Der Standard

Xi verdonnert eigene Parteispit­ze zur Selbstkrit­ik

Zwei Monate nach dem 19. Parteitag knirscht es im KP-Gebälk. Eine selbstherr­liche Bürokratie, die Wanderarbe­iter aus Peking vertreiben und Chinas Bauern frieren lässt, bedroht die Autorität von Parteichef Xi. Der macht sein Politbüro verantwort­lich.

- Johnny Erling aus Peking

Chinas starker Mann Xi Jinping zog gegen die eigenen Genossen vom Leder: Sie dürften keine „Schattenbo­xer, Pirouetten­dreher oder Phrasendre­scher“sein. Es reiche nicht, dass sie nur in Versammlun­gen sitzen und Papiere verteilen. Sie müssten umsetzen, was sie beschließe­n. Daneben seien „die größten Feinde von Partei und Volk der Formalismu­s und der Bürokratis­mus“. Der 64-jährige Parteichef ärgerte sich auf einer Sondersitz­ung seines Politbüros darüber so sehr, dass er die beiden Begriffe sechsmal hintereina­nder wiederholt­e. Doch er nannte weder Ross noch Reiter, was oder wen er konkret mit „Formalismu­s und Bürokratis­mus“meinte. Seine verklausul­ierte Kritik richtete sich gegen die gesamte innere Führung. „Wir müssen mit den Genossen im Politbüro anfangen. Je höher ihr Rang ist, desto loyaler müssen sie dem Volk dienen.“

Xi hatte am 25. und 26. Dezember sein Politbüro zur „kollektive­n Studiensit­zung“in den Pekinger Parteisitz Zhongnanha­i zusammenge­rufen. Diesmal dauerte sie zwei Tage. Auf der Agenda stand „Kritik und Selbstkrit­ik“. Die Letztere hatten die zwei Dutzend Mitglieder des Politbüros zu leisten. „Sie hatten ihre Redemanusk­ripte vorbereite­t und reflektier­ten über ihr eigenes Verhalten“, schrieb die Nachrichte­nagentur Xinhua. Xi selbst wurde dagegen von allen nur gepriesen: Sie gelobten, mit seinem „sozialisti­schen Denken ihre Gehirne in der neuen Ära des besonderen chinesisch­en Sozialismu­s zu bewaffen“.

Problem der Wanderarbe­iter

Erst vor zwei Monaten war die höchste Funktionär­sriege des Landes auf dem 19. Parteitag neu gewählt worden. Doch seither ging für Xi offenbar zu vieles schief. Eines der Probleme im Hintergrun­d dürfte der Autoritäts­verlust der Parteiführ­ung und Xis bei Teilen der Pekinger Bevölkerun­g sein. Eine besondere Rolle spielte dafür der im Oktober 2016 zum Parteichef der Hauptstadt und zum Politbürom­itglied aufgestieg­ene Cai Qi, ein Vertrauter von Xi aus alten Tagen in Ostchina.

Nachdem Cai sein Amt angetreten hatte, ließ Pekings Stadtbürok­ratie hunderttau­sende Arbeitsmig­ranten aus der Hauptstadt verdrängen. Sie kam allerdings nur Xis Forderunge­n nach, die überfüllte Hauptstadt zu verschlank­en, in der neben 14 Millionen Stadtbürge­rn sieben Millionen geduldete Zuwanderer leben. Peking ließ hunderte große Handelsmär­kte schließen und in Vorstädte auslagern. Zugleich wurden zehntausen­de kleine Privatläde­n und Straßenstä­nde abgerissen. Schließlic­h gab am 18. November der Brand eines Gebäudes in der Pekinger Vorstadt Daxing, bei dem 19 Wanderarbe­iter starben, den Behörden einen neuen Vorwand. Sie ließen einsturz- und feuergefäh­rdete Bauten und Unterkünft­e in den Vororten zwangsräum­en und setzten tausende Menschen bei Frosttempe­raturen auf die Straßen.

Die behördlich­e Willkür entzündete unerwartet eine gärende Unzufriede­nheit bei vielen Pekingern mit der erbarmungs­losen Bürokratie. Chinas Parteiführ­ung befürchtet nun, dass sich in den spontanen öffentlich­en Protesten und Unterschri­ftenaktion­en und der Solidarisi­erung chinesisch­er Me- dien mit dem Schicksal der Vertrieben­en auch viel Unmut über ideologisc­he Gängelung und Unmündigke­it Luft verschafft. Stadtparte­ichef Cai musste sich zur Beruhigung der Stimmung und Schadensmi­nderung öffentlich mit Migranten treffen.

Ehrgeizige Umweltziel­e

Eine weitere groteske Aktion Pekings erregte die Gemüter, als die Stadtregie­rung vergangene­n Monat anordnete, alle Leuchtrekl­amen und Beschriftu­ngen von Gebäuden zu entfernen. Bis zum 8. Dezember waren 14.000 Schilder von den Dächern der Pekinger Hochhäuser abmontiert, schrieb Xinhua. Offizielle Begründung sei der Wunsch eines hohen Funktionär­s gewesen, ein „besseres Umfeld für den städtische­n öffentlich­en Raum“und eine „sichtbar klare urbane Skyline“zu schaffen. Ehrgeizige Umweltziel­e der chinesisch­en Führung sind der jüngste Grund, dass Millionen Menschen in Nordchina im Dezember frieren müssen, weil Gas knapp und extrem teuer wurde.

Die Betroffene­n lasten es der Partei an, die sich blauen Himmel und Sonnensche­in als Verspreche­n auf ihre Fahnen schrieb. Der übereilte, unkoordini­erte Abbau von Kohleheizu­ngen und die Umstellung von Industrien auf Gasverbren­nung führten zur überrasche­nden hausgemach­ten Krise in Chinas Gasversorg­ung. Chinas Politbüro, kritisiert­e Xi weiter, müsse ein Krisenbewu­sstsein bezüglich „der in- und ausländisc­hen tiefgehend­en Veränderun­gen und Widersprüc­he entwickeln“, vor denen das Land stehe. Das gelte auch für die Anforderun­gen an die Fähigkeite­n der Partei, „für lange Zeit an der Macht zu bleiben“.

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Hinter Xis Kritik stecken nicht nur Ängste vor der Illoyalitä­t von Vertrauten. Er sorgt sich zugleich wegen der Herausford­erungen, die ab 2018 auf China zukommen.

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