Raucher und Lavendelwasser
Prozess um Körperverletzungen unter Nachbarn
Wien – Objektiv betrachtet muss man davon ausgehen, dass die Luftqualität an einer wichtigen Durchzugsstraße im Süden Wiens nicht jener eines Kurortes entspricht. Familie S. leidet aber an einer zusätzlichen Emissionsquelle: ihrem auf dem Balkon rauchenden Nachbarn. Der Konflikt dauert schon Jahre, im Oktober endete er mit zwei Verletzten, daher muss sich nun Richter Gerald Wagner damit befassen.
Vor ihm sitzen Herr R., 61 Jahre alt, Pensionist, Judoka und Raucher. Die zweite Angeklagte ist Frau S.: Die 41-Jährige studiert im Rahmen einer Umschulung Wirtschaftsinformatik, hat in ihrer Heimat Thailand schon zwei akademische Abschlüsse gemacht, ist mit Herrn S. verheiratet und Nichtraucherin.
Richter Wagner macht bereits nach der Überprüfung der Generalien kein Geheimnis daraus, welche Richtung der Prozess nehmen sollte: „Angesichts des nachbarschaftlichen Naheverhältnisses muss nicht unbedingt ein Urteil fallen, es gäbe auch andere Möglichkeiten“, spielt er auf den außergerichtlichen Tatausgleich an. Dabei versuchen Mediatorinnen oder Psychologen, einen tragfähigen Kompromiss zwischen den Streitparteien zu vermitteln.
Was ist geschehen? Herr R. stand, wie so oft, rauchend am Balkon, die darüber liegenden Fenster von Familie S. waren offen. Frau S. griff zur olfaktorischen Selbstverteidigung, genauer, einer Sprühflasche. „Ich habe aus dem Fenster gesprüht, damit die Luft besser wird“, behauptet sie. Offenbar ziemlich ausgiebig, denn zumindest gravitationsbedingt wurde Herr R. angefeuchtet.
Der reagierte ebenfalls mittels Flüssigkeit: Er nahm eine volle Wasserflasche und lehnte sie gegen die Eingangstür von Familie S. – Herr S. hörte das, als er öffnete, war der Vorraum nass.
Zwischen den beiden Herren kam es zum Wortgefecht, in das sich Frau S. einmischte. Um ihren Gatten zu verteidigen, wie sie sagt. Sie gibt auch zu, Herrn R. vor der Tür mit der Sprühflasche bestäubt zu haben. „Mit Wasser mit Lavendelduft“, zitiert der Richter aus dem Akt. „Wirkt beruhigend“, bezieht sich R.s Verteidiger Klaus Ainedter auf die Duftrichtung, Frau S. versteht die Ironie nicht.
Faktum ist, dass sich beide Parteien verletzt haben: Frau S. hatte einen gebrochenen Handwurzelknochen und eine Schienbeinprellung, als Schmerzensgeld will sie 1.500 Euro. Herr R. hatte allerdings auch ein geschwollenes blaues Auge und Kratzwunden an Hals und Händen.
Damit will Frau S. zunächst nichts zu tun haben. Schließlich bringt Wagner sie doch dazu einzugestehen, dass sie Herrn R. die Verletzungen vielleicht unabsichtlich zugefügt hat. „Sehen Sie, und bei einem außergerichtlichen Tatausgleich reden Sie das aus und versuchen eine Lösung für den Konflikt zu finden“, muntert der Richter sie auf. „Ich brauche keinen Psychologen, ich brauche Verständnis von ihm!“, begehrt Frau S. dagegen auf. Erst Verteidigerin Claudia Gutmorgeth kann sie vor dem Saal zur Annahme der Diversion überreden.
Die plötzlich der Staatsanwältin nicht passt, sie sieht keine Verantwortungsübernahme durch die Frau. Wagner ist anderer rechtlicher Ansicht und entscheidet sich für die Diversion mit dem außergerichtlichen Tatausgleich. „Finden Sie eine sinnvolle Lösung, sonst muss am Ende noch wer ausziehen“, gibt er den Angeklagten noch mit auf den Weg.