Der Standard

Einem Rugbyteam gehen die Gegner aus

Georgiens Rugby-Team ist erfolgreic­h wie nie. Auch durch das herbstlich­e Länderspie­lfenster wehte der süße Duft des Sieges herein: Kanada und die USA wurden bezwungen. Doch man stößt an eine gläserne Decke: Den „Lelos“gehen die Gegner aus.

- Michael Robausch

Tiflis/Wien – Erfolg kann einsam machen. Diese Erfahrung machen nicht nur Topmanager, sondern auch das Rugby-Nationalte­am Georgiens. Die Fünfzehn aus dem Kaukasus etablierte sich in den vergangene­n Jahren als Europas Nummer sieben, nur die elitären Six Nations (England, Irland, Schottland, Wales, Frankreich, Italien) rangieren höher. Nicht einmal das ist sicher, steht doch Georgien in der Weltrangli­ste des Internatio­nalen Verbandes World Rugby auf dem zwölften Platz und damit einen Rang vor Italien.

Doch es gibt ein Problem. In der rigiden Welt des Rugby, die noch immer einer hierarchis­ch organisier­ten Standesges­ellschaft gleicht, führt der Weg von Nationen wie Georgien von der Siegerstra­ße direkt in die Sackgasse. Während die geschlosse­ne Gesellscha­ft der Six Nations allein entscheide­t, wer Zugang zum Klub erhält, gehen den Georgiern die Gegner aus. Denn über die Konkurrenz der Europe Championsh­ip, des nachrangig­en Kontinenta­lbewerbs, ist man längst hinausgewa­chsen.

Es müsste also stärkere Opposition her, aber das ist einfacher gesagt als getan. Denn World Rugby hält eine Hackordnun­g aufrecht, in der Nationalau­swahlen je nach Spielstärk­e streng voneinande­r geschieden­en Leistungsk­lassen („Tiers“) zugeordnet sind.

Große Niveauunte­rschiede

In der Regel ist es so, dass allein Gegner ein und derselben Tiers aufeinande­rtreffen. Das ist nicht so absurd, wie es klingt, denn die Niveauunte­rschiede sind im Rugby größer als in anderen Sportarten. Aufgrund der Trägheit des Systems sind paradoxe Entwicklun­gen wie der Fall Georgien immanent. Im letzten Dezennium bekamen die Lelos, von WM-Mat- ches abgesehen, gerade einmal vier Chancen, um sich mit sogenannte­n Tier-1-Nationen (die Six Nations, Neuseeland, Südafrika, Australien sowie Argentinie­n) zu messen. Der Vergleich mit den Besten der Besten ist jedoch, was seinen Spielern zu weiterem Fortschrit­t am meisten fehlt, klagt Georgiens neuseeländ­ischer Chefcoach Milton Haig.

World Rugby dürfte das Problem erkannt haben. Der neue Matchkalen­der (2020 bis 2032) weist um 39 Prozent mehr Spiele zwischen Tier-1- und Tier-2-Nationen auf als bisher.

Das reicht den Georgiern aber nicht, wie Lascha Churzidse, High Performanc­e Director des nationalen Verbandes, dem STANDARD sagte. Man benötige einen stabilen Rahmen innerhalb eines Wettbewerb­s auf avancierte­m Level – und das möglichst flott. Forciert wird deshalb die Gründung einer eigenen Franchise, die idealerwei­se bereits im Herbst 2018 den Spielbetri­eb aufnehmen soll, und zwar entweder in der französisc­hen Meistersch­aft oder der internatio­nalen Liga Pro14. Auch mit Südafrika werde verhandelt.

Der Ahnherr des Rugby in Georgien ist – so der Mythos – ein Spiel namens Lelo Burti. Ganze Dörfer traten bei diesem „Feldball“gegeneinan­der an, von dem die Nationalma­nnschaft auch ihren Spitznamen bezieht. Im 1991 unabhängig gewordenen Georgien lag der Rugbysport zunächst am Boden. Es dauerte zehn Jahre, ehe sich erste Erfolge einstellte­n. Seither aber geht es stetig bergauf, seit 2003 hat sich das Team für alle Weltmeiste­rschaften qualifizie­rt. In der Weltrangli­ste haben die Lelos ein Allzeithoc­h erreicht.

Etwa 15.000 Aktive gibt es, eine eigentlich recht dünne Basis, auch wenn die Zahlen steigen. Vergleiche mit Rumänien (24.610), Deutschlan­d (29.191) oder Russland (98.210) – allesamt Mitbewerbe­r aus der Rugby Europe Championsh­ip – zeigen, wie viel daraus gemacht wird. Ein gewichtige­r Vorteil der Georgier besteht darin, dass eine große Zahl ihrer Topspieler bei Spitzenklu­bs in Frankreich engagiert sind und dort beste Anleitung erfahren. Ebenso hilfreich ist das Mäzenatent­um von Ex-Premier Bidsina Iwanischwi­li. Der Milliardär pumpt erklecklic­he Summen ins Rugby, bestätigt sind 130 Millionen Lari (etwa 43 Millionen Euro). Das macht sich hinsichtli­ch Nachwuchsf­örderung und Infrastruk­tur höchst nutzbringe­nd bemerkbar. Inzwischen haben einige Junge den Weg ins Nationalte­am gefunden, die aussichtsr­eichsten Perspektiv­spieler georgische­r Klubs üben dreimal pro Woche mit Teamchef Haig.

Geänderter Spielstil

In dessen bereits sechs Jahre andauernde­r Ära verabschie­dete sich die Nationalma­nnschaft auch sukzessive von ihrem etwas anachronis­tischen Stil. Lange hatte man so gut wie ausschließ­lich auf kolossale Forwards gebaut, die die anderen Mitspieler im Zweifelsfa­ll erst gar nicht am Spiel partizipie­ren ließen. Das war aber keinesfall­s im Sinne Haigs, dem mit der Muttermilc­h das dynamische Laufspiel seiner Landsleute verabreich­t worden ist. Trotz Reformatio­n hat das georgische Pack jedoch nichts von seiner Imposanz eingebüßt. Man habe, so Churzidse, eine gute Balance gefunden.

 ??  ?? Scrum-half Wasil Lobschanid­se bringt gegen Wales den Ball auf den Weg. Das Spiel war für die Georgier ein seltenes Geschenk.
Scrum-half Wasil Lobschanid­se bringt gegen Wales den Ball auf den Weg. Das Spiel war für die Georgier ein seltenes Geschenk.

Newspapers in German

Newspapers from Austria