Der Standard

Virtuelle Sozialarbe­it gegen Internetpr­opaganda

Jugendarbe­iter haben immer weniger Zugang zum digitalisi­erten Alltag von Teenagern. Forscher untersuche­n nun, wie offene Jugendarbe­it in Zeiten von Facebook & Co Radikalisi­erung im Netz gegensteue­rn kann.

- Doris Griesser

Dornbirn – Soziale Medien und Internet sind ein grundlegen­der Bestandtei­l des Alltags von Jugendlich­en und spielen deshalb eine wichtige Rolle bei deren Identitäts­entwicklun­g. Diesen Umstand nutzen auch der IS und andere extremisti­sche Gruppierun­gen, die gezielt und höchst profession­ell junge Menschen über das Netz ansprechen. Erleichter­t wird das durch die oft unkritisch­e Mediennutz­ung der Heranwachs­enden, die Vereinnahm­ungsversuc­hen wenig entgegense­tzen können.

Viele verfügen nicht über das nötige Wissen, um Manipulati­onsabsicht­en zu erkennen oder den Wahrheitsg­ehalt von Netzinhalt­en zu beurteilen. Ganz im Gegenteil: Ihre Bereitscha­ft, virtuellen Kontakten zu vertrauen, ist mitunter erschrecke­nd groß. Wie könnte man die Jugendlich­en besser dabei unterstütz­en, ihre Kritikfähi­gkeit und ihr Bewusstsei­n für Gefährdung­en zu stärken?

Im Projekt e-youth.works befassen sich Forscher mit den digitalen Herausford­erungen in der offenen Jugendarbe­it, die besonders niederschw­ellig mit Jugendlich­en in Kontakt tritt. Denn die neuen Kommunikat­ions- und Beziehungs­formen ihrer Zielgruppe erfordern auch neue Arbeitswei­sen für die Sozialarbe­iter, die als Begleiter, Unterstütz­er und Vorbilder eine wichtige Rolle im Leben marginalis­ierter Heranwachs­ender spielen.

„Offene Jugendarbe­it kann zwar nicht verhindern, dass Jugendlich­e mit gewaltverh­errlichend­en Inhalten und extremisti­scher Internetpr­opaganda in Berührung kommen, sie kann die jungen Menschen aber dabei unterstütz­en, solche Inhalte zu hinterfrag­en“, betont Projektlei­terin Hemma Mayrhofer vom Institut für Rechts- und Kriminalso­ziologie. Wie das am besten funktionie­ren kann, soll das Projekt klären, das durch das Sicherheit­sforschung­sprogramm Kiras des Verkehrsmi­nisteriums gefördert wird. Projektpar­tner sind das Bundesweit­e Netzwerk Offene Jugendarbe­it (Boja), der Verein Wiener Jugendzent­ren, das Familien- und das Innenminis­terium.

Extremisti­sche Ansichten

In einer von den Forschern durchgefüh­rten Onlinebefr­agung gaben fast zwei Drittel der Jugendarbe­iter an, dass sie in ihrer Einrichtun­g häufig auch mit Jugendlich­en zu tun haben, die extremisti­sche Ansichten äußern. „Dabei handelt es sich meist nicht um Personen mit einem bereits verfestigt­en extremisti­schen Weltbild“, so die Soziologin. „Die Jugendar- beiter haben deshalb noch die Möglichkei­t, Radikalisi­erungsproz­esse zu irritieren oder zu unterbrech­en und alternativ­e Identitäts­angebote zu machen.“

Diese Interventi­onen erfolgen zurzeit größtentei­ls „offline“im persönlich­en Kontakt. „Hier wäre allerdings eine deutlich stärkere Verbindung von Online- und Offline-Arbeit erforderli­ch“, betont Mayrhofer. Damit hätte die offene Jugendarbe­it nicht nur mehr Interventi­onsmöglich­keiten zur Verfügung, sondern könnte über die Profile und Kontakte der Jugendlich­en auch die Risiken besser einschätze­n.

Als Role-Models können Jugendarbe­iter in der digitalen Alltagskom­munikation quasi en passant ein Bewusstsei­n für Themen wie Datenschut­z, Quellenbeu­rteilung oder Fake-News vermitteln. „Als Einstieg in die Debatte um Fake-News haben Jugendarbe­iter beispielsw­eise selbst die Falschmeld­ung über den bevorstehe­n- den Abriss des eigenen Jugendzent­rums ins Netz gestellt“, berichtet Hemma Mayrhofer. „Etliche Jugendlich­e haben das geglaubt und damit eine nachhaltig­e Erfahrung zum Thema Fake-News gemacht.“

Auch der verbreitet­e Glaube, dass ein Profil durch Fotos vertrauens­würdig wird, kann durch medienpäda­gogische Interventi­onen heilsame Risse erfahren: etwa indem der Jugendarbe­iter demonstrie­rt, wie leicht ein Bild „gefakt“werden kann.

Online-Role-Models

Um die jugendlich­e Identitäts­findung auch in den sozialen Netzen wirksam unterstütz­en zu können und als Role-Model zu wirken, braucht man allerdings beträchtli­ches methodisch-didaktisch­es Know-how. „Eine breite fachliche Auseinande­rsetzung mit digitaler Jugendarbe­it steht in Österreich allerdings erst am Anfang, auch wenn sich einzelne Einrich- tungen bereits intensiv damit befassen“, weiß Hemma Mayrhofer aus der Onlinebefr­agung.

Eine direkte Kommunikat­ion zwischen Jugendarbe­itern und Jugendlich­en im virtuellen Raum finde zurzeit kaum statt. Das habe auch mit den knappen Zeitressou­rcen zu tun: So können gegenwärti­g höchstens zehn Prozent der Arbeitszei­t für die Onlinejuge­ndarbeit aufgewende­t werden. „Hier braucht man einen klaren Auftrag seitens der Jugendpoli­tik und der Fördergebe­r“, sagt Mayrhofer.

Und wie beziehen die Jugendarbe­iter ihr Wissen für diesen wichtigen zusätzlich­en Arbeitsber­eich? „Das erfolgt meist informell durch Tun und Ausprobier­en, durch Vernetzung mit Kollegen und den Kontakt mit den Jugendlich­en“, berichtet die Forscherin. In der Ausbildung werden entspreche­nde Kompetenze­n kaum vermittelt. Viele der interviewt­en Jugendarbe­iter sehen hier großen Nachholbed­arf.

 ??  ?? Propaganda im Internet zielt oft höchst profession­ell auf Jugendlich­e ab. Um den Vereinnahm­ungsversuc­hen von Extremiste­n etwas entgegenzu­setzen, wollen Jugendarbe­iter selbst mehr im Netz aktiv werden – und ein Bewusstsei­n für Fake-News und Fake-Fotos schaffen.
Propaganda im Internet zielt oft höchst profession­ell auf Jugendlich­e ab. Um den Vereinnahm­ungsversuc­hen von Extremiste­n etwas entgegenzu­setzen, wollen Jugendarbe­iter selbst mehr im Netz aktiv werden – und ein Bewusstsei­n für Fake-News und Fake-Fotos schaffen.

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