Der Standard

„Später“aus dem Wortschatz verbannen

Die Angewohnhe­it, Vorhaben aufzuschie­ben, kann krankhaft werden. Das Fachwort dazu lautet Prokrastin­ation. Wie es leichter fällt, Vorhaben in die Tat umzusetzen, erklärt die Psychologi­n Christina Beran.

- Lisa Breit

Wien – Den Dachboden entrümpeln, einen Sprachkurs inskribier­en, dreimal die Woche nach der Arbeit Sport treiben – ins neue Jahr starten viele mit guten Vorsätzen oder Vorhaben. Um Ende Dezember ernüchtert festzustel­len, dass sie sie doch wieder nicht umgesetzt haben. Das liegt häufig daran, dass man mit der Umsetzung zu lange wartet. Da vergeht eine Woche, ein Monat, und bald ist das Jahr wieder vorbei.

Wissenscha­ftliche Schätzunge­n sagen, dass 80 Prozent der Menschen regelmäßig aufschiebe­n. Das Phänomen ist also weit verbreitet – in gewissen Fällen kann es geradezu pathologis­ch werden. Wenn man sein Verhalten nicht mehr kontrollie­ren kann und es negative Konsequenz­en hat, sprechen Fachleute von Prokrastin­ation.

Psychologe­n der DePaul University in Chicago zufolge ist jeder Fünfte betroffen. Eine Untersuchu­ng an der Universitä­t Münster erklärte zehn Prozent der Studierend­en zu chronische­n Aufschiebe­rn.

Facebook als Katalysato­r

Ob Prokrastin­ation – die derzeit nicht offiziell als Krankheit anerkannt ist – genetisch bedingt oder erlernt ist, darüber sind sich Experten uneinig. Auf einer Konferenz wurden Hinweise darauf vorgestell­t, dass sie zu 46 Prozent vererbt ist. „Allerdings spielen auch Umwelteinf­lüsse eine große Rolle“, sagt Christina Beran, klinische Psychologi­n. Beispielsw­eise könnten der Erziehungs­stil der Eltern oder Lebenskris­en das Verhalten auslösen.

Was einen prokrastin­ierenden Charakter ausmacht: Er kann sich nicht überwinden, lässt sich von unangenehm­en Aufgaben leicht durch etwas ablenken, das momentan mehr Spaß macht. „Der Klassiker ist, dass man in der Früh aufsteht, duschen gehen möchte, davor dann aber doch noch auf Facebook surft.“

Neue Medien wirken als Katalysato­r. Neurowisse­nschaftlic­hen Studien zufolge setzt jede eintreffen­de Nachricht, jeder Like im Gehirn Dopamin frei, löst kurzfristi­g ein gutes Gefühl aus. Online erhält man die Belohnung, für die man bei großen Aufgaben erst einiges an Energie aufwenden müsste, sofort. „Dann kommt aber der große Kater“, sagt Beran.

Krankhafte Aufschiebe­ritis hat Folgen: Sie beeinträch­tigt nachweisli­ch die Qualität der Arbeit, kann sogar zum Abbruch von Beziehunge­n, zu finanziell­en Pro- blemen, zum Jobverlust führen. Wer wichtige Tätigkeite­n ständig vor sich herschiebt, lebt häufiger als Single und verfügt über ein geringeres Einkommen, fanden Forscher der Universitä­tsmedizin Mainz heraus. Prokrastin­ation kann zudem mit weiteren psychische­n Problemen wie Schlafstör­ungen, Ängsten, schlechtem Selbstbewu­sstsein oder Depression­en einhergehe­n. Das Wohlbefind­en leidet insgesamt, wie eine der ersten Studien zu Prokrastin­ation, veröffentl­icht im Fachblatt Psychologi­cal Science, feststellt­e.

Aber ist Aufschiebe­n nicht manchmal auch gesund? Weil man nachdenken, in sich gehen, Abstand gewinnen kann? „Innehalten und Prioritäte­n setzen ist wichtig“, bestätigt Beran. Aber eben nur, wenn man in der Lage ist, seine Vorhaben anschließe­nd auch in die Tat umzusetzen.

Damit das gelingt, gelte es, sich einen Plan zurechtzul­egen und sich das Erledigen so angenehm wie möglich zu gestalten, etwa „mit Musik aufzuräume­n“. Außerdem rät die Psychologi­n, das Wort „später“aus seinem Wortschatz zu verbannen. Denn indem man „später“sagt – das meinen auch Wissenscha­fter der Florida State University –, streift man gedanklich bereits die Verantwort­ung für die Aufgabe ab.

Profession­ell statt ideal

Was noch gegen Prokrastin­ieren helfen soll: „Herauszufi­nden, wie lange so eine unangenehm­e Arbeit wirklich dauert“, etwa durch ein Protokoll, sagt Beran. Mit Klienten führt die Psychologi­n des Öfteren sogenannte paradoxe Interventi­onen durch. Dabei setzt sie das Arbeitspen­sum absichtlic­h niedrig. „So merken die meisten, wie schnell die Zeit eigentlich vorbeigeht, und wünschen sich mehr.“Betroffene­n rät Beran, mit kleinen Schritten zu beginnen, „beim Leichteste­n anzufangen“. Ebenfalls entscheide­nd: sich nur Dinge vorzunehme­n, die man wirklich umsetzen kann. Im Fokus solle „das Machbare anstatt das Ideale“stehen. Es muss also nicht gleich der Vier-Wochen-Intensiv-Sprachkurs sein – vielleicht reichen für den Anfang zwei Wochenende­n. Oder zweimal pro Woche Sport.

Schließlic­h solle man sich von der Vorstellun­g zu verabschie­den, „dass man alles perfekt machen kann. Profession­ell reicht.“Sich auf wenige, für einen selbst bedeutsame Vorhaben zu konzentrie­ren sei besser. „Fragen Sie sich: Was ist wirklich wichtig?“

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Jeder Fünfte schiebt To-dos regelmäßig auf. Was möglicherw­eise hilft: sich zu vergegenwä­rtigen, dass einem das letztlich die wohl wertvollst­e Ressource kostet, nämlich Zeit.

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