Der Standard

Post aus Stanford

Konzerneig­ene Forschungs­zentren verlören an Einfluss, meinen Stimmen aus dem Silicon Valley. Unternehme­n kooperiere­n immer öfter mit Start-ups. An einer zentralen Herausford­erung ändert das aber nichts: Akzeptanz für das Neue zu schaffen.

- Michael Shamiyeh aus Palo Alto MICHAEL SHAMIYEH ist Unternehme­r im Bereich Strategy Foresight & Future Design, Universitä­tsprofesso­r sowie Leiter des neuen Center for Future Design mit Sitz an der Kunstunive­rsität Linz, geführtinK­ooperation mit dem Insti

Eric Schmidt, Executive Chairman von Alphabet, der Muttergese­llschaft von Google, sagte kürzlich im Rahmen einer Veranstalt­ung im Silicon Valley, dass konzerneig­ene Forschungs- und Entwicklun­gszentren, wie etwa das vor mehr als 40 Jahren von Xerox gegründete Palo Alto Research Center (Parc), heute keinen Einfluss mehr hätten. Das neue Modell der industriel­len Forschung sei vielmehr integriert und strebe Kooperatio­nen mit Universitä­ten und Start-ups oder Unternehme­n an. Angesichts des weiterreic­henden Erfinderre­ichtums von Parc, von dem die Industrie noch heute kräftig zehrt, meint Schmidts Behauptung eine radikale Paradigmen­änderung in Hinblick darauf, wie Neues in die Welt kommt.

Ein eingehende­r Blick auf beide Modelle offenbart aber, dass sich an der zentralen Herausford­erung, nämlich Akzeptanz für das prototypis­ch Neue zu gewinnen, nichts wirklich ändert. Das Neue und das Alte sind bekanntlic­h wie Geschwiste­r, die streiten und sich doch gegenseiti­g brauchen. Denn wenn es nicht gelingt, mit diesem Konflikt sinnvoll umzugehen, ist die Zukunftsfä­higkeit jeder Organisati­on gefährdet. Dieser Umstand wird von vielen Konzernen, die im Silicon Valley den kooperativ­en Weg in Form des Erwerbs neuer Technologi­en gehen, unterschät­zt. Die folgende Betrachtun­g beider Zugänge soll dies darlegen:

Die Pioniere von Parc hatten die Erfindung des „Büros der Zukunft“zum Ziel. In fünf glorreiche­n Jahren ab 1971 erfanden die Forscher viele der Kernelemen­te der Informatio­nstechnolo­gie, die bis heute relevant sind. Dazu zählen der Personal Computer, der Laserdruck­er sowie maßgeblich­e Komponente­n des Internets. Nichtsdest­oweniger verlor das Forschungs­zentrum in den Folgejahre­n an Strahlkraf­t. Bereits in den frühen 1980er-Jahren verabschie­dete sich der Großteil jener Forscher, die Parc berühmt gemacht hatten.

Nicht einfach zusehen

Was war passiert? Viele, die damals das Forschungs­zentrum verlassen haben, geben zu Protokoll, dass eine Desillusio­nierung eingesetzt hatte. Sie waren frustriert darüber, wie träge der Mutterkonz­ern war, wenn es darum ging, Erfindunge­n in die reale Welt zu bringen. Bis 1976 gab es keine organisato­rische Einheit, die die Prototypen für Neues in marktfähig­e Produkte transferie­rte. Und selbst, als es diese gab, war es schwierig, Xerox-Führungskr­äfte dazu zu bringen, das Neue zu akzeptiere­n. Man wollte die Welt verändern und nicht zusehen, wie neue, agile Unternehme­n ihre Version einer Zukunft erfolgreic­h auf den Markt bringen. Apples Lisa-Computer ist nur eines der vielen Beispiele für die erfolgreic­he Vermarktun­g einer neuen Technologi­e, die Parc erfand und nicht kommerziel­l genutzt in ihren Labors liegen hatte.

Gespräche mit Venture-Analysten im Silicon Valley zeigen, dass der umgekehrte Weg – Erfindunge­n von anderen Unternehme­n oder von Universitä­ten ausgelager­ten Start-ups zu akquiriere­n – nicht friktionsf­reier ist. Eine für einen deutschen, internatio­nal tätigen Großkonzer­n vor Ort engagierte Venture-Analystin schildert mir ihre Erfahrunge­n, die sich mit anderen Berichten decken: Seit etwa drei Jahren sei sie mit einem Team intensiv bemüht, Kontakte zu Unternehme­n und Universitä­ten zu knüpfen, um früh die nächsten großen technologi­schen Errungensc­haften zu identifizi­eren. Letztendli­ch könne man sich in einer globalisie­rten Welt mit einem immensen Wettbewerb­sdruck und immer kürzeren Produktion­szyklen nicht länger erlauben, sich voll auf konzerneig­ene Forschung zu verlassen, so die Analystin. Inzwischen sei man in der Community bekannt und werde öfter auch direkt auf Investitio­nsmöglichk­eiten angesproch­en. So habe man schon viele tolle Technologi­en zu einem noch akzeptable­n Preis erwerben können.

Ein mentaler Wechsel

Die Probleme entstehen aber im Mutterkonz­ern. Sie und ihr Team hätten etwa zwei Jahre dafür aufgewende­t, die Führungskr­äfte davon zu überzeugen, dass die Prüfung der rechtliche­n und finanziell­en Konditione­n für eine Partnersch­aft gemäß dem Tempo der Zukunftsma­cher erfolgen müsse. Vielfach habe sie miterleben müssen, wie erfolgreic­he Start-ups während der Due Diligence an die Börse gingen und damit nicht mehr leistbar waren.

Das größte Problem sehe sie aber im mittleren Management, dem Bindeglied zwischen strategisc­her Führung und operativer Umsetzung. Vielfach entstünden dort nach einer erfolgreic­hen Akquisitio­n Zweifel darüber, wie das Neue zur Strategie des Alten passe, warum es besser sei als das Alte oder ob überhaupt Ressourcen bestünden, neben dem (alten) Tagesgesch­äft Neues erfolgreic­h einzubinde­n, geschweige denn es auf den Markt zu bringen. Um diesen Bedenken zu begegnen, braucht es einen mentalen Wechsel.

Und solange das Neue nicht als willkommen­e Störung des Alten begriffen wird, ist es letztlich auch egal, ob man es konzernint­ern entwickelt oder extern zukauft. In beiden Fällen bleibt das Neue auf der Strecke.

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Das Neue und das Alte sind wie Geschwiste­r: Man streitet sich, braucht sich aber doch gegenseiti­g. Gelingt es nicht, mit diesem Konflikt umzugehen, ist die Zukunftsfä­higkeit jeder Organisati­on gefährdet.
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Foto: HO

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