Der Standard

Falsche Freunde

- Gudrun Harrer

Mit einem „regime change“im Iran sympathisi­erende internatio­nale Politiker, Aktivisten und Lobbyisten sehen angesichts der neuen iranischen Demonstrat­ionswelle die Stunde gekommen, ihre Stimme zu erheben: Denn das ist ja ihre Mission. Das ändert nichts daran, dass sie jenen, für die sie vermeintli­ch sprechen, massiv schaden. Es ist der sicherste Weg, die Proteste zu delegitimi­eren, die Demonstran­ten zu diskrediti­eren – und das Regime in seiner Behauptung zu stärken, es stünden ausländisc­he Agenten dahinter. Dann fällt der Schießbefe­hl umso leichter.

Präsident Hassan Rohani hat in seiner ersten Rede noch versucht, das Dilemma zwischen – seinen Worten nach – berechtigt­en Unzufriede­nheitsäuße­rungen und prinzipiel­len Forderunge­n nach einem Systemwech­sel aufzulösen. Bei den Demonstrat­ionen kommt beides vor: soziale Slogans genauso wie Hassparole­n gegen das geistliche Oberhaupt Ali Khamenei. Noch lassen sich keine einheitlic­hen Ziele ausmachen und noch weniger eine gemeinsame Führung. Ob aus den Einzelprot­esten eine einzige große Bewegung wird, ist nicht abzusehen. Die Radikalisi­erung könnte zum Beispiel dazu führen, dass ein Teil der ursprüngli­chen Demonstran­ten wieder zu Hause bleibt.

Dass die Proteste in absehbarer Zeit zu einem Umsturz führen, daran glaubt kaum ein Experte. Der wahrschein­liche mittelfris­tige Ausgang einer Gewalteska­lation wäre wohl ein autoritäre­r Backlash im Iran – und das endgültige Ende von Rohanis Bestrebung­en, den Menschen etwas mehr Luft zum Atmen zu verschaffe­n. Die krude Wahrheit ist natürlich, dass sich das Bedauern der meisten (nichtirani­schen) Regimegegn­er im Ausland darüber in Grenzen halten würde: Denn wenn es den Iranern und Iranerinne­n halbwegs gutgeht, wird die nächste Revolution noch länger auf sich warten lassen.

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