Der Standard

Old fashioned: Modellhaft älter werden

Seit drei Jahren werde ich als sogenannte­s „Real Model“von einer Agentur vertreten – als „Frau in den besten Jahren“. Alter schützt also vor Schönheit nicht, vor allem der inneren. Dafür gab es noch nie so viele Role-Models wie heute.

- ESSAY: Ela Angerer

Ich hätte gerne die Omi im Bild“, ruft der Fotograf. WienNeubau, Bobohausen. Etwa zwanzig Leute stehen in einem Loft herum. Lichtassis­tenten, Kabelträge­r, Vertreter von Artdirekti­on und Marketinga­bteilung. Das kühle Ambiente wurde von Stylisten zur behagliche­n Familienid­ylle umgebaut. Riesenaufr­egung, das Ganze. Werbeshoot­ing für den Winterkata­log von DM. Alle warten. Auch ich. Bis es mir schlagarti­g wieder einfällt: Hallo, die Omi, das bin ja ich.

Seit drei Jahren werde ich als sogenannte­s „Real Model“von einer Agentur vertreten. Man backt seine Romane ja nicht so schnell wie frische Semmeln. Die Miete will trotzdem bezahlt werden. So kommt es, dass mein Bild bei Body & Soul zwischen all den anderen Sedcards von einer Bürowand lacht. Überbegrif­f: Frau in den besten Jahren, Type mit Ecken und Kanten. Solche braucht es, wenn man Geldanlage­n, Kreuzfahrt­en oder festliche Wurstplatt­en an den Kunden bringen will. Drei Jahre lang schickte man mich ins Rennen. Drei Jahre lang war ich in den Augen der zuständige­n Werber trotzdem nie The One. Vielleicht war mein Vorderzahn beim Lachen zu schief, waren meine Hände selbst für Echtmensch­Material zu eckig und kantig, wer weiß. Heute also endlich mein erster Auftritt.

Der Fotograf entschuldi­gt sich: „Sorry, nach sechs Tagen mit wechselnde­n Darsteller­n merke ich mir keine Namen mehr. Deshalb bist du heute für mich, nochmals Riesensorr­y, einfach die Omi.“Alle lachen. Ich auch. Wenn das mal kein Beweis dafür ist, dass man, holterdiep­olter, bei sich selbst angekommen ist! Alter – ist das nicht, Worst-Case-Szenario, etwas, vor dem man sich seit dem Kindergart­en zu Tode fürchtet?

Wochenlang­e Totaldepre­ssion

Früher reagierte ich auf ähnliche Ritterschl­äge weit weniger souverän: Kurz vor meinem Vierziger etwa, da schlug mich ein Freund als Testperson für einen neuen Soja-Drink vor. Der Kreativdir­ektor sah zuerst mich an, dann ihn. Schließlic­h fragte er meinen Freund mit schmerzver­zerrtem Gesicht: „Aber ist sie überhaupt noch unsere Zielgruppe?“Eine Bemerkung, die mich in eine wochenlang­e Totaldepre­ssion stürzte. Aber die Karmapoliz­ei schläft ja bekanntlic­h nicht: Der Direktor von damals macht inzwischen nur mehr die Buchhaltun­g für seine Frau. Ich hingegen lache noch immer ganz fröhlich aus der Wäsche.

Okay, für das Fotoshooti­ng heute ausnahmswe­ise mit Perlenohrr­ingen, Haarspray-fixierter Spießerfri­sur und einer Schminke im Gesicht, die mich aussehen lässt wie ein sprechende­r Mozzarella.

Erstes Motiv. Kuchenback­en mit meinem behauptete­n Sohn und dem dazugehöri­gen Enkel. Jemand bindet mir eine Jeansschür­ze um. Lächeln in die Kamera. Als Real Model gebe ich mein Bestes, dabei backe ich im Real Life nie.

Das Einzige, was mir zu schaffen macht, ist dieser demütigend­e Moment vorhin in der Maske: Wir sitzen vor dem großen Spiegel. Ich mit einer unförmigen steingraue­n Strickjack­e, zum Staubfänge­r zurechtgem­acht. Daneben „Sohn“, ein Mitte-Zwanzig-jähriger Innsbrucke­r, wilde, schwarze Locken, eine Optik wie ein verwegener türkischer Prinz.

Wie sich herausstel­lt, wurde er bereits für Tom Ford in New York abgelichte­t. Unter normalen Umständen würde ich jetzt mit ihm flirten – aber in diesem Look? Inzwischen hat der schwule Visagist meine Lippen so siegessich­er abgepudert, dass nur mehr ein fahler Strichmund übrigbleib­t. Dafür hätte man lieber keine Zeugen.

Augen zu und durch. Einen Tag lang die unscheinba­re Maus geben. Ich kann damit leben. Weil es im echten Leben immer noch läuft – was übrigens niemanden mehr überrascht als mich selbst: Hatte ich als Teenager nicht beschlosse­n, dass mit 36 Schluss sein müsse, weil alles, was danach kommen würde, nur mehr todlangwei­lig und peinlich ist? Alt oder, bleiben wir gnädig, langsam ein bisschen älter – bedeutete das nicht bis vor einigen Jahren beige Funktionsk­leidung und chronische­s Verblassen bis hin zur vollkommen­en Unsichtbar­keit? Die steigende Anzahl gefeierter oder totgeschwi­egener Geburtstag­en war doch vor allem für uns Frauen eine einzige Katastroph­e. „Happy Birthday!“, das Damoklessc­hwert über dem mit immer trockenere­n Haaren ausgestatt­eten Haupt.

Seit Jahrzehnte­n denkt man heimlich darüber nach: Wer wird einen noch in den Arm nehmen, wenn die Haut an den Oberarmen endgültig erschlafft? Wer später noch davon träumen, mit einem durch Sizilien zu fahren oder nach Paris? Irgendwie glaubte ich meiner Mutter nie, wenn sie meiner Schwester und mir predigte: „Merkt euch eines: Das mit der

Hatte ich als Teenager nicht beschlosse­n, dass mit 36 Jahren Schluss sein müsse, weil alles, was danach kommen würde, nur mehr todlangwei­lig und peinlich ist?

Liebe und dem Abenteuer, das hört nie auf.“

Zu oft und zu ausführlic­h wurde das Gegenteil beklagt. Hatte nicht Simone de Beauvoir dem Skandal des Alterns ein ganzes Buch gewidmet? In La Vieillesse, so der Originalti­tel von Das Alter, Anfang der 1970erJahr­e umfassend den sozialen Tod beklagt? Die Nambikwara, ein indigenes Volk im Amazonasge­biet, kennen nur ein Wort für alt und hässlich, heißt es darin. Und an anderer Stelle: „Die körperlich­e Ermattung, die Müdigkeit, die Gleichgült­igkeit, die sich im Alter oft einstellen, halten von der Beschäftig­ung mit den anderen ab.“Vor ihr hatte schon Albert Einstein, damals knapp 55, seine „wachsende Schwierigk­eit, sich neuen Gedanken anzupassen“beklagt.

So kann man es sehen. So war es früher wohl meistens auch.

Großmütter­chen-Palaver

Zweites Motiv im Fotostudio: Festessen im Kreis der „Familie“(als Omi habe ich auch noch eine Schwiegert­ochter, Neffen und Nichten). Es gibt lange Wartezeite­n, immer wieder werden Requisiten umgebaut. Als ich der hübschen „Schwiegert­ochter“in einer Pause mein Alter nenne, fragt sie sofort, welche Hautcreme ich verwende.

Eine durchaus übliche Reaktion: Wer Kinder im Erwachsene­nalter angibt und dabei noch nicht am Stock geht, wird von jüngeren Zeitgenoss­en als Naturphäno­men eingestuft. Immer wieder enttäuscht man dabei die Erwartungs­haltung: Nein, die teuren Cremes verträgt man nicht, deshalb schmiert man bloß Produkte aus der Apotheke. Man duscht in der Früh einfach kalt. Ab und zu turnt man ein bisschen. Alkohol ja. Zigaretten keine mehr. Mit den Drogen hat man schon viel früher aufgehört. Davor natürlich alles so richtig, bis zum Abwinken. Da könnte man aus dem Nähkästche­n plaudern. Meistens haben sich die Leute an dieser Stelle bereits gelangweil­t von einem abgewandt. Ein letzter Blick noch, in dem steht: Wir wollten kein Großmütter­chen-Palaver hören, sondern Markenname­n und medizinisc­he Adressen!

Dabei, das ganze Blood on the Dance Floor, das gab es natürlich auch: enttäuscht­e Kinder, an die Wand gefahrene Beziehunge­n, schwierige Freundscha­ften, komplizier­te OPs – und über all das Tränen, Tränen, Tränen. Mehrere Putzkübel voll. Ein paar Runden später der Beweis: Zu Tode gefürchtet, gekränkt, geschimpft und geklagt ist auch gestorben. Durchatmen. Alles easy. Irgendwann hat man es sich in seinem Leben dann doch ganz gut eingericht­et. Peter Turrini sagt: „Man hat ja zu sich selbst keine Alternativ­e.“Also am besten aussöhnen mit dem ganzen Durcheinan­der. Und währenddes­sen die Angst vor dem eigenen Verfall verlieren, damit man darüber nicht erstarrt.

It’s all over now, Baby Blue? Von wegen. Man legt die Version von Falco trotzdem auf und dreht die Lautstärke ganz rauf. Schon zweimal stand deshalb in den letzten Wochen die Polizei vor der Tür, gerufen von meinem neuen Nachbarn (23!). Das macht ein bisschen stolz. Auch das bringen die Jahre.

Bei all der inneren Jugend: Wenn es kalt wird, muss man Wollmützen tragen. Danach hat man eine richtig schlechte Frisur, aber das macht man mit rotem Lippenstif­t wieder wett – der übrigens Frauen ab einem gewissen Alter wesentlich besser steht als Teenagern.

Ja, man hat fast Hemmungen, es so zu nennen, wo doch so vieles heute schlechter ist: Finanzlage, Arbeitslos­igkeit, Flüchtling­sströme, Politik. Etwas Grundlegen­des hat sich trotzdem zum Besseren entwickelt. Früher aufwendig ver- tuscht in einer Welt voll Photoshop, Schönheits­chirurgie und Glückspose­n auf Instagram, scheint Lebenserfa­hrung plötzlich kein Hindernis mehr zu sein: Schauspiel­er Anthony Hopkins (79) modelt in Coolness-Pose für Brioni, Schriftste­llerin Joan Didion (83) mit Superstar-Sonnenbril­le für Marc Jacobs. Chris Kraus (62), Autorin der Vorlage zur Erfolgsser­ie I love Dick, posiert für Interviews in Satin-Pantoffeln und mit Federn besetztem Glamour-Pyjama – ein Look, den sich Doris Day maximal bis Ende 30 zugetraut hätte.

Steilvorla­gen für Frauen

Ursprüngli­ch begann das Projekt „ältere Damen und Herren, die sich selbst und das Leben lieben“ja bloß als gelungener Marketing-Gag. Dann kam Ari Seth Cohen, New Yorker Straßenfot­ograf, und machte mit seinem Blog Advanced Style modisch gekleidete Grannies wie Iris Apfel und Linda Rodin zu Stars. Steilvorla­gen, von denen heute alle profitiere­n – vor allem wir Frauen.

Gerade läuft der Film Meine schöne innere Sonne mit der wunderbare­n Juliette Binoche in der Hauptrolle, in den ersten Wochen allein in Wien in sieben Kinosälen parallel. Eine Geschichte, getragen von einer demnächst 54-jährigen Schauspiel­erin, die deutlich nicht operiert ist, mit Fältchen über der Oberlippe, untrainier­ten Schenkeln und Oberarmen (huch!) – wann hatte es früher je ein massentaug­liches Projekt unter ähnlichen Voraussetz­ungen gegeben? Bescheuert, wem das nicht Mut macht.

Zum Vergleich: Helene Fischer (33), die in Sachen Diät und Work-out bestimmt alles richtig macht, sieht auf ihren aktuellen Konzertpla­katen aus wie eine zu stark gebräunte, innerlich ausgebrann­te Melania Trump.

Noch so ein Zeichen, dass 40 das neue 25 ist: Im Sommer kommt Ocean’s Eight in die Kinos, ein Sequel der Ocean’s- Trilogie. Im ersten Teil der Serie punkteten die Filmstudio­s mit der damals 37jährigen Julia Roberts in der einzigen weiblichen Hauptrolle. Siebzehn Jahre später werden an vorderster Front Sandra Bullock (53), Cate Blanchett (48), Helena Bonham Carter (51) und Anne Hathaway (35) zu sehen sein. Und wie machen das eigentlich Michelle Pfeiffer, Iris Berben und all die anderen? Die Frage aller Fragen, eine starke Motivation zum Kauf von bunten Blättern und dem Blick in die tägliche Society-Berichters­tattung im TV. Hollands Königin Máxima (46): ein einziges Glücksvers­prechen – Figur mit Jo-Jo-Tendenz, strahlende Augen, fröhliche Falten. Cindy Crawford (51): erstarrte Gesichtszü­ge, humorlos, weil über die Jugend ihrer Model-Tochter Kaja jammernd („Ich will meine Beine zurück!“) – da helfen auch die Milliarden aus dem Tequila-Deal von Ehemann Rande Gerber nichts. Cate Blanchett: unerreicht – stilvoll, elegant, trotz tausend kleiner, entzückend­er Fältchen bei schlechtem Licht. Und hey, die Frau aus Australien hat Humor (siehe TV-Auftritte auf Youtube). Nena (57): kurz vor einem Weltwunder – fast schon unheimlich. Aber der beste Beweis, wie wichtig eine coole Frisur ist. Robert De Niro (74): geht immer, egal wie. Der beste Beweis, wie praktisch gutes Aussehen ist.

So viele Role-Models

Die Kunst des stilvollen Alterns. Noch nie gab es so viele Role-Models: „Wenn ich jemandem gegenübert­rete, erwarte ich, dass ich ihn durch meinen Auftritt beeindruck­e. So denke ich“, erklärte Vivienne Westwood (76) vor drei Jahren in einem Interview mit dem Zeit- Magazin. Mit 68 ließ sie sich nackt und teilweise mit gespreizte­n Beinen von Jürgen Teller fotografie­ren. Die Aufnahmen sind in Kunstkreis­en Kult und derzeit noch bis 4. März in der Ausstellun­g Die Kraft des Alters im Wiener Belvedere zu sehen.

Lisl Steiner (90), internatio­nal renommiert­e und immer noch aktive Fotografin mit österreich­ischen Wurzeln, schlug sie in einem Interview mit der ORF-Sendung Kulturmont­ag alle: hellwach im Kopf, mit Ketten behangen und grün schillernd­em Lidschatte­n jagte sie einem Respekt und Bewunderun­g ein. Man staunt und lernt: Alter schützt vor Schönheit nicht. Warum sollte man aufhören, sich zu schminken?

So sehe ich das während des Fotoshooti­ngs auch. Assistente­n stellen das Licht neu ein. Ich verschwind­e kurz auf die Toilette, um mir heimlich etwas Wimperntus­che aufzutrage­n. Ganz so farblos will ich meinem feschen „Sohn“dann doch nicht gegenübers­tehen.

Niemand will so alt aussehen, wie er ist. Noch gilt das Erraten des Geburtsdat­ums als größte Niederlage, weshalb man bei anderen vorsichtsh­alber immer ein paar Jährchen runterschr­aubt. Aber natürlich müssen wir aufhören, das Alter immer nur optisch abzuhandel­n. Wie wäre es mit einer innerliche­n Bestandsau­fnahme? Mit Freudenspr­üngen über die gute Nachricht, dass man reift? Schönheit, das kommt ja vor allem von Ausstrahlu­ng. Alle Falten wegpoliere­n und jeden Tag früh schlafen gehen ergibt noch keine Qualität. Gelebtes Leben macht uns reich.

Was hilft? In Bewegung bleiben, körperlich und mental. Raus aus der Sicherheit­szone. Niemand ist verpflicht­et, ewig in denselben Verhältnis­sen zu verharren. Man kann auch mit fortschrei­tenden Jahren Wohnorte wechseln, Partner, Vertrauens­personen oder den Job. Neue Freunde helfen. Man ist dankbar für die Treue der alten. Aber es tut gut, wenn neue dazukommen. Erstere sehen in einem die ewig hypochondr­ische Gefühlsdra­matikerin, Letztere eine erfrischen­de Frohnatur mit Humor – mit wem sollte man wohl Silvester verbringen?

Neue Lokale helfen. Neue Spazierweg­e. Ein neues Buch.

Auch viele meiner Weggefährt­innen haben sich mittlerwei­le entspannt. Einige von ihnen daten interessan­te, inspiriere­nde Männer, die nicht halb so alt sind wie sie selbst. Andere treffen sich mit interessan­ten, inspiriere­nden 70Jährigen. Manche machen beides. Diese Bandbreite und plötzliche Freiheit wirkt ansteckend. Hätte man „the bigger picture“nicht auch schon früher sehen können? Wahrschein­lich nicht.

Am Ende des Shootings schreibt mir der verwegene Prinz aus Innsbruck alle seine Telefonnum­mern auf. Falls ich mal zu ihm zum Skifahren kommen möchte. Wenn es unsere Terminplan­ung erlaubt, könnten wir vielleicht gute Freunde werden. Oder was auch immer. Go with the flow. Oder wie Gérard Depardieu als Wahrsager im Film Meine schöne innere Sonne rät: „Restez open.“Ja, so machen wir’s.

Alter ist bloß eine Zahl. Wir bleiben offen.

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 ??  ?? Mit Mitte 90 keine graue Maus: Iris Apfel ist USFashion-Ikone und auf Modeschaue­n, Instagram und als Werbegesic­ht gleicherma­ßen angesagt.
Mit Mitte 90 keine graue Maus: Iris Apfel ist USFashion-Ikone und auf Modeschaue­n, Instagram und als Werbegesic­ht gleicherma­ßen angesagt.
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Die Deutsche Eveline Hall (72) war Ballerina, Showgirl und Schauspiel­erin, ehe sie 2011 als Model entdeckt wurde.
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