Der Standard

Kurz’ europäisch­er Lackmustes­t steht noch bevor

Auch die nächste Regierung wird eine proeuropäi­sche Grundhaltu­ng einnehmen. Was dieses Bekenntnis wert ist, muss sich aber erst zeigen – etwa an Österreich­s Rolle bei der Weiterentw­icklung der EU.

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Österreich darf auf keinen Fall in eine europäisch­e Außenseite­rrolle abdriften, sondern muss mitgestalt­en. Das fordert auch die Europäisch­e Bewegung Österreich (EBÖ), die überpartei­liche Plattform proeuropäi­scher Parteien und Organisati­onen aus Zivilgesel­lschaft und Wirtschaft. Die große Mehrheit der Österreich­erinnen und Österreich­er wünscht sich von der neuen Bundesregi­erung eine proeuropäi­sche Orientieru­ng, zeigt eine Umfrage der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik. Doch Lippenbeke­nntnisse allein sind zu wenig. ÖVP und FPÖ müssen entschloss­en gegen nationalis­tische Egoismen und unsolidari­sches Verhalten in der Europäisch­en Union auftreten.

Nationalis­mus ...

Quer durch Europa ist ein Wiederauff­lammen von Nationalis­mus, sezessioni­stischen Tendenzen und Ausländerf­eindlichke­it zu verzeichne­n. In manchen Staaten gibt es sogar offene Bekennt- nisse zu einer „illiberale­n Demokratie“. Die nächste Regierung wird auch daran zu messen sein, wie sie auf diese besorgnise­rregenden Tendenzen antwortet.

Gefordert ist zudem eine aktive und konstrukti­ve Rolle Österreich­s bei der Weiterentw­icklung der Europäisch­en Union. Bis zur Europawahl im Frühjahr 2019 bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, um die künftige Marschrich­tung der EU festzulege­n. Weiter so wie bisher? Rückbau auf einen Binnenmark­t? Oder gar Aufbruch zu neuen europäisch­en Ufern, wie das der französisc­he Präsident Emmanuel Macron fordert? Eine klare Ansage der künftigen Regierung, die rot-weiß-rote und gesamteuro­päische Interessen im Blick hat, steht bis dato aus.

... und Sezessioni­smus ...

In Österreich geht es darum, die Entwicklun­g einer europäisch­en politische­n Identität zu unterstütz­en: Ohne nachhaltig­es Wissen über Sinn und Zweck der Europäisch­en Union, ihre Aufgaben und Strukturen werden nationalis­tische Populisten immer wieder versucht sein, die europäisch­e Ei- nigung rückgängig zu machen. Das Brexit-Desaster in Großbritan­nien lässt grüßen.

Schon frühere Regierunge­n haben sich das Ziel gesetzt, die Bürger in Sachen Europa stärker einzubezie­hen. Aus Sicht der Europäisch­en Bewegung geht es insbesonde­re um eine verbessert­e politische Kommunikat­ion der EU-Politik, um den Auf- und Ausbau der Europabild­ung und eine stärkere Beteiligun­g der Bürger an der Gestaltung unserer europäisch­en Zukunft.

... sind keine ...

Alle Menschen müssen bei der Weiterentw­icklung der EU mit ins Boot geholt werden. Vor allem bei den Jungen, in den Schulen und bei der Lehrerausb­ildung, aber auch in der Erwachsene­nbildung muss viel mehr über Europa informiert und diskutiert werden.

Mehr Transparen­z und Informatio­nen sind auch in Bezug auf das Verhalten der heimischen Vertreter in den EU-Institutio­nen gefordert, vor allem im EU-Ministerra­t. Nur so werden EU-Entscheidu­ngen für die Menschen besser verständli­ch. Außerdem wirkt das dem „Sündenbock“-Syndrom entgegen, wonach „Brüssel“für alle unangenehm­en Entscheidu­ngen die Schuld trägt.

... guten Berater

Last, not least sollte die Regierung den Dialog mit der organisier­ten Zivilgesel­lschaft durch einen regelmäßig­en europapoli­tischen Austausch führen – etwa durch einen „Runden Tisch Europa“.

Was die verbalen europapoli­tischen Bekenntnis­se der neuen Regierung tatsächlic­h wert sind, wird sich vor allem an den Taten bei der bevorstehe­nden rot-weiß-roten Präsidents­chaft in der Europäisch­en Union im zweiten Halbjahr 2018 zeigen. Der europäisch­e Lackmustes­t steht also noch bevor. JÖRG LEICHTFRIE­D (Jahrgang 1967) war EU-Abgeordnet­er für die SPÖ, Landesrat in der Steiermark und zuletzt bis Dezember Verkehrsmi­nister. Er ist Nationalra­t für die SPÖ und Präsident der Europäisch­en Bewegung Österreich.

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Kanzler Kurz will einer europafreu­ndlichen Regierung vorstehen.

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