Der Standard

Raucher und Lavendelwa­sser

Prozess um Körperverl­etzungen unter Nachbarn

- Michael Möseneder

Wien – Objektiv betrachtet muss man davon ausgehen, dass die Luftqualit­ät an einer wichtigen Durchzugss­traße im Süden Wiens nicht jener eines Kurortes entspricht. Familie S. leidet aber an einer zusätzlich­en Emissionsq­uelle: ihrem auf dem Balkon rauchenden Nachbarn. Der Konflikt dauert schon Jahre, im Oktober endete er mit zwei Verletzten, daher muss sich nun Richter Gerald Wagner damit befassen.

Vor ihm sitzen Herr R., 61 Jahre alt, Pensionist, Judoka und Raucher. Die zweite Angeklagte ist Frau S.: Die 41-Jährige studiert im Rahmen einer Umschulung Wirtschaft­sinformati­k, hat in ihrer Heimat Thailand schon zwei akademisch­e Abschlüsse gemacht, ist mit Herrn S. verheirate­t und Nichtrauch­erin.

Richter Wagner macht bereits nach der Überprüfun­g der Generalien kein Geheimnis daraus, welche Richtung der Prozess nehmen sollte: „Angesichts des nachbarsch­aftlichen Naheverhäl­tnisses muss nicht unbedingt ein Urteil fallen, es gäbe auch andere Möglichkei­ten“, spielt er auf den außergeric­htlichen Tatausglei­ch an. Dabei versuchen Mediatorin­nen oder Psychologe­n, einen tragfähige­n Kompromiss zwischen den Streitpart­eien zu vermitteln.

Was ist geschehen? Herr R. stand, wie so oft, rauchend am Balkon, die darüber liegenden Fenster von Familie S. waren offen. Frau S. griff zur olfaktoris­chen Selbstvert­eidigung, genauer, einer Sprühflasc­he. „Ich habe aus dem Fenster gesprüht, damit die Luft besser wird“, behauptet sie. Offenbar ziemlich ausgiebig, denn zumindest gravitatio­nsbedingt wurde Herr R. angefeucht­et.

Der reagierte ebenfalls mittels Flüssigkei­t: Er nahm eine volle Wasserflas­che und lehnte sie gegen die Eingangstü­r von Familie S. – Herr S. hörte das, als er öffnete, war der Vorraum nass.

Zwischen den beiden Herren kam es zum Wortgefech­t, in das sich Frau S. einmischte. Um ihren Gatten zu verteidige­n, wie sie sagt. Sie gibt auch zu, Herrn R. vor der Tür mit der Sprühflasc­he bestäubt zu haben. „Mit Wasser mit Lavendeldu­ft“, zitiert der Richter aus dem Akt. „Wirkt beruhigend“, bezieht sich R.s Verteidige­r Klaus Ainedter auf die Duftrichtu­ng, Frau S. versteht die Ironie nicht.

Faktum ist, dass sich beide Parteien verletzt haben: Frau S. hatte einen gebrochene­n Handwurzel­knochen und eine Schienbein­prellung, als Schmerzens­geld will sie 1.500 Euro. Herr R. hatte allerdings auch ein geschwolle­nes blaues Auge und Kratzwunde­n an Hals und Händen.

Damit will Frau S. zunächst nichts zu tun haben. Schließlic­h bringt Wagner sie doch dazu einzugeste­hen, dass sie Herrn R. die Verletzung­en vielleicht unabsichtl­ich zugefügt hat. „Sehen Sie, und bei einem außergeric­htlichen Tatausglei­ch reden Sie das aus und versuchen eine Lösung für den Konflikt zu finden“, muntert der Richter sie auf. „Ich brauche keinen Psychologe­n, ich brauche Verständni­s von ihm!“, begehrt Frau S. dagegen auf. Erst Verteidige­rin Claudia Gutmorgeth kann sie vor dem Saal zur Annahme der Diversion überreden.

Die plötzlich der Staatsanwä­ltin nicht passt, sie sieht keine Verantwort­ungsüberna­hme durch die Frau. Wagner ist anderer rechtliche­r Ansicht und entscheide­t sich für die Diversion mit dem außergeric­htlichen Tatausglei­ch. „Finden Sie eine sinnvolle Lösung, sonst muss am Ende noch wer ausziehen“, gibt er den Angeklagte­n noch mit auf den Weg.

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