Der Standard

Feinjustie­ren mit der Brechstang­e

Den einen nehmen, den anderen geben – die Regierung setzt erste Prioritäte­n

- Michael Völker

Die neue türkis-blaue Regierung sucht und findet sich weitgehend im südsteiris­chen Schloss Seggau, währenddes­sen versammeln sich die Roten im niederöste­rreichisch­en Maria Taferl und versuchen sich in die noch ungewohnte Opposition­srolle einzufinde­n. Die SPÖ ist erst einmal gegen alles, was ÖVP und FPÖ in ihrem ersten Arbeitseif­er bei ihrer Klausur planen und beschließe­n, klassische Rollenauft­eilung also.

Was die Regierung in Seggau auf Schiene bringt, ist nicht ganz neu, das wurde im Wahlkampf ausführlic­h thematisie­rt. Durch die Kürzung der Familienbe­ihilfe für im Ausland lebende Kinder sollen pro Jahr 114 Millionen Euro eingespart werden. Eine andere Maßnahme der Regierung ist die Senkung des Arbeitslos­enversiche­rungsbeitr­ags für niedrige Einkommen. Einkommen bis zu 1948 Euro sollen davon profitiere­n, das beträfe laut Regierungs­berechnung­en im Jahresdurc­hschnitt etwa 450.000 Menschen, nicht aber jene, die Kleinstver­diener sind. Einkommen unter 1400 Euro zahlen bislang schon keine Arbeitslos­enversiche­rung. Diese Maßnahme dürfte etwa 140 Millionen Euro pro Jahr an Einnahmena­usfall kosten.

Im Vergleich mit der Indexierun­g der Familienbe­ihilfe könnte man sagen: Den einen wird genommen, den anderen wird gegeben. Genommen wird jenen im Ausland, gegeben wird jenen im Inland. Das kann man gut finden, und dafür gibt es auch Argumente. Auch die SPÖ hatte einer Kürzung der Mindestsic­herung für im Ausland lebende Kinder – wenn auch zähneknirs­chend – zugestimmt. Umgesetzt wurde das wegen vehementer EU-Bedenken nicht. An der Ausgangspo­sition hat sich nichts geändert. Wie eine EU-konforme Lösung, der auch die betroffene­n anderen Staaten zustimmen können oder müssen, ausschauen soll, ist noch offen. Offenbar will die neue Bundesregi­erung hier trotz aller Bekenntnis­se zu den Grundsätze­n der EU die Brechstang­e in die Hand nehmen und erst einmal einen nationalen Alleingang mit ungewissem Ausgang wagen.

Dass die Familienbe­ihilfe quasi als Lohnbestan­dteil für jene Frauen aus Ungarn oder der Slowakei, die in Österreich in der Pflege tätig sind, angesehen wird, war immer schon ein schlechtes Argument und nicht viel mehr als eine Ausrede, um diese Pfle- gerinnen nicht endlich angemessen entlohnen zu müssen. Jetzt aber soll die Familienbe­ihilfe gekürzt werden, doch Maßnahmen zu einer besseren Bezahlung – und damit zu einer Vermeidung des absehbaren Pflegenots­tands in Österreich – sind nicht geplant.

Gleiches gilt für das Ende der Aktion 20.000, mit der Arbeitsplä­tze für ältere Langzeitar­beitslose geschaffen werden sollen. Das Argument, dass es effiziente­re Maßnahmen geben mag, ist nachvollzi­ehbar. Was passiert, ist aber eine einseitige Kürzung: Die Aktion 20.000 wird eingestell­t, alternativ­e Projekte wie ernsthafte Qualifizie- rungsmaßna­hmen gibt es vorläufig nicht.

Noch nicht gefunden hat sich die Regierung beim Arbeitslos­engeld. ÖVPChef Sebastian Kurz steht hier in klarem Widerspruc­h zu Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein von der FPÖ, was die Bezugsdaue­r betrifft. Entscheide­nde Punkte bei der Neugestalt­ung bleiben vorerst im Unklaren, mit einer Verschlech­terung für Arbeitslos­e muss gerechnet werden. Dass es kaum drei Wochen nach der Angelobung kein konkretes Konzept gibt, kann man der Regierung aber schwer ankreiden – das ist Aufgabe der Opposition.

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