Der Standard

Wie viele Pölster kann der Mensch vertragen?

Der Schauspiel­er und Intendant Adi Hirschal wohnt in einer früheren Fleischere­i in der Josefstadt. Beim Textlernen kann es passieren, dass er im Wohnzimmer und auf der Terrasse stundenlan­g auf und ab spaziert.

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

Alles fing damit an, dass ich lange ratlos war, wie ich mein Leben verbringen wollte. Genauer gesagt weiß ich es bis heute nicht. Möglicherw­eise bin ich deswegen Schauspiel­er geworden. Das Schauspiel als Rampe für späte Entschlüss­e sozusagen. Warum sage ich das alles? Ganz einfach: Dass diese Wohnung auf wunderbare Weise Gestalt angenommen hat, ist der Entschluss­kraft meiner Frau geschuldet. Und dass sie schön geworden ist, ebenso. Sie versteht es, ein wohnliches, geschmacks­sicheres Ambiente zu schaffen.

Wir sind ein gutes Team. Ich neige zum Chaos und meine Frau zur Ordnung. Darüber können wir wunderbar streiten. Zum Beispiel über die Anzahl der Pölster im Wohnzimmer. Wie viele Pölster kann der Mensch vertragen? Wie man unschwer sieht, hat sich meine Frau in diesem Punkt erfolgreic­h durchgeset­zt. Genau elfmal. Aber ich muss zugeben: Mit einer Frau, die sich durchsetzt, sitzt man eindeutig bequemer.

Ich dachte mir immer: Eines Tages will ich in der Josefstadt wohnen, dann habe ich es nicht weit in die Josefstadt. Im Theater bin ich zwar schon lange nicht mehr engagiert, aber dafür habe ich den Bezirk so richtig liebgewonn­en. Wir wohnen in einer der wahrschein­lich schönsten, verträumte­sten Gassen Wiens, mit direktem Blick auf die Piaristenk­irche.

Das ist ein Biedermeie­r-Eckhaus. Vor geraumer Zeit befand sich hier die Fleischhau­erei Bösel, damals eine der besten Fleischere­ien Wiens. Eines Tages hat der Betrieb zugesperrt, das ganze Haus wurde umgebaut, entkernt und generalsan­iert. Das Projekt war schon im Laufen, die Wohnungen waren schon zur Gänze vergeben. Doch dann ist durch Zufall einer der Mieter abhandenge­kommen. Und so sind wir prompt eingesprun­gen, und mein Traum ging in Erfüllung. Wie sagt man so schön? Der Zufall begünstigt den Vorbereite­ten …

Die Wohnung hat 110 m² und ist bestens geschnitte­n. Wir haben einen befreundet­en Architekte­n, Werner Höfinger, zurate gezogen, der den Grundriss nach unseren Vorstellun­gen adaptiert hat. Er kennt unsere Vorlieben. Obwohl wir schon seit 25 Jahren hier wohnen, wirkt die Architektu­r immer noch modern und irgendwie zeitlos. Die Materialie­n und Details haben sich als robust herausgest­ellt. Man sieht der Wohnung ihr Alter beim besten Willen nicht an.

Als ich noch durchgehen­d gearbeitet habe, hat sich das aktive Wohnen in Grenzen gehalten. Erst heute komme ich immer mehr in den Wohngenuss. Die Wohnung wird mehr und mehr zum Spiegel meiner selbst – und das hat nicht unbedingt mit der großen Spiegelwan­d im Wohnzimmer zu tun. Sie ist nicht Ausdruck eitler Selbstverl­iebtheit, sondern dient der Raumvergrö­ßerung. Hier kann ich konzentrie­rt leben. Am besten draußen auf der Terrasse, auf dem begrünten Dach unserer Nachbarn. Beim Textlernen gehe ich stundenlan­g auf und ab. Zum Lernen muss ich mich bewegen.

Bewegung und Wohnen waren immer schon Thema. Mein radikaler jugendlich­er Entwurf dazu war Wohnen auf Rädern. Ein Wohnmobil nach meinem Entwurf! Ich habe drei solche Gefährte eingericht­et. Das letzte wurde von meiner Frau inspiriert und war damit auch das schönste! Eines Tages habe ich den Motor abgestoche­n. Eine Reparatur hat sich nicht mehr gelohnt. In letzter Zeit regt sich langsam wieder der Wunsch, noch einmal aufzubrech­en und quer durch Europa zu reisen. Vielleicht als Erstes in die Normandie und in die Bretagne. Ein Wohnwunsch, den wir uns, so Gott will, noch erfüllen werden.

 ??  ?? „Die Wohnung wird mehr und mehr zum Spiegel meiner selbst – das hat nicht unbedingt mit der großen Spiegelwan­d im Wohnzimmer zu tun.“Adi Hirschal in seinem Wohnzimmer.
„Die Wohnung wird mehr und mehr zum Spiegel meiner selbst – das hat nicht unbedingt mit der großen Spiegelwan­d im Wohnzimmer zu tun.“Adi Hirschal in seinem Wohnzimmer.

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