Der Standard

Das überschätz­te EU- Gespenst von Visegrád

Trotz Drohungen ist Einfluss von Polen und Ungarn bei Partnern in Europa sehr gering

- ANALYSE: Thomas Mayer

Roter Teppich, martialisc­he Musik, ein befreundet­er Premiermin­ister aus Osteuropa, ein gemeinsame­r Feind, deutliche Worte: Das sind Zutaten zu einer Stimmung, in der sich Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán besonders wohl fühlt. Kein Wunder, dass er den Besuch seines neuen polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki in Budapest nutzte, um der Europäisch­en Union zu drohen. Er selbst, Polen, alle Mitgliedst­aaten der Visegrád-Gruppe wollten mehr Einfluss in der Union.

Deren Migrations­politik sei „spektakulä­r gescheiter­t“, wurde Orbán zitiert. Für 2018 erwartet er „ein Jahr großer Konfrontat­ionen“. Denn die meisten EU-Staaten („das Imperium“) wollten Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei (den V4) die Umverteilu­ng von Flüchtling­en „aufzwingen“. So kennt man ihn seit 2010, als er – kaum im Amt – die Union durch Brechen von EU-Regeln herausgefo­rdert hatte. Nach Klagen der EUKommissi­on und Urteilen des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) „reparierte“er die Gesetze wieder.

Bei EU-Gipfeln wurde er zuletzt nur von Morawiecki-Vorgängeri­n Beata Szydło unterstütz­t, die ihr Land selbst in die Isolation führte: Wegen des Verdachts auf Bruch des EU-Rechtsstaa­tlichkeits­prinzips leitete die Kommission die erste Stufe des Verfahrens auf Stimmrecht­sentzug im EU-Rat ein. Dennoch hält sich die Vermutung, die Visegrád-Staaten könnten die weitere EU-Integratio­n stoppen. Wahrschein­lich ist das nicht.

Erstens: Mit dem EU-Austritt Großbritan­niens 2019 verlieren die Euroskepti­ker um Orbán ihren mächtigste­n Verbündete­n.

Zweitens: Die Visegrád-Staaten, allesamt Nettoempfä­nger von EUGeldern, sind in sich überhaupt nicht einig. Zwar lehnen alle Quoten zur Flüchtling­sverteilun­g ab, aber der slowakisch­e Premier Robert Fico hat in Brüssel deponiert, der Slowakei sei die Euromitgli­edschaft wichtiger als Visegrád.

Drittens: Gegen die Spekulatio­n, dass sich Österreich mit der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung nun Orbán und Co anschließt, spricht die Realpoliti­k. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz legte kurz nach seiner Angelobung bei drei EU-Präsidente­n ein ungeteilte­s Bekenntnis zur Union ab. In zehn Tagen reist er nach Paris und Berlin zu Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel und will deren gemeinsame proeuropäi­sche Reforminit­iative demonstrat­iv unterstütz­en. Visegrád spielt dabei nur eine Nebenrolle als Gespenst.

 ??  ?? Polens neuer Premier Mateusz Morawiecki (li.) reiste nach Ungarn, polterte aber nicht so laut gegen die EU wie Viktor Orbán (re).
Polens neuer Premier Mateusz Morawiecki (li.) reiste nach Ungarn, polterte aber nicht so laut gegen die EU wie Viktor Orbán (re).
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria