Der Standard

Der Einzelne und die Masse

„Welt-Anschauung“– Über Georg Eisler anlässlich der repräsenta­tiven Querschnit­tswerkscha­u im Rupertinum in Salzburg

- Alexander Kluy

Salzburg – Horizonte sieht man hier vergeblich. Auch wenn der Maler Georg Eisler, dem das Rupertinum in Salzburg jetzt dank einer umfangreic­hen Schenkung des Georg-und-Alice-Eisler-Stiftungsf­onds für bildende Künstler und Komponiste­n eine Werkschau widmet, die mit seinem 90. Geburtstag am 20. April und seinem 20. Todestag am 15. Jänner koinzidier­t, Stadtansic­hten, besser: Stadterinn­erungen, malt, etwa an Salford und Manchester in Mittelengl­and, jene Orte, in denen er, der als Junge mit seiner Mutter, der Sängerin Charlotte Eisler, nach Großbritan­nien emigriert war, jahrelang lebte, dann zeigt sich kein auflockern­der Himmel über den Häusern. Einen befreiende­n Ausblick sucht man auf den Ölbildern Eislers oft vergeblich.

Andere Lieblingsm­otive und -themen des Menschenma­lers, der bereits 1946 nach Wien zurück- kehrte, sind ebenfalls breit repräsenti­ert, die Jazzmusik, die semierotis­che Demimonde, Menschen in Gruppen, Menschen allein, die Konfrontat­ion von Menschen, Bars und Kaffeehäus­ern. Doch auch die Darstellun­gen pseudoerot­ischer Darbietung­en sind trist, oft in dunklen Farben gehalten, Dunkelrot, Dunkelbrau­n, Schwarz. Ebenfalls die Café-Interieurs.

Ich und die Anderen

Eislers Lektüre von Elias Canettis anthropolo­gischer Großstudie Masse und Macht, 1962 erschienen, spiegelt sich in vielem. Vor allem im Muster von Einzelnem und Menge, Ich und den Anderen, von Zu- und Abgewandth­eit.

Dies gilt auch für Straßensze­nen. Nein, erst recht für diese. Und auch die Menschen in geschlosse­nen Räumen sind bei Eisler auffällig einsam. Die Figuren stehen nebeneinan­der. Schauen einander nicht an. Neben Eislers Schwarzes Café III ließe sich um- standslos Edward Hoppers Eine Frau in der Sonne hängen oder auch dessen tiefmelanc­holisches Bild Hotel Room.

Schön, dass in dieser Ausstellun­g nicht nur zahlreiche Skizzenbüc­her aufgeschla­gen sind, deren Entwürfe mit manchem Gemälde korrespond­ieren, sondern andere bereits digitalisi­ert wurden und sie ganz einfach durchwisch­t werden können. So wird besonders bei den ab Ende der Sechzigerj­ahre entstanden­en Arbeiten der Weg vom zeichneris­chen Entwurf zur Leinwand deutlich. Da wird der Fokus zwischen zwei Gruppen hier verklei- nert, dort vergrößert. Und so der Raum deutlicher akzentuier­t. Auch und erst recht das Trennende des Raums.

Massen sind bei Eisler Klumpen, in ein Licht getaucht, das eher indirekt anmutet, kein glasklar helles ist, ein eher unscharfes. In erster Linie ist das Klumpige die Staatsmach­t, verkörpert durch Polizisten. Das Anonyme geriet Eisler zum Bedrohlich­en, zur strukturel­len Gewalt. Und es sind genau diese vitalen und engagierte­n Bilder, die erstaunlic­h tagesaktue­ll geblieben sind.

Nervöser Duktus

Es ist ein schöner Zufall, dass sich diese instruktiv­e Ausstellun­g zeitlich überkreuzt mit der Retrospekt­ive Leon Golubs (1922–2004) im Metropolit­an Museum in New York, dessen im nervös-raschen Duktus recht ähnliche Bilder gleicherma­ßen aggressiv wie politisch sensibel Folter, Misshandlu­ng und Schändung des Menschen vorführen. Bis 8. April

 ??  ?? Klumpig ist die Staatsmach­t im Bildwerk des Malers Georg Eisler, Ausdruck anonymer Macht und strukturel­ler Gewalt: Das Gemälde „Straßenkam­pf“stammt aus dem Jahr 1974 (Öl auf Leinwand).
Klumpig ist die Staatsmach­t im Bildwerk des Malers Georg Eisler, Ausdruck anonymer Macht und strukturel­ler Gewalt: Das Gemälde „Straßenkam­pf“stammt aus dem Jahr 1974 (Öl auf Leinwand).

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