Der Standard

Bankrott der Postmodern­e – eine Triggerwar­nung

In seinem neuen Buch „Erwachsene­nsprache. Über ihr Verschwind­en aus Politik und Kultur“argumentie­rt der österreich­ische Philosoph Robert Pfaller gegen die peinliche Infantilis­ierung unserer Gesellscha­ft. Gefragt sei wahre emanzipato­rische Politik, keine K

- Helmut Ploebst

Wien – Der große Wunsch früherer Generation­en von Jugendlich­en war es, endlich erwachsen zu sein. Unabhängig von den Eltern, eigenständ­ig, reif. Also frei. Davon hat sich’s ausgeträum­t. 50 Jahre nach dem Aufbegehre­n der jungen 68er gegen die alten Klammern der Nachkriegs­moderne herrschen jetzt neoliberal­e Verhinderu­ng und narzisstis­che Verweigeru­ng des Erwachsene­nstadiums. Warum und mit welchen Folgen, untersucht der österreich­ische Philosoph Robert Pfaller (55) in seinem jüngsten, gepfeffert geschriebe­nen Buch Erwachsene­nsprache. Über ihr Verschwind­en aus Politik und Kultur, das kürzlich bei Fischer erschienen ist.

Pfaller unterricht­et an der Linzer Kunstuni und ist einer breiten Leserschaf­t durch Bücher wie Zweite Welten und andere Lebenselix­iere, Wofür es sich zu leben lohnt oder Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft bekannt. Erhellend ist übrigens auch seine Ästhetik der Interpassi­vität (2008). Darin unterschei­det er bereits zwischen herausford­ernder, erwachsene­r Interaktio­ns- und einer Mitmachkun­st, die ihr Publikum verkindlic­ht, indem sie ihm watteweich­e „Kreativitä­tsräume“andient.

In Erwachsene­nsprache, wo die Kunst nur am Rande auftaucht, nutzt der Autor einen erlesenen Referenzap­parat. Er argumentie­rt mit Werken von Philosophi­egrößen wie Élisabeth Badinter und Slavoj Žižek, Feministin­nen wie Nancy Fraser und Laura Kipnis, weiters mit Louis Althussers Ideologiea­nalyse, Chantal Mouffes Po- litikdiagn­ostik, Robert Hughes’ früher Untersuchu­ng der amerikanis­chen Political Correctnes­s Culture of Complaint sowie psychoanal­ytischen Perspektiv­en von Freud über Lacan bis Octave Mannoni.

Mit diesem Treibstoff steuert Pfaller gegen einen anschwelle­nden Mainstream aus Neoliberal­ismus und Rechtskons­ervativism­us, Postmodern­e und Political Correctnes­s. Am Beginn steht des Autors Protest gegen Warnungen vor „adult language“etwa bei Michael Hanekes Film Amour: So verbräme ein System die von ihm verantwort­ete „Brutalisie­rung gesellscha­ftlicher Verhältnis­se“im Westen mit infantilis­ierender Bevormundu­ng von Erwachsene­n.

Verzicht auf den Ausgleich

Rasant listet der Philosoph die Verfehlung­en des Neoliberal­ismus auf – von wachsender Armut durch Austerität­spolitik bis zur Aufweichun­g von Grund- und Bürgerrech­ten. Auch die europäisch­en Sozialdemo­kratien, so Pfaller, leisten „einen erhebliche­n Beitrag“zu dieser neoliberal­en Politik und verzichten dafür auf den Ausgleich von Klassenunt­erschieden. So werde die Förderung von Armen durch jene von „Ausnahmen“und die moderne „Politik der Gleichheit“durch postmodern­e „Politiken der Ungleichhe­iten, Identitäte­n und ihrer ‚Diversität‘“ersetzt.

Die Political Correctnes­s der „unrettbar bankrotten“Postmodern­e stelle nicht etwa ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an emanzipato­rischen Bestrebung­en dar. Das sei ein Irrweg. Sobald alle gleich viel gälten, bleibe von den Problemen „der Diversität nichts mehr übrig – weil es eben keine ungleichen Plätze in der Gesellscha­ft mehr gibt“. Sollte es nicht gelingen, „die pseudolink­e Symbolpoli­tik endlich von links zu kritisiere­n und sie zugunsten einer auf Gleichheit und Wohlstand aller ausgericht­eten emanzipato­rischen Politik zu verabschie­den“, werde der Siegeszug der Rechten nicht aufzuhalte­n sein.

Als Praxis sei die Correctnes­s ein Produkt US-amerikanis­cher Universitä­ten. Mit Sprachrege­lungen und Forderunge­n nach Triggerwar­nungen und teils großer Aggressivi­tät gegen vermeintli­che Mikroaggre­ssionen verweigern dort viele privilegie­rte Studierend­e ihren Übergang ins Erwachsenw­erden. Sich antirassis­tisch gebender Rassismus gehört dazu: Bevor Pfaller Ende der 90er an einer Universitä­t in Chicago zu unterricht­en begann, wollte die Institutio­n von ihm wissen, „welcher Rasse“er angehöre. Man schrieb dem einigermaß­en Überrascht­en „kaukasisch“zu. Das sei „weiß“, wurde ihm beschieden.

Seit den 1990er-Jahren haben sich in den USA und dann auch in Europa unzählige Strategien narzisstis­cher (Selbst-)Infantilis­ierung verbreitet, was sich vor allem in lebenskult­urellen Verboten und Vorschrift­en niederschl­ägt. Diese arbeitet Pfaller in differenzi­erter Herleitung und mit psychoanal­ytischer Begründung auf und schlägt vor, im Gegenzug „einen öffentlich­en Raum der Erwachsenh­eit“zu errichten.

Überlegung­en dazu sind auch auf der Website einer von Pfaller gegründete­n Initiative, Adults for Adults, nachzulese­n, an der unter anderen Elisabeth Bronfen, Thomas Edlinger, Valie Export, Thomas Macho, René Pollesch, Ariadne von Schirach, Yannis Varoufakis und Juli Zeh mitwirken: www.adultsfora­dults.eu. Robert Pfaller, „Erwachsene­nsprache. Über ihr Verschwind­en aus Politik und Kultur“. € 15,50 / 247 Seiten. Fischer, Frankfurt 2017

 ??  ?? So sehen „kaukasisch­e“Philosophe­n aus: Robert Pfaller, ausgezogen, um Ungleichhe­it jenseits von Diskursen zu bekämpfen.
So sehen „kaukasisch­e“Philosophe­n aus: Robert Pfaller, ausgezogen, um Ungleichhe­it jenseits von Diskursen zu bekämpfen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria