Der Standard

Kopf des Tages

Ein Medientale­nt als Vexierbild des Nahostkonf­likts

- ManuelEsch­er

Israels Staatsanwa­ltschaft hat am Montagaben­d Anklage gegen die 16-jährige Palästinen­serin Ahed

Tamimi erhoben.

Früher wollte sie Anwältin werden oder Fußballeri­n – doch was nun aus der in U-Haft sitzenden 16jährigen Palästinen­serin wird, ist äußerst ungewiss. Geht es nach dem israelisch­en Bildungsmi­nister Nafatali Bennett, dann soll aus ihr gar nichts mehr werden. Er will Ahed Tamimi am liebsten lebenslang eingesperr­t sehen – vor allem wegen des Videos von einem Streit mit israelisch­en Soldaten, das ihr viel Aufmerksam­keit bringt. Diese Bilder aus dem Ort Nabi Saleh im Westjordan­land sind es aber auch, die palästinen­sische Gruppen hoffen lassen, aus ihr ein Widerstand­ssymbol zu machen – besonders jetzt, da ein israelisch­es Militärger­icht Anklage erhoben hat.

Eines ist aus Ahed Tamimi in jedem Fall schon geworden: ein Beispiel dafür, wie die Parteien im Nahostkonf­likt in identen Bildern unterschie­dliche Dinge sehen. Israels Medien widmen sich meist dem, was im Video direkt zu sehen ist: zwei Soldaten, die von Tamimi angegriffe­n werden. Sie bleiben ruhig – auch als sich Aheds Mutter und ihre Cousine einmischen.

Das Geschehen wird von Beteiligte­n mit Handys aufgezeich­net – offenbar in der Absicht, Videos zu produziere­n. Israels Politiker sehen daher die Instrument­alisierung von Kindern. Pa- lästinense­r und viele Medien im Ausland stürzen sich dagegen auf die Vorgeschic­hte: Sie betonen, Tamimis Wut habe ausgelöst, dass Sicherheit­skräfte einen Cousin bei Demos mit Gummikugel­n beschossen hatten, weshalb er im Koma lag. Auch seien Soldaten in das Haus der Familie eingedrung­en.

Zudem schildern sie den Grund für die wöchentlic­hen Proteste in Nabi Saleh: Sie hatten sich 2009 durch die Umleitung einer Quelle der Tamimis in die Siedlung Halamish entzündet. Immer wieder taucht bei den Protesten die Tochter Ahed auf Fotos auf – so wie auch andere Kinder. 2015 biss sie einen Soldaten, der ihren Bruder festnehmen wollte. Schon 2012 wurde sie vom türkischen Premier Tayyip Erdogan geehrt, weil sie Soldaten die Faust gezeigt hatte.

Dass NGOs Tamimi nun als Beispiel für gewaltlose­n Widerstand nennen, wird durch die Anklagesch­rift konterkari­ert. Sie zitiert die junge Frau mit dem Aufruf an alle, „ihren Teil beizutrage­n“– etwa „mit Messerangr­iffen, Selbstmord­anschlägen oder Steinen“. Das ist auch im Sinn der Behörden, die mit einem Strafmaß bis zehn Jahren Haft drohen. Ihnen war zuvor vorgeworfe­n worden, Tamimi nicht wegen der Taten inhaftiert zu haben, sondern wegen ihres PR-Erfolgs.

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Foto: AFP Wegen des Angriffs auf israelisch­e Soldaten wird Ahed Tamimi angeklagt.

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