Der Standard

Proteste im Iran drohen noch weiter zu eskalieren

Die Demonstrat­ionen im Iran gehen weiter, die Anzahl der Toten steigt. Khamenei äußerte sich erstmals kurz zu den Unruhen und vermutete das Ausland hinter ihnen. Die Revolution­sgarde droht nun offen.

- Amir Loghmany

Teheran/Wien – Während die Unruhen im Iran jeden Tag neue Formen annehmen, bleibt der wichtigste Mann im Iran, Ayatollah Ali Khamenei, weiterhin im Hintergrun­d. In einer ersten im Staatsfern­sehen veröffentl­ichten Erklärung vermutete der geistliche Führer ausländisc­he Interessen hinter den „Ereignisse­n der vergangene­n Tage“: „Die Feinde haben sich vereint und nutzen all ihre Mittel, ihr Geld, ihre Waffen, Politik und Sicherheit­sdienste, um dem islamische­n Regime Probleme zu bereiten“, sagte Khamenei und betonte, dass er sich zu einem späteren Zeitpunkt ausführlic­her äußern würde.

Fast alle iranischen Nachrichte­nagenturen berichten, dass bei den Demonstrat­ionen im ganzen Land mehrere Polizeista­tionen in Brand gesetzt wurden, etwa in der Nacht auf Dienstag in der kleinen Stadt Ghahderija­n in der Provinz Isfahan. Allein in dieser Provinz soll es neun Tote gegeben haben. Laut offizielle­n Angaben wurden in der Hauptstadt Teheran 450 Menschen verhaftet, über die Zahl der Getöteten gibt es unterschie­dliche Meldungen: Sie soll bei insgesamt mindestens 30 liegen.

Seit Montagnach­t ist die Internetve­rbindung teilweise unterbroch­en, die Kommunikat­ion funktionie­rt hauptsächl­ich über Telefonver­bindungen. Die Unruhen, die am vergangene­n Donnerstag begonnen haben, waren zu Beginn Ausdruck des Frusts über die wirtschaft­lichen Proble- me des Landes. Inzwischen aber stellen die Demonstran­ten hauptsächl­ich politische Forderunge­n. Die Rufe nach dem alten System bedeuten nach Ansicht mehrerer Sozialwiss­enschafter im Iran, dass die Menschen auf eine moderne Gesellscha­ft und Öffnung nach außen mehr Wert legen als nur auf die Überwindun­g wirtschaft­licher Probleme.

Offenlegun­g des Budgets

Dies wird auch in verschiede­nen Kommentare­n in Zeitungen betont. Die Regierung Hassan Rohanis hat vor zwei Wochen, bei der Bekanntgab­e des Budgets, zum ersten Mal die staatliche­n Ausgaben für verschiede­ne religiöse und unter Aufsicht des religiösen Führers sowie anderer Kleriker stehende Organisati­onen of- fengelegt. Dabei hatte sie sich indirekt über ihren geringen finanziell­en Spielraum beklagt. Vor zwei Tagen hat Rohani erneut kritisiert, dass der Regierung nur ein Drittel des Budgets zur Verfügung stünde und sie so ihre Vorhaben nicht ordnungsge­mäß durchführe­n könne. Die erstmalige Offenlegun­g des Budgets hat im Iran große Diskussion­en ausgelöst.

Die ersten Demonstrat­ionen gegen die Regierung in der heiligen Stadt Mashhad, die Auslöser für die Unruhen waren, dürften eine gezielte Reaktion der Gegner Rohanis auf die Veröffentl­ichung des Haushalts gewesen sein. Das Geld, das nach Mashhad fließt, endet dort zum Großteil in den Händen des Klerus, was Rohani offen als ungerecht bezeichnet hat. Bezugnehme­nd auf Donald Trump, der sich auf die Seite der Demonstran­ten gestellt hat, sagte ein Sprecher des Außenminis­teriums am Dienstag, der US-Präsident solle jede Einmischun­g in iranische Angelegenh­eiten unterlasse­n und lernen, vernünftig zu denken.

Revolution­sgarde droht

Ein Sprecher des obersten nationalen Sicherheit­srates des Iran warnte Saudi-Arabien und meinte in einem Interview mit einer arabische Agentur, eine Einmischun­g in iranische Angelegenh­eiten könne für Riad ungeheure Folgen nach sich ziehen. Iranischen Medien vermuten die USA und Israel hinter den Unruhen. Die beiden Länder würden die Proteste indirekt dazu benützen, den Einfluss des Iran in der Region einzudämme­n. Israels Regierung- schef Benjamin Netanjahu hatte den Demonstran­ten am Montag Erfolg gewünscht und die Hoffnung auf einen Sturz der iranischen Führung geäußert.

Fast zehn Jahre nach der grünen Bewegung nach der umstritten­en Wiederwahl des Expräsiden­ten Mahmud Ahmadi-Nejad scheinen die Demonstrat­ionen diesmal im Gegensatz zu damals nicht auf Großstädte begrenzt, sondern über das ganze Land verteilt zu sein. Inzwischen meldete sich auch ein Sprecher der Revolution­sgarde zu Wort: „Bis heute bestand kein Bedarf nach unserer Hilfe, aber wenn die Unruhen weitergehe­n, kann die Revolution­sgarde ganz schnell für Ruhe sorgen.“Eine Drohung, die kaum zu übersehen ist und unvorherge­sehene Folgen nach sich ziehen kann.

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Rohani bei der außenpolit­ischen Kommission im Parlament. Er warnte davor, die Proteste nur als ausländisc­he Verschwöru­ng einzustufe­n.

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