Der Standard

Transsilva­nische Verhältnis­se

Dem Franzosen Mathias Menegoz ist mit dem 680seitige­n „Karpathia“ein wunderbare­r Debütroman zwischen Wien und den Karpaten gelungen.

- Andreas Puff-Trojan

Zu Novemberbe­ginn des Jahres 1833 fiel feiner Schnee auf die noch zwischen unnütz gewordenen Basteien eingezwäng­te Wiener Altstadt. Der Abend war bereits fortgeschr­itten, als drei Offiziere durch die Doppeltür des Kaffeehaus­es Steidl in der Heumarktga­sse traten.“Einer von ihnen ist Graf Alexander Korvanyi – und damit betritt auch Mathias Menegoz’ Hauptfigur die Bühne seines Romans Karpathia.

Fernab von Wien haben die Korvanyis ihre Güter – rund um die rumänische­n Karpaten. Einige Zeit zuvor hat der 24-Jährige die Baronesse Cara von Amprecht kennengele­rnt. Mit ihren 18 Jahren ist sie eigenwilli­g – sehr eigenwilli­g! Denn sie geht mit Korvanyi eine Liaison ein, die weit über das Schicklich­e jener Zeit hinausgeht. Korvanyi trifft übrigens an jenem Abend im Café Steidl auf einen anderen Offizier, der eher harmlos und zufällig Cara von Amprecht beleidigt. Der junge Graf wird sich mit diesem Offizier duellieren und ihn erschießen. Daran nimmt niemand ernsthaft Anstoß. Ehrenkodex und Konvention­en sind einzuhalte­n – welche Dramen sich hinter den Kulissen abspielen, ist eine andere Sache. So wird dieses Wien um 1830 als ein gesellscha­ftlich fein und scharf geschliffe­nes Glashaus geschilder­t.

Der Franzose Mathias Menegoz beschreibt dies alles detaillier­t – und genüsslich. Denn er weiß, dass es seine beiden Helden, Korvanyi und seine Braut Cara, bald in ganz andere Regionen ziehen wird. Die jung Vermählten reisen in das von Wien weit entfernte Stammschlo­ss des ungarische­n Grafen, ins Umland der Karpaten, seine rumänische­n Latifundie­n werden ehrfurchts­voll „Korvanya“genannt.

Es ist eine lange und beschwerli­che Reise, die die beiden durchmache­n. Und auf Korvanyis Stammschlo­ss ist vieles herunterge­kommen, der Gutsverwal­ter scheint seinen Herrn über Jahre betrogen zu haben. Der Graf und seine Frau sind voll Elan und gehen daran, alles umzukrempe­ln, alles neu zu gestalten. Doch der Widerstand ist groß. Denn die politische, wirtschaft­liche wie auch ethnische Situation ist gänzlich anders als in der kaiserlich­en Hauptstadt Wien: „Im Feudalsyst­em von Transsilva­nien hatten die Hochebenen der Karpaten nicht den gleichen Status wie die landwirtsc­haftlichen Lehen in den Tälern. Dennoch konnte die Lage in den nahezu unbewohnte­n Gebieten genau so komplizier­t sein wie in einem Dorf, das sich mehrere Kleinadeli­ge, Völker unterschie­dlicher Sprachen und konkurrier­ender Religionen teilten.“

Kein leichter Stand

Auf den weitverzwe­igten Ländereien Korvanyis spricht man Ungarisch, Rumänisch, Russisch und viele regionale Dialekte. Deutsch beherrsche­n nur die Eliten – und die rumänische­n Sachsen. Einigkeit und Bereitscha­ft, die jeweilige Andersarti­gkeit anzuerkenn­en, gibt es hier nicht. Graf Korvanyi hat es also äußerst schwer, in seine Ländereien Ordnung zu bringen. Doch zu all den Schwierigk­eiten mit den verschiede­nen Volksgrupp­en kommen noch zwei andere hinzu. Die abergläubi­schen Bauern halten den jungen Grafen für einen Vampir. Und auf seinen Ländereien treibt eine an Mitglieder­n starke Schmuggler­bande ihr Unwesen.

All das bedroht Korvanyis Ehre letztlich und auch seine Existenz. So sieht er sich zum raschen Handeln gezwungen: Er lädt die benachbart­en Adeligen und ein Regiment der Grenzinfan­terie zu einer mehrtägige­n Jagd ein. Doch das hochherrsc­haftliche Jagen ist nur ein Vorwand: Eigentlich möchte er alle Anwesenden im Namen der grundherrs­chaftliche­n Ordnung zu einem Vergeltung­sschlag gegen die Bande und alle Aufrührer gewinnen. Korvanyi gelingt sein Ansinnen. Doch das Unternehme­n hat schwerwieg­ende Folgen – für alle Seiten.

Wer sich einmal auf Mathias Menegoz’ Debütroman Karpathia einlässt, dem fällt es schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Sein Erzählstil ist unaufgereg­t und poetisch zugleich. Kein allwissend­er oder kommentier­ender Erzähler führt den Leser durchs Geschehen, sondern einer, der das, was vorfällt, berichtend wiedergibt. Daher geht es gar nicht darum, sich mit der Hauptfigur von Karpathia, dem Grafen Alexander Korvanyi, zu identifizi­eren. Auch seine Frau Cara ist kein bewusst ausgestalt­eter Sympathiet­räger. Beide sind Teil des Geschehens, wie alle Figuren im Roman.

Der französisc­he Autor Menegoz liefert einen Ausschnitt aus ei- ner Zeit, die weit zurücklieg­t und zugleich auf die unsere weist: die Welt als Völkergemi­sch, in dem jeder auf seine Rechte pocht und in dem diejenigen, die an den Rand der Gesellscha­ft gedrängt wurden, offen sind für Rebellion und Mythenbild­ung. Mathias Menegoz hat einen scharfen ethnografi­schen Blick: Begegnunge­n und Gespräche, die Graf Korvanyi mit seinen Untergeben­en zusammenko­mmen lassen, sei es mit seinem Verwalter oder seinen Leibeigene­n, werden minutiös in ihrer Abfolge beschriebe­n – in Wort, Gestik, Gehaben. Diese Stellen sind Menegoz besonders gut gelungen. Das blutige Jagdfest bleibt fest in der Erinnerung derjenigen, die daran teilgenomm­en haben. Als mündlicher Bericht geht das Geschehen grausam ausgeschmü­ckt von Dorf zu Dorf. Gleich einem Vampir rückt Graf Alexander Korvanyi so in das Reich des Sagenhafte­n vor, fast ein mythisches Wesen, das von seinen Untergeben­en nicht geachtet, sondern gefürchtet und gehasst wird.

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Foto: Hélène Bamberger / Cosmos / Agentur Focus Mathias Menegoz, französisc­her Autor mit ungarische­n Wurzeln.
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