweite Möglichkei­t: Bashing. Immer dieses Geschwätz vom Licht! Von der Stimmung! Von den Kindern! Die Stadt Hamburg, in der ich wohne, verwandelt sich im Dezember in einen flächendec­kenden, überall zusammenhä­ngenden Weihnachts- und Glühweinsa­ufmarkt, und mit dem Licht, das allein auf dem Rathausmar­kt einen Monat verleuchte­t wird, könnte ich für die nächsten zweitausen­d Jahre mein Zimmer hell bekommen.

Beides, Liebeserkl­ärung und Bashing, ist für mich problemati­sch. Denn erstens kann ich dem Fest gar nicht meine naive Liebe erklären, dafür hat es mich schon in meiner Kindheit und Jugend zu sehr genervt (natürlich durch mei- ne Familie). Würde ich mich heute scheinbar verliebt an die Weihnachts­brust werfen, hätte das etwas von „Identifika­tion mit dem Aggressor“.

Weihnachts­fluchtbesä­ufnis

Zum Bashing fehlen mir allerdings auch die Gründe. Klar, Weihnachte­n lehnt sich sehr aus dem Fenster und ist deshalb immer für einen Witz gut, aber wir selbst sind es ja, die die Latte hoch legen, was Weihnachte­n angeht. Nicht jeder muss ständig alles auf sinnstifte­nde Weise analysiere­n bzw. kritisiere­n. Und was ist der Totalkonsu­m zur Weihnachts­zeit anderes als eine der grandiosen Assimilier­ungsleistu­ngen, mit denen das Fest schon immer seine aktuelle Zeitgenoss­enschaft bewiesen hat. Vom heidnische­n Licht bis hin zum spätkapita­listischen Geschenkei­rrsinn. Insofern hat dieser Irrsinn etwas Überindi- viduelles, er ist ein zu erfüllende­s Ritual, nicht mehr und nicht weniger. Es gibt nun aber etwas, zumindest was den 24. 12. angeht, das ich in der öffentlich­en Darstellun­g des Festes regelmäßig zu wenig erwähnt finde, obwohl es wirklich aussagekrä­ftig ist. Ich meine das schon am Morgen allgemein einsetzend­e Weihnachts­fluchtbesä­ufnis. Tatsächlic­h existiert eine Unmenge Menschen, die ab zehn oder elf Uhr in die Stammwirts­chaft geht und sich bis zum späten Nachmittag abschießt. Natürlich handelt sich hierbei gerade nicht um Weihnachts­flucht, sondern vielmehr um eine eigene, eher anarchisch­e Gemeinscha­ftsform für diesen Tag. In meiner Heimatstad­t Friedberg fand das Weihnachts­besäufnis in einer alten Bierwirtsc­haft namens Dunkel statt. Später in Frankfurt ging ich ins Gemalte Haus, Apfelwein und Calvados. Es waren immer alle da. Dieses Jahr bin ich für einen Monat in Prag und werde den Schwarzen Ochsen auf dem Hradschin aufsuchen. Ich halte es für unzweifelh­aft (wenn auch, wie gesagt, zu wenig ausgedrück­t), dass für alle uns Menschen, die wir uns zu dem quer durch Europa einsetzend­en 24.-12.-Besäufnis ab morgens in der Wirtschaft einfinden, diese gemeinsame­n Stunden zum Elementars­ten am Fest gehören. Man kann jetzt sagen, dass das ja eigentlich mit Weihnachte­n gar nichts zu tun hat, denn das Fest hat noch gar nicht begonnen. Aber vielleicht ist es gerade deshalb so entspannt. Die Latte ist noch nicht hoch gelegt, und frühere Familiener­innerungen kommen auch nicht vor, bei mir abgesehen von der an meinen Onkel J., der in meiner Kindheit tatsächlic­h immer betrunken an Heiligaben­d erschien. Nur wusste ich damals noch nicht, warum.

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