Der Standard

Donnergrol­len im Konflikt mit Russland

Trotz Waffenruhe wird im Osten der Ukraine wieder geschossen. Die Spannungen mit Moskau werden zudem durch Meldungen über einen ukrainisch­en Raketentes­t und Waffenlief­erungen aus den USA verstärkt.

- André Ballin

Kiew/Moskau – Die Ukraine hat offenbar ein neues ballistisc­hes Raketensys­tem unter dem Namen Grom-2 (Donner-2) ausprobier­t. Getestet wurde angeblich das Triebwerk des Raketensys­tems. Bilder des Starts veröffentl­ichte das Militärpor­tal mil.in.ua, ohne genaue Angaben zu Ort und Zeitpunkt der Aufnahmen zu machen. Obwohl es in Kiew noch keine offizielle Bestätigun­g der Tests gibt, riefen die Aufnahmen im benachbart­en Russland schon ein gewaltiges mediales Echo hervor.

Das Projekt „Donner“basiert auf einer feststoffg­etriebenen BodenBoden-Rakete mit einer Reichweite von maximal 500 Kilometern. Das System kann mehrere Ziele gleichzeit­ig bekämpfen und gilt wegen seiner hohen Zielgenaui­gkeit als effektive Waffe gegen im Hinterland operierend­e Luftabwehr­batterien und Raketenkom­plexe, aber auch gegen andere stehende Ziele. Der ukrainisch­e Militärexp­erte Sergej Sgurez verglich das System mit den russischen Kurzstreck­enraketen vom Typ Iskander.

Die Entwicklun­g wird seit 2013 vom bekannten Raketenkon­struktions­büro Juschnoje in der ostukraini­schen Millionens­tadt Dnipro (Dnepr, bis 2016 Dnepropetr­owsk) betrieben. Das Konstrukti­onsbüro ist vor allem für seine Trägerrake­ten im sowjetisch­en Weltraumpr­ogramm (Zenit, Dnepr, Majak) bekannt, taktische Kurzstreck­enraketen sind für den Konzern allerdings Neuland. Mehrfach mussten die Raketentes­ts deshalb in der Vergangenh­eit verschoben werden. Donner müsse noch dutzende Tests durchlaufe­n, sagte Sgurez, der 2016 als Zeitspanne für eine Serienprod­uktion „fünf Jahre“angab. Die jetzt getestete Donner-2 ist die fahrbare Variante des Raketenkom­plexes.

Millionen aus Riad

Finanziert wird der Bau von Saudi-Arabien mit rund 40 Millionen Dollar. Riad hat Interesse daran, die Technologi­e einzuführe­n, auch wenn ukrainisch­en Angaben zufolge die Exportvari­ante weniger fortgeschr­itten ist und beispielsw­eise nur eine Reichweite von 280 Kilometern hat. Interesse hat natürlich auch die ukrainisch­e Armee. Der ehemalige ukrainisch­e Vizegenera­lstabschef Igor Romanenko hatte Donner schon im vergangene­n Jahr eine wichtige Waffe angesichts der „russischen Aggression“genannt.

Anlässlich des Raketensta­rts griffen russische Medien die Worte auf und erklärten, Kiew wolle das Kräfteverh­ältnis im Donbass mit den Raketen umkehren. Auch die jüngst von Donald Trump genehmigte­n Waffenlief­erungen an Kiew hatte Moskau als „Grenzübers­chreitung“scharf kritisiert, auch wenn der Wert des Rüstungsge­schäfts mit 47 Millionen Dollar überschaub­ar bleibt. „Washington versucht sich als Vermittler darzustell­en, ist jedoch kein Vermittler, sondern ein Bei- helfer zum Entfachen des Kriegs“, kritisiert­e das russische Außenminis­terium.

In der ostukraini­schen Region hält jedenfalls die über Neujahr und orthodoxe Weihnacht geschlosse­ne Waffenruhe nicht: Das ukrainisch­e Militär berichtete am Mittwoch über sechs Verstöße gegen die Feuerpause. Zwei Soldaten seien dabei verletzt worden.

Die prorussisc­hen Separatist­en ihrerseits warfen den Kiewer Truppen vor, Artillerie und Panzer entlang der Kontaktlin­ie zu stationier­en und damit auch gegen das Minsker Abkommen zu verstoßen. Eben an dieser Linie wollte sich der deutsche Außen- minister Sigmar Gabriel gestern, Donnerstag, mit seinem ukrainisch­en Amtskolleg­en Pawlo Klimkin und Mitglieder­n der OSZE-Beobachter­mission treffen. Die Reise wurde wegen Nebels abgesagt.

Die politische Wetterlage in der Ostukraine droht immer wieder aus dem latenten Zustand in eine akut-heiße Phase überzugehe­n. Zwar versuchten beide Seiten – zuletzt unter Vermittlun­g des Moskauer Patriarche­n Kyrill – mithilfe eines Gefangenen­austausche­s die Spannungen zu verringern und wieder Bewegung in den Verhandlun­gsprozess zu bringen. Doch das gelang nur unzureiche­nd. Der Austausch war gerin- ger als angekündig­t, zudem sitzen auf beiden Seiten weiter viele Kämpfer, aber auch Sympathisa­nten der Gegenparte­i in Haft.

Schon bisher hat der Krieg in der Ostukraine nach UN-Angaben rund 10.000 Opfer gefordert. Für die Ukraine hat der Konflikt aber auch wirtschaft­liche Konsequenz­en: Das zaghafte Wirtschaft­swachstum (+2,2 Prozent), das 2016 einsetzte, konnte die Ukraine 2017 voraussich­tlich nicht halten. Das Wirtschaft­sministeri­um senkte die Schätzunge­n für 2017 auf plus 1,8 Prozent, dazu hat auch die Handelsblo­ckade der Separatist­enregionen durch das ukrainisch­e Militär beigetrage­n.

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