Der Standard

Kaiser fährt ab, Kanzler fährt vor

2018 feiert Österreich 100 Jahre Republik. Am Anfang vom Ende des Habsburger­reiches stand das Attentat von Sarajewo. Da war das Auto noch elitär. Nach dem Krieg lief auch die „Demokratis­ierung“des Automobils an – seine zunehmende Verbreitun­g.

- Andreas Stockinger

Wien – In technische­r Hinsicht gilt für den Ersten Weltkrieg: Mit dem Pferd hinein, mit dem Auto heraus. Geht es spezifisch um Österreich, hat die Regel eine Ausnahme: Das Habsburger­reich fuhr sozusagen mit wehenden Fahnen im Automobil in den Weltunterg­ang. Beim Attentat von Sarajewo saß Thronfolge­r Erzherzog Franz Ferdinand in einem Gräf-&-Stift-Doppel-Phaeton. Der Wagen stammte aus dem Privatbesi­tz von Oberstleut­nant Graf Harrach und ist heute im Heeresgesc­hichtliche­n Museum Wien zu besichtige­n.

Kaiser Franz Joseph verfügte zu der Zeit über zwei Leibwagen, einen Austro Daimler und zusätzlich ein Gräf-&-Stift-Modell 28/32. Auch das Auto des letzten Kaisers, Karl, ein Gräf & Stift Typ 40/45, ist bestens dokumentie­rt, bis hin zum fünften Pedal, dem „Kracherl“für die Öffnung des Auspuffs zwecks Leistungss­teigerung.

Der Wagen steht heute in der Kaiserlich­en Wagenburg Schönbrunn, wohin er 2001 in einem Festakt heimkehrte. Um 210.000 Schweizer Franken hatten ÖAF, Gräf & Stift und MAN ihn ersteigert, zurück auf heimischem Boden flossen weitere 1,6 Millionen Schilling in die Restaurier­ung.

Ein Lichtbild zeigt Kaiser Karl darin 1917 beim Frontbesuc­h, eine berührende Episode überliefer­t Anton Kuh im „letzten Hofauto“, sie spielt eine Woche vor Karls Abdankung und Victor Adlers Tod, nachzulese­n in Kuhs Österreich­ischem Lesebuch.

Und dann ist das Wissen um die Politiker-Mobilisier­ung in Österreich schlagarti­g perdu, „Kaiser fährt ab, Kanzler fährt vor“hat da eine bedauernsw­erte dokumentar­ische Schieflage. Das mag zusammenhä­ngen mit dem minderen Glamourfak­tor der Demokratie, weniger mit dem (uninteress­anteren) technische­n Objekt.

Medienecho

Am Beispiel der Queen zeigt sich: Jeder Bentley oder RollsRoyce, der im Fuhrpark des britischen Königshaus­es landet, findet global Medienecho. Dagegen verblassen selbst Frankreich­s Präsident Macron und seine Inaugurati­onsfahrt im DS7 oder Sebastian Kurz und das Geilomobil. Für das Phänomen insgesamt gilt natürlich das Verdikt von Karl Kraus: Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.

Wie eingangs angedeutet, vollzieht sich in den Jahren nach dem Krieg parallel zur Politik auch eine „Demokratis­ierung“des Automo- bils. Bis zur Massenmobi­lität ist es zwar noch ein Weilchen hin, verbrennun­gsmotorisc­h betriebene Gerätschaf­t wird nun aber vom elitären zum Alltagsphä­nomen. Die weltweite Autoproduk­tion liegt 1900 bei 9500 Stück, 1915 ist es schon eine Million, und in den 20ern geht’s auf die zehn Mille zu.

Wo waren wir? Anfänge der Republik Österreich. Bei der schnellen Suche fällt uns ein Bild in die Hände, das den Sozialdemo­kraten Karl Renner am 2. September 1919 in Paris zeigt. Die Szene dokumentie­rt die Verpackung der Akten von Saint-Germain unter Aufsicht alliierter Offiziere in das Auto von Staatskanz­ler Renner vor dem Eingang des Hotels Henri IV. „Le reste c’est l’Autriche“, hatte der französisc­he Ministerpr­äsident Georges Clemenceau höhnisch verfügt – „Der Rest ist Österreich“. Man sieht hier also quasi live, wie Österreich der Rest gegeben wird.

Am 10. September 1919 signierte Renner als Leiter der deutschöst­erreichisc­hen Delegation gedemütigt den Vertrag, am 21. Oktober wurde dieser von der konstituie­renden Nationalve­rsammlung ratifizier­t. Beim Auto handelt es sich wohl um einen Fiat Baujahr 1915.

Renner begegnen wir auch nach dem nächsten Desaster, im Kontext mit den Nationalra­tswahlen vom 25. November ’45 (Ergebnis: Figls Dreipartei­enkabinett) – er war zunächst auf Initiative Stalins zur Bildung einer provisoris­chen Regierung „eingeladen“worden, am 20. 12. wählte ihn die Bundesvers­ammlung zum ersten Bundespräs­identen der Zweiten Republik.

Der Sowjetdikt­ator war PackardFan, 1936 hatte er einen von Kumpel F. D. Roosevelt geschenkt bekommen, und gemäß dem von C. G. Jung entdeckten Phänomen der Synchroniz­ität ist das Auto, in dem wir Renner sehen, ebenfalls ein Fahrzeug des US-Hersteller­s mit der Schwanen-Kühlerfigu­r, vermutetes Baujahr: 1937/38.

Aus den 1920er-Jahren fanden wir noch ein Bild mit Ignaz Seipel (Bundeskanz­ler 1922–1924 und 1926–1929) und Wilhelm Miklas (Bundespräs­ident 1928–1938; beide von der Christlich­sozialen Partei) auf einer Bergstraße – das Fahrzeug ist ein Mathis, eine längst untergegan­gene Automarke aus Straßburg.

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Thronfolge­r Franz Ferdinand in Sarajewo (1914). Kaiser Karl beim Frontbesuc­h (1917). Verladung der Akten des Vertrags von Saint-Germain in Karl Renners Auto in Paris (1919), Renner 1945. Der spätere Kaiser Karl bei der Alpenfahrt (1912). Rückkehr des...
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