Dreikampf in Rom
Die Ausgangslage für die Wahlen in Italien ist denkbar chaotisch: Die Sozialdemokraten hängen im Umfragetief. Die Fünf Sterne führen, lehnen aber Koalitionen ab. Beste Chancen hat Berlusconi, der nicht weiß, ob er antreten darf.
Für die „Generation Krise“ist es eine Premiere: Bei den kommenden Wahlen können nun erstmals auch all jene Italienerinnen und Italiener ihre Stimme abgeben, die 1999 geboren wurden – in jenem Jahr also, das als Zäsur gilt. Seither nämlich ging in der italienischen Wahrnehmung so einiges den Bach hinunter – was sich auch in realen Zahlen niederschlägt.
Seit dem Beitritt Italiens zur Eurozone im Jänner 1999 hat das Land kein wirkliches Wachstum mehr gesehen. Die Industrie produziert heute weniger als damals. Die Arbeitslosenquote ist die dritthöchste der EU. Elf Kabinette haben 18-Jährige bereits kommen und gehen sehen. Sie haben be- merkt, wie ein großer Teil ihrer älteren Geschwister, ihres Freundeskreises wegzog, weil im Ausland bessere Jobs und eine vielversprechendere Zukunft warten. Italiens „Generation Krise“kennt nichts anderes als politische und wirtschaftliche Dauerkrise.
Keine Mehrheit in Sicht
Derart chaotisch hat sich die Ausgangslage aber selbst für sie schon lange nicht mehr dargestellt. Zunächst einmal dürfte es allen Umfragen zufolge keiner Einzelpartei und noch nicht einmal einem Parteienbündnis gelingen, eine regierungsfähige Mehrheit zu erhalten. Die Umfragen führt inzwischen mit merklichem Abstand die Protestbewegung der Fünf Sterne (Movimento Cinque Stelle, M5S) mit 28 Prozent an. Ihr Gesicht ist jenes des Komikers Beppe Grillo, der aufgrund einer Vorstrafe wegen fahrlässiger Tötung jede Kandidatur ausgeschlossen hat. Für den Posten des Premierministers geht Luigi Di Maio ins Rennen. Obwohl der 31-Jährige wesentlich gemäßigter auftritt als der für seine Schimpftiraden bekannte Parteigründer Grillo, punkten die fundamentaloppositionellen Sterne weiterhin stark bei Protestwählern, vor allem bei Jugendlichen. Dass der M5S die regierenden Sozialdemokraten nach einem lange andauernden Kopfan-Kopf-Rennen nun doch so signifikant abgehängt hat, ist weniger sein Verdienst als die Schuld der Zweitplatzierten.
Deren Ex-Premier Matteo Renzi, der als Spitzenkandidat antritt, konnte sich lange damit rühmen, dass sein Partito Democratico (PD) mit Umfrageergebnissen von zeitweise 40 Prozent die stärkste Partei Italiens und außerdem sogar die erfolgreichste sozialdemokratische Kraft in Europa war. Renzis Nimbus als Hoffnungsträger verblasst immer deutlicher, sein PD demontiert sich selbst vor aller Augen. Den seit 2007 bestehenden Bund aus Kommunisten, Linksliberalen und ehemaligen Christdemokraten hielt lange nur der gemeinsame Feind zusammen: Der Mitte-rechts-Block rund um Silvio Berlusconi, der heute nicht mehr als Bindemittel taugt. Die Partei fällt im Streit auseinander. Wer sich nicht schon abgespalten hat, der mobilisiert gegen den eigenen Kandidaten. Zunächst zwackten die abtrünnigen Democratici e Progressisti (DP) den Sozialdemokraten so erste Prozentpunkte ab. Die vor nicht einmal einem Monat gegründeten Liberi e Uguali kommen bereits auf 6,9 Prozent. Und die Mutterpartei PD von über 30 auf nur mehr 24 Prozent.
Koalitionsszenarien
Die Fünf Sterne erklärten deshalb jüngst Berlusconi zu ihrem wichtigsten Rivalen: Ausgerechnet er hat reale Siegeschancen, und das, obwohl die Frage, ob er überhaupt zur Wahl antreten darf, ungeklärt bleibt. Das italienische Gesetz verbietet es ihm zwar nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, der 81-Jährige hofft aber darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Ämterverbot aufhebt. In der Zwischenzeit kommt seine Forza Italia zusammen mit der ultrarechten Lega und den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) auf über 35 Prozent. Bereit zeigt sich Berlusconi auch zu einer Neuauflage der Koalition mit dem linken PD. Eine Zusammenarbeit der EUkritischen Rechten und des M5S sorgt in weiten Teilen Europas für Albträume. Wahrscheinlich ist sie jedoch nicht: Die Fünf Sterne lehnen jede Kooperation ab.
Dass nun Ex-Premier Berlusconi eine Schlüsselrolle zukommen könnte, stellt einmal mehr sein Gespür unter Beweis: Er setzt sein Alter gezielt ein und spricht neuerdings über 40-Jährige an. Sie machen die Hälfte der Bevölkerung Italiens aus, die Jungen sind in der Unterzahl.