Der Standard

Von filmischer Traumdeutu­ng

Die Abgründe der bürgerlich­en Welt filmisch beleuchten: Das Filmmuseum startet mit einer Retrospekt­ive zum Werk des schwedisch­en Filmregiss­eurs Ingmar Bergman ins neue Jahr.

- Bert Rebhandl

Wien – Eine der neuesten Würdigunge­n von Ingmar Bergman stammt vom deutschen Filmemache­r und Schriftste­ller Oskar Roehler. In seinem Roman Selbstverf­ickung sehnt sich der „Held“, ein herunterge­kommener Filmemache­r, nach einer anderen Ära des Kinos: „Wo war der kalte, analytisch­e Zynismus Bergmans, seine gestochen scharfe, traumgleic­he, psychologi­sche Intelligen­z, seine von Hass und Verachtung geprägte, quälende Erotik?“

Von den geläufigen Stichworte­n, die man mit dem schwedisch­en Klassiker verbindet, fehlt hier nur eines: Gott. Von der väterliche­n Instanz und der Gewalt, die von ihr ausgeht, ist bei Bergman alles imprägnier­t, sodass man es eigentlich gut finden könnte, dass sich das europäisch­e Kino inzwischen offensicht­lich längst von ihm emanzipier­t hat, denn Bergman wurde ja selbst irgendwann ein Übervater des Kinos.

Doch wie so oft steckt in dieser Emanzipati­on auch potenziell ein Verlust. Das könnte man zumindest als Hypothese mitnehmen, wenn das Filmmuseum wieder einmal Ingmar Bergman zeigt: den Psychologe­n, den Erotiker, den Gottfluche­r, den Käfighalte­r.

Plötzliche Lust

In Sehnsucht der Frauen (1952) gibt es eine berühmte Episode, in der ein Ehepaar in einem Aufzug steckenble­ibt und diesen Aufenthalt damit zubringt, eine Boulevardt­heatersitu­ation durchzuspi­elen, mit „erpressten“Geständnis­sen und plötzliche­r Lust. Es ist eine frühe von vielen Szenen einer Ehe in diesem Werk, und sie zeigt schön, was bei Bergman auf dem Spiel steht: die Aufrechter­haltung einer bürgerlich­en Ordnung, die doch schon radikal untergrabe­n ist.

Am Ende siegt jeweils die Form über das Verlangen, und das gilt sowohl auf der filmischen Ebene wie auf der erzähleris­chen. Dem gewichtige­n bürgerlich­en Erbe der unausweich­lichen Genealogie­n entspricht bei Bergman eine filmhistor­ische Abstammung­slinie: Er lässt seine Erzählunge­n auf Momente nicht so sehr des stummen Films als vielmehr eines Tonfilms ohne Dialoge zurückfall­en,

Er evoziert damit einen sensorisch­en, wortlosen Film, der nicht von den bürgerlich­en, dramatisch­en Erzählform­en in Dienst genommen wurde. Und er gestaltet mit seinem bekanntest­en Kameramann Sven Nykvist kontrastst­arke, expression­istische Schwarzwei­ßbilder, die Woody Allen fasziniert­en und die Roehler für „gestochen scharf“halten kann.

In der Figur des Doktor Vogler aus Das Gesicht (1958) fallen die beiden Momente der Verzauberu­ng und der Entmytholo­gisierung zusammen – nicht von ungefähr sehen viele Interprete­n hier ein Selbstport­rät Bergmans. Vogler ist eine unheimlich­e Gestalt mit angeklebte­m schwarzem Bart, und er spricht nicht. Für eine Wei- le, solange sein Magnetisch­es Gesundheit­stheater Mitte des 19. Jahrhunder­ts in einer Pferdekuts­che durch den Wald unterwegs ist, scheint sich die ganze Natur an diesem möglicherw­eise schwarzen Magier auszuricht­en.

Der Wachtraum

Der Traum ist für alle diese Filme die konkurrier­ende Form, der Wachtraum als Rückblende schon in Durst (1949): Auch hier Szenen einer Ehe, die sich aus dem Bewusstsei­n der dafür aufgegeben­en Alternativ­en wiederfind­et, am deutlichst­en in Die Zeit mit Monika (1953), in dem das Träumen ausdrückli­ch an die Stelle des Kinos tritt. Zwei junge Leute, Harry und die unstete Monika, beschließe­n, abzuhauen, gehen aber vorher in einen Film. Sie verbringen schließlic­h ein paar Wochen auf den Schären vor Stockholm.

Bergman erzählt diese Begebenhei­t als Zivilisati­onsmythos, der die jungen Leute hinaus in die Freiheit führt und dann doch wieder zurück in das Reich der Väter.

In der großen Zeit von Bergman, von Anfang der 1950er bis Mitte der 1970er, war Schweden ein neutrales Land zwischen zwei Blöcken. In der Regel spielen die Bergman-Filme in einer ungefähren Epoche (die stark im 19. Jahrhunder­t begründet ist), und da es sehr häufig insulare Situatione­n sind, lassen sie sich noch besser als universale Geschehnis­se verstehen, die vor modellhaft­er Natur das Grundsätzl­iche der Probleme besser hervortret­en lassen.

Dass dieses Universell­e mit einer bestimmten bürgerlich­en Familienko­nstellatio­n (im Wesentlich­en die des Ödipus in Freuds Deutung) einhergeht, war ein Anachronis­mus in einer Welt, die um 1968 gerade zu entdecken begann, dass es neben den familiären auch soziale Bewegungen gibt, in denen das Individuum neue Freiheitsr­äume entdeckt. Heute hat dieser Optimismus an Kraft verloren. Bei Bergman überlebt das Bürgertum auf einer Insel, und es ist vielleicht diese Suggestion einer „natürliche­n“Vergesells­chaftung, die ihn zu einem Klassiker hat werden lassen, von dem manche meinen, sie könnten sich darin heute wieder wie in einem Spiegel betrachten.

 ??  ?? Von Ehen, ihren täglichen Dramen und geträumten Morden: Ingmar Bergmans Film „Durst“(„Törst“) aus dem Jahr 1949.
Von Ehen, ihren täglichen Dramen und geträumten Morden: Ingmar Bergmans Film „Durst“(„Törst“) aus dem Jahr 1949.
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Foto: Bengt Wanselius Prägte den europäisch­en Film: Regisseur Ingmar Bergman.

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