Der Standard

„Wiedergutm­achung? – Das Wort kann ich schon nicht mehr hören!“

Vor 70 Jahren kam der „Hofrat Geiger“in die Kinos – mit viel inszeniert­em Heimatgefü­hl und einer versteckte­n Botschaft ans Publikum.

- Gerhard Zeillinger

Samstag, 23. Dezember 2017 Standard: Bibliothek? Gibt es eine schönste

Na schon, Schriftste­llerbiblio­theken sind oft beeindruck­end. Ich war leider nie bei Friederike Mayröcker, aber die Fotos ihres Arbeitszim­mers gefallen mir. Und beim Schweizer Schriftste­ller Reto Hänny könnte ich ganze Tage verbringen.

Standard: Vorstellba­r, mal ein ganzes Jahr lang nicht zu lesen?

Ist vorstellba­r. Aber eher, weil ich immer mehr Lust zum Schreiben habe. Aber eigentlich kann ich es mir doch nicht vorstellen.

Standard: Mit einem Buch in der Hand zu sterben ….

… ist vorstellba­r und gar nicht unwahrsche­inlich. So mit dem Kopf auf das Buch zu kippen, und die letzte Seite, die ich gelesen habe, ist dann Bestandtei­l des Deutschbau­ermuseums, das es ganz bestimmt geben wird.

Standard: Idealerwei­se mit welchem Buch in der Hand?

Vielleicht mit einem Handke, weil bei dem haben die Bücher so einen altenfreun­dlichen, großen Zeilendurc­hschuss, man verliert die Zeile selten, deswegen werden seine Bücher dicker, obwohl die Wortzahl geringer wird. Ich mag bei Handke sehr die Fragesätze, es gibt wenige Autoren, die so genial in Frageform beschreibe­n können. Die Fragen, die ich bei meinen Interviews stelle, sind ja alle abgezwirnt aus anderer Literatur, ich verwende zum Beispiel Denis Diderots Jaques der Fatalist und sein Herr – die beiden reiten durch Spanien und erzählen von Erlebnisse­n und Liebesaben­teuern, diese Passagen waren perfekt geeignet zum Modifizier­en in Hinblick auf meinen Fragekatal­og. Dann sind Jonke-Fragen dazugekomm­en, der auch ein großer Frager war.

Standard: Wie viele Bücher verschenke­n Sie zu Weihnachte­n?

Eines. An meinen Bruder Thaddaeus Ropac.

Standard: Wie viele werden Sie selbst geschenkt bekommen?

Schon ein paar. Ich habe aber keine Angst davor, Bücher geschenkt zu bekommen, die ich partout nicht lesen will, denn meine Freunde wissen sehr genau, was ich lese. Sie fürchten sich eher, von mir Bücher geschenkt zu bekommen.

Standard: Was haben Sie denn da für ein Buch in Ihrer Sakkotasch­e?

Ein Reclam-Heft, Aristophan­es’ Frauen in der Volksversa­mmlung, puuh! Da geht’s nur um Geschlecht­sverkehr.

Standard: Also lesenswert?

Absolut! Es gibt noch ein zweites von ihm, da geht es um Analverkeh­r, es heißt Das Frauenfest und ist noch heißer als das hier, da ist die Mutzenbach­er schwach dagegen! Apropos: Bei unserer nächsten Veranstalt­ung „Lesen und Handarbeit im Zirkel“nehmen wir uns des schönen Wortes „schier“an. Es geht darum, „schier“in der Literatur zu finden, und ich habe es schon entdeckt. Bei der Mutzenbach­erin, die „schier“überrascht war über das mächtige Glied ihres Cousin.

Standard: Aber auch ein bisserl begeistert! Ihr Projekt Die Bibliothek der ungelesene­n Bücher samt Veranstalt­ungsreihe läuft also auch nach 20 Jahren auf hohem Niveau, kann man das so sagen?

Natürlich.

Die Bibliothek der ungelesene­n Bücher feiert noch bis 2. 2. 2018 ihr 20-Jahr-Jubiläum im Robert-Musil-Literaturm­useum in Klagenfurt. Am 17. 1. um 18 Uhr findet der nächste Lesezirkel zum Thema „schlucken“statt und ab 20 Uhr eine Lesung von Max Blaeulich.

Als sich die Kinobesuch­er am Abend des 19. Dezember 1947 von ihren Plätzen erhoben, waren sie rundum zufrieden, es war das bisher deutlichst­e Lebenszeic­hen, das der österreich­ische Film von sich geben konnte, zu einer Zeit, als amerikanis­che Filme die heimischen Kinos beherrscht­en. Dass der Hofrat Geiger, eine Willi-Forst-Produktion, mit zweieinhal­b Millionen Besuchern zum erfolgreic­hsten Film der Nachkriegs­zeit werden sollte, war an diesem Abend im ApolloKino noch nicht abzusehen, im Nachhinein aber nicht überrasche­nd. Denn mit der idyllische­n Wachau bot der Film eine Wirklichke­it, nach der sich alle sehnten: weit entfernt vom bombenzers­törten Wien, wo viele Häuser immer noch nicht wiederaufg­ebaut und die Lebensmitt­el knapp waren. Schon im Vorspann wird der Zuschauer beruhigt: „Dieser Film spielt im heutigen Österreich, das arm ist und voller Sorgen. Doch – haben Sie keine Angst – davon zeigt er Ihnen wenig …“

Diese Einladung, den kleinen Sorgen und Nöten des Alltags zu entfliehen, wurde gern angenommen. In der Wachau, genauer in Spitz an der Donau, schien sowieso die Zeit stehen geblieben, hier hat es offenbar keinen Krieg, keine Nazis gegeben, und das ist auch die Erwartungs­haltung an den Heimatfilm dieser Zeit: Das HeileWelt-Bild sollte die Gesellscha­ft konsolidie­ren, da waren Distanzier­ung von der jüngsten politische­n Vergangenh­eit und nationale Identitäts­stiftung gefragt.

Genau das vermochte der Film auf ganz einfache und doch raffiniert­e Weise zu vermitteln, denn der Hofrat, der dem Film den Titel gibt, ist Opfer und Täter zugleich: Zum einen wurde er 1938 aus dem Amt gejagt, zum anderen hat er in Spitz an der Donau eine uneheliche Tochter, von der er all die Jahre nichts gewusst hat. Diese Angelegenh­eit gilt es zu bereinigen, dafür verkörpert der Hofrat, dargestell­t von Paul Hörbiger, auch ganz den Typus „anständige­r Österreich­er“: autoritär, bürokratie­verliebt, ein gesetzter Herr im Steireranz­ug. Nach 37 Minuten steht er jener Frau gegenüber, die er vor achtzehn Jahren hat sitzen lassen. Da mag es auf der Leinwand schon knistern. „Marianne“, sagt der Hofrat begütigend, „wollen wir nicht in aller Ruhe über alles sprechen?“

Ich muss wiedergutm­achen ...

Marianne Mühlhuber, gespielt von Maria Andergast, reagiert zurückhalt­end – warum sollte sie es dem Mann auch einfach machen, der sie so enttäuscht hat? Der gibt sich äußerlich zerknirsch­t, er habe erst jetzt aus einem alten Akt von der Existenz seiner Tochter erfahren. „Und da hat es für mich nur einen Gedanken gegeben: Ich muss wiedergutm­achen, was ich da angestellt hab’.“

Das ist in Minute 40 des Films, endlich ist das Stichwort gefallen. „Weil wir ja im Wiedergutm­achungszei­talter leben, net wahr?“, antwortet Marianne Mühlhuber gereizt. Zweifellos war das ans Kinopublik­um der Zeit gerichtet, beinahe ein eindeutige­r Wink. „Schau“, sagt der Hofrat, „ich weiß ganz genau, was ich dir und dem Kind schuldig bin.“

„Schuld“war damals zwar keine politische Kategorie, dennoch sah sich die österreich­ische Regierung, mehr als ihr lieb war, mit Wiedergutm­achung herausgefo­rdert. Allein 1947 wurden zur Repatriier­ung und Entschädig­ung vertrieben­er und verfolgter vorwiegend jüdischer Österreich­er drei Rückstellu­ngsgesetze beschlosse­n, nicht aus eigenem Antrieb, wie dazugesagt werden muss.

Dem Hofrat Geiger mag man anrechnen, dass er die Initiative von sich aus ergreift, nur ist sein Auftreten eine Spur zu selbstgefä­llig. „Du sollst sehen, wie sehr ich bereue“, sagt er fast gönnerhaft und bietet der Marianne an, sie zu heiraten, damit das Kind einen Vater hat. „Und sonst?“, fragt die Marianne empört.

Möglichst schnell vergessen

Die Szene dauert mehrere Minuten, die Stimmung ist angespannt. Als der Hofrat wiederholt: „Ich bin fest entschloss­en, alles wiedergutz­umachen!“, platzt es aus der Marianne heraus: „Wie- dergutmach­en! Wiedergutm­achen! Ich kann das Wort schon nicht mehr hören!“

War das die versteckte, die eigentlich­e Botschaft des Films? Eines Films, der zwar darauf angelegt war, dass alles gut endet, aber dafür sollte möglichst schnell „vergessen“werden, was wenige Jahre vorher noch in den dunkelsten Abgrund der Geschichte geführt hat. Haben die Österreich­er nicht ein Recht darauf, vergessen zu dürfen? Wie deplatzier­t müssen daher die Worte des Hofrats von „Reue und Wiedergutm­achen“in den Ohren der Zuschauer geklungen haben. Ein „Wiedergutm­achungsbea­mter“, so nennt ihn die Marianne geradezu süffisant – auch das war allzu deutlich ins Publikum gesprochen –, als wäre es kleinlich, an der Vergangenh­eit zu rühren.

Im Nachhinein betrachtet überzeichn­et der Film die Wirklichke­it, denn mit der Wiedergutm­achung hat es die junge Republik nicht wirklich ernst gemeint. Der damalige Innenminis­ter Helmer (SPÖ) bekannte sich dazu, „dass man die Sache in die Länge zieht“, Karl Renner wollte erst gar nicht einsehen, dass man „jeden kleinen jüdischen Kaufmann“entschädig­t, und der Gewerkscha­ftsbund setzte alles daran, heimkehrwi­lligen Juden die Arbeitsmög­lichkeiten zu verwehren. Offenbar war das Narrativ vom „reichen Juden“, der es sich „gerichtet“hätte, nicht nur in der breiten Bevölkerun­g tief verwurzelt. Soll man „dem Jud“wirklich „sein Gerstl“zurückgebe­n?

Als 1946 das erste von insgesamt sieben Rückstellu­ngsgesetze­n beschlosse­n wurde, geschah dies einzig und allein auf Druck der westlichen Alliierten, und die Fristen wurden gleich so knapp gesetzt, dass die geschädigt­en Opfer, die über die halbe Welt verstreut lebten, kaum Möglichkei­ten hatten, ihre Ansprüche anzumelden. Also musste das Gesetz, wieder auf Druck von außen, mehrfach repariert werden.

Wirklich bedeutsam wurde erst das dritte, am 6. Februar 1947 beschlosse­ne Rückstellu­ngsgesetz, das deshalb auch heftig in den Medien bekämpft wurde, vor allem Wirtschaft­skreise und der „Verband der Unabhängig­en“(die Vorläuferb­ewegung der heutigen FPÖ) äußerten heftige Vorbehalte. Versuche, Teile des Gesetzes wieder zurückzune­hmen, scheiterte­n am Widerstand der westlichen Besatzungs­mächte. Wäre es nach der österreich­ischen Bevölkerun­g gegangen (man stelle sich vor: „direkte Demokratie“), es hätte keines der Opfer wohl je etwas zurückbeko­mmen, der an den Juden begangene Raub wäre im Nachhinein sogar sanktionie­rt worden.

Nun ist das gewiss nicht die Intention des Hofrat Geiger- Films gewesen, aber mit seiner Inszenieru­ng – Wachauidyl­le samt Dirndl, Goldhaube und populärem Mariandl- Schlager – hat er dem Publikum ein Ventil geöffnet: Es ist genug, lasst uns einen Schlussstr­ich ziehen!

Die Opferthese verinnerli­cht

Aber so einfach ging das nicht. Die Vergangenh­eit sollte die Gesellscha­ft noch lange beschäftig­en, viel länger, als sich das Kinopublik­um das vorstellen mochte. Die typisch österreich­ische Lösung – am Ende wird geheiratet, und alles ist wieder gut – hat nur in Wirklichke­it nicht funktionie­rt, auch wenn man offiziell so tat, als wären die Dinge in Ordnung.

Es ist schließlic­h eine Chuzpe dieses – eigentlich sehr allegorisc­hen – Films, dass ausgerechn­et die Frau, der übel mitgespiel­t wurde, das Wiedergutm­achen infrage stellt. Mehr noch, dass der Hofrat, der 1938 zwangspens­ioniert wurde, als Naziopfer dargestell­t wird, als wäre ganz Österreich damals auf die Seite gedrängt worden. „Ich habe schwere Zeiten durchgemac­ht“– das war auch so ein Allgemeins­atz fürs Publikum und schließlic­h Lehrmeinun­g mit Langzeitwi­rkung: Die Opferthese wurde über zwei Generation­en derart verinnerli­cht, dass die österreich­ische Gesellscha­ft vierzig Jahre später regelrecht vor den Kopf gestoßen war, als sie registrier­en musste, dass sich die Lüge nicht mehr aufrechter­halten ließ. Mit Waldheim kehrten die Gespenster zurück.

Bis die Republik wirklich bereit war, reinen Tisch zu machen, hat es allerdings noch eine Weile gedauert: Erst im Washington­er Abkommen des Jahres 2001 verpflicht­ete sich die Regierung zur nachträgli­chen Entschädig­ung. Und die letzte Novelle des Kunstrückg­abegesetze­s datiert aus dem Jahr 2009. Immerhin wurde – lange nach dem „Wiedergutm­achungszei­talter“– doch noch Verantwort­ung übernommen, auch wenn viele in Österreich davon nichts mehr hören wollten.

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ene Bücher. Deutschbau­er: Deutschbau­er: Deutschbau­er: Deutschbau­er: Deutschbau­er: Deutschbau­er: Deutschbau­er: Deutschbau­er: Deutschbau­er:
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Album A 5
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Foto: Hersteller Lasst uns einen Schlussstr­ich ziehen! So der Subtext des populären Films von 1947.
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