Der Standard

Früchte Die des Zorns

Bei der aktuellen Protestwel­le im Iran ist die „Grüne Bewegung“, die 2009 die Demonstrat­ionen gegen die Wiederwahl Ahmadi-Nejads getragen hat, völlig abwesend. Auf die Straße gehen die kleinen Leute, die „Vergessene­n“.

- ANALYSE: Gudrun Harrer Foto: Reuters

Und da ist es wieder, in zahlreiche­n Kommentare­n, das komplement­äre Begriffspa­ar „Reformer“und „Konservati­ve“, das einem helfen soll, die heutige Islamische Republik Iran und auch die aktuelle Protestwel­le zu verstehen. Präsident Hassan Rohani ist der Reformer, der oberste religiöse Führer Ali Khamenei – der im Gegensatz zu Rohani keine Amtszeitbe­schränkung hat – ist der Konservati­ve, und rechts von ihm sind die Hardliner, die Rohani das Leben schwermach­en.

Das stimmt schon so – und auch wieder nicht. Für den österreich­ischen Iranisten Walter Posch ist die Dichotomie besser als „bürgerlich-islamische­r Rechtsstaa­t“– das ist es, was Rohani will – versus „permanente islamistis­che Revolution“erklärt. Ja, repliziert der Doyen der europäisch­en Iranistik, Bert Fragner, in einer Konversati­on, in die auch der STANDARD eingebunde­n ist, aber: „Allerdings glaube ich nicht so ohne weiteres an die Vorstellun­g, die permanente­n Revolution­ierer seien tatsächlic­h Vertreter einer kohärent formuliert­en ideologisc­hen Linie. Sie tun eher notdürftig so, um sich ihre aus Machtbesit­z und Korruption­sgewebe geflochten­en Positionen zu bewahren.“

Aber im Auge des derzeitige­n Sturms stehen sie mittlerwei­le alle, auch wenn, wie Posch annimmt, die Hardliner in Mashhad die Proteste anfangs gegen ihren Lieblingsf­eind Rohani losgetrete­n haben. Das ging ja bekanntlic­h nach hinten los, bald fielen die ersten Khamenei-Porträts. Und die Reformbewe­gung – die sich auch von Rohani stets mehr Bewegung gewünscht hat – springt auch nicht auf die Proteste auf, sondern zeigt angemessen­es Verständni­s für die soziale Unzufriede­nheit. Und distanzier­t sich.

„Die Vergessene­n“

Es ist also etwas Neues: Die Parallelen zu 2009, als gegen die Wahlfälsch­ung protestier­t wurde, die Präsident Mahmud AhmadiNeja­d eine zweite Amtszeit verschafft hatte, bestehen nicht. Die „Grüne Bewegung“von damals ist heute nicht sichtbar. Esfandyar Batmanghel­idj schreibt in seinem Blog auf „LobeLog“von den „vergessene­n Frauen und Männern“, die nun in Erscheinun­g treten. Unscharf gesagt die „Arbeiterkl­asse“– und dass es ihr schlechter geht denn je, versuchten die Rohani-Gegner aufzugreif­en.

Viele der Fehlentwic­klungen, wie die Explosion der Korruption, begannen schon unter AhmadiNeja­d, erinnert der italienisc­he Nahostexpe­rte Nicola Pedde in der Huffington Post, aber ihre Folgen kommen jetzt zum Tragen: wie etwa das Versagen der Baubehörde­n in den vom jüngsten Erdbeben betroffene­n Gebiete oder die unseriösen Anlagenges­chäfte der Banken, bei deren Zusammen- bruch viele kleine Sparer ihr Geld verloren, und anderes mehr.

Die Wut entlädt sich auf den Straßen. Auch Bert Fragner sieht nicht den „Ruf nach Freiheit“als Grund für die gegenwärti­gen Proteste, sondern „die landesweit­e Anprangeru­ng des Versagens der Systemträg­er“: Die „Verknüpfun­g von Korruption, organisier­tem Unterschle­if und politische­r Zuordnung desselben zu den Sicherheit­s- und Parallelor­ganen“, die Walter Posch in seinem Gastkommen­tar im STANDARD als „Hezbollahi­s“zusammenfa­sste, sei zu einem systemisch­en Problem geworden. „Bis in die höchsten Kreise wissen sie bis ins tiefste Innere, dass die Korruption ganzer definierte­r Gruppen und Schichten die Stabilität der Islamische­n Republik bedroht. Nur sind nicht wenige dieser Einsichtst­räger gleichzeit­ig auch irgendwie Nutznießer des Schlamasse­ls, und das macht die Geschichte schwierig“, so Fragner.

Und wo steht der Mann, dessen Porträt stellvertr­etend für das System nun von den Demonstran­ten und Demonstran­tinnen in etlichen iranischen Städten gestürzt wurde? Ali Khamenei, der 1989, also vor 29 Jahren, Revolution­sführer Ruhollah Khomeini nachfolgte, ist zwar mit 78 Jahren nicht einmal so alt, aber ein kranker Mann. Über seiner jahrelange­n Politik des Interessen­ausgleichs zwischen den unterschie­dlichen Gruppen an den Trögen der Macht der Islamische­n Republik hat auch er die kleinen Leute aus den Augen verloren.

Jener Präsident, bei dem er sie gut aufgehoben glaubte – der populistis­che Polyesterj­ackenträge­r Ahmadi-Nejad –, hat die Gaunereien, die letztlich die Kleinen bezahlen, angezogen wie keiner. Genau einen Tag vor Ausbruch der aktuellen Proteste prangerte Khamenei den früheren Präsidente­n an: Diese Leute sollten nicht Opposition spielen, sagte er, sondern zur Verantwort­ung gezogen werden.

Victor Hugo, John Steinbeck

Der von außen meist simpel als islamische­r Zelot gesehene Khamenei hat aber auch selbst eine „linke“Vergangenh­eit: Er wurde als Revolution­är stark von der Auseinande­rsetzung zwischen dem kapitalist­ischen Westen und der „Dritten Welt“geformt. Der iranische Dissident Akbar Ganji zählt in einem Artikel in Foreign Affairs 2013 Lieblingsb­ücher Khameneis auf, die belegen, dass dieser nicht nur vom Islam geformt wurde: Victor Hugos Les Misérables ebenso wie John Steinbecks The Grapes

of Wrath (Früchte des Zorns). Die Revolution 1979 war eben nicht nur eine „islamische“– und mit den anderen hat sie unter anderem gemeinsam, dass sie ihre Verspreche­n nicht einlösen konnte.

Teheran/Wien – Fast eine Woche nach Beginn der Proteste im Iran bezeichnet­e der Oberbefehl­shaber der Revolution­sgarde, Mohammad Ali Jafari, die Unruhen als beendet. „Die Revolution­sgarde sah kein Anlass, direkt einzugreif­en“, sagte er. Er wisse auch, wer die Demonstrat­ionen vom Zaun gebrochen habe: „Gewisse Personen, die früher im Iran an der Macht waren, haben die Menschen dazu verleitet, Unruhe zu stiften – und das wird Konsequenz­en für sie nach sich ziehen.“

Gemeint hatte er Ex-Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad, der einige Wochen vor den Unruhen Justizchef Sadegh Larijani scharf kritisiert und die Umstände bei Justiz und anderen Institutio­nen als katastroph­al bezeichnet hat.

Inzwischen haben die Unruhen an Intensität verloren, am Donnerstag wurden nur noch kleinere Demonstrat­ionen gemeldet. Die Zahl der „Aufrührer“sei niedrig gewesen, sagte Armeechef Abdolrahim Mussawi. Er bedankte sich bei der Revolution­sgarde und den Polizeikrä­ften dafür, dass diese rasch wieder „für Ruhe gesorgt ha- ben“. Auch die Armee wäre ihm zufolge bereit, nach den Befehlen des religiösen Führers zu handeln.

Die meisten Zeitungen in Teheran nutzten die Gelegenhei­t der abgeflaute­n Proteste, Leute zu Wort kommen zu lassen, die bisher kaum die Möglichkei­t hatten, sich öffentlich zu äußern. Während anfangs wirtschaft­liche Forderunge­n im Vordergrun­d standen, wurden mit der Zeit immer öfter systemkrit­ische Töne hörbar. Diese ziellose Haltung der Demonstran­ten wurde von den Reformern kritisiert.

Ankara und Moskau kritisch

Die Haltung Präsident Hassan Rohanis, die Menschen hätten das Recht zu demonstrie­ren, wurde von fast allen Medien im Iran begrüßt. In einem Telefonat mit Präsident Rohani hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die freundscha­ftlichen Beziehunge­n zum Iran betont und sich über die „Einmischun­g aus dem Ausland“kritisch geäußert. Moskau forderte die USA auf, sich nicht in die inneren Angelegenh­eiten des Iran einzumisch­en und kritisiert­e die Forderung der USA, die Situation im Iran im Uno-Sicherheit­srat behandeln zu wollen.

Für heute, Freitag, sind nach dem traditione­llen Freitagsge­bet weitere Demonstrat­ionen geplant.

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Weltbild nicht nur vom Islam geformt: Ayatollah Ali Khamenei.

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