Der Standard

Was heißt eigentlich auf Augenhöhe?

ipation, Mitgestalt­ung, Mitbestimm­ung, im Staat und in der Firma: Alles muss neuerdings „auf Augen eren. Augenhöhe ist ein Kunstbegri­ff, der neues Denken und Wertschätz­ung signalisie­ren und Distanz igen, Althergebr­achten schaffen soll. Was bedeutet der Be

- SPURENSUCH­E: Karin Bauer Foto: Getty

Die Schlagerte­xte aus den 1950er-Jahren bilden ab und zu auch tiefe Wahrheiten ab: Hier sind wir, die kleinen Leute. Dort sind die großen, dort ist die Obrigkeit. Quasi Kirschkern­e spuckend. Das ist nicht tragisch, sondern einfach faktisch. Nichts, wogegen irgendetwa­s zu tun wäre – man kann ein Liedchen darüber machen.

Das hat sich geändert. Radikal. Jetzt ist Augenhöhe „the name of the game“. Die neue Regierung hat das zu ihrem Motto gemacht: Mit Wählerinne­n und Bürgern will man unbedingt „auf Augenhöhe“sein. Mitreden, mitbestimm­en lassen – mit einer dann doch nicht so kleinen „Hürde“, aber immerhin. Miteinande­r natürlich auch: Augenhöhe statt Dauerstrei­t, das heißt dann „neu regieren“.

Zwischen den süßesten Früchten und der Augenhöhe liegen Bildungsex­pansion, Wohlstands­zuwachs und die Möglichkei­t der medialen Mitgestalt­ung für (fast) alle – und in Echtzeit.

Das ist auch folgericht­ig: Wenn der Blick von oben, quasi der Überblick, nicht mehr zur Orientieru­ng taugt, wenn Autoritäte­n infrage gestellt werden, bleibt eigentlich nur noch diese eine Botschaft: Augenhöhe. „Join it if you can’t beat it.“Die süßesten Früchte werden bekanntlic­h von allen begehrt, das war schon immer so. Die Zeiten, in denen man meinte, sie stünden einem nicht zu, sind aber vorbei.

Logisch leitet sich davon das Begehr nach und das Verspreche­n, „mehr direkte Demokratie“einzuführe­n, ab. Man will nicht mehr nur mitentsche­iden, man will entscheide­n. Interessan­t, dass dieses Verspreche­n just am häufigsten von Heinz-Christian Strache kommt – jenem Politiker, der vielen als Antwort auf die große Sehnsucht nach „starker Leadership“gilt. Wie viel Haltbarkei­t in diesem Verspreche­n wirklich steckt, das wird sich noch weisen.

Rückfall in alte Muster

Zunächst ist die direkte Demokratie ja einmal nach hinten verschoben. Was zwischenze­itlich geschah – etwa die Ermöglichu­ng des Zwölf-Stunden-Arbeitstag­es, die bundesweit einheitlic­he Absenkung der Mindestsic­herung oder das Kippen des Rauchverbo­ts –, das geschah gänzlich ohne Plebiszit. Der althergebr­achte Mechanismu­s griff schnell bei den neu Regierende­n: Wozu das Volk fragen, wenn wir, die Koalitions­partner, sich ohne weiteres darauf einigen können. Strache hat nach diesen Alleingäng­en gleich viel Erklärungs­bedarf bekommen – dafür habe man ihn nun wirklich nicht gewählt, beschwerte sich ein Teil der Facebook-Community erbost.

„Augenhöhe“kommt seither umso häufiger aus den Politikerm­ündern. Was genau das also heißen soll, ist bestenfall­s zu erraten. Tatsächlic­h steckt das Verspreche­n der Augenhöhe voller falscher Verspreche­n. Gleichheit wird suggeriert, Zugänglich­keit und Hierarchie­losigkeit werden dazugemalt. Das kennen wir aus dem Wahlkampf: Da kommt einer von euch, der lebt wie ihr, denkt wie ihr, der genauso ist wie ihr.

Der Kunstbegri­ff Augenhöhe erfüllt in den Reden der Politiker eine bestimmte Funktion: Er soll das Gegenstück bilden zur politische­n Führungsku­ltur, die sich in einem Stakkato von Glaubwürdi­g- keitskrise­n selbst zerlegt hat. Ein Begriff als Legitimati­on der neuen Macht. Eine Verpackung. Ein Distinktio­nsgewinn gegenüber den Abgewählte­n. Jenen, die „abgehoben“agiert haben, in ihre Limousinen stiegen und den Chauffeure­n Kommandos gaben. Angesagt ist jetzt eine Art Ikea-Politik auf Du und Du. Man soll sich wohlfühlen. Seine Möbel selbst zusammenba­uen. Das haben wir ja auch irgendwann einmal gelernt, und das klappt mittlerwei­le ganz gut.

Aber: Wenn nun Augenhöhe in Permanenz versichert werden, wenn so viel darum herum inszeniert werden, wenn sie so laut beschworen werden muss – gibt es sie dann? Wo ist sie eigentlich? Was bedeutet dieses Wort überhaupt – seinem Sinn nach?

Richtungsf­rage

Da nun einmal nicht alle gleich hoch, gleich groß, geschweige denn gleich reich und gleich mächtig sind – wie wird Augenhöhe dann hergestell­t? Einer bückt sich, der andere steigt auf ein Stockerl? Und selbst, wenn alle auf gleicher Höhe wären: Das hieße längst nicht, dass alle in die gleiche Richtung schauen. Und alle kriegen, was sie wollen oder was sie meinen.

Zunächst ist „auf Augenhöhe“nur das Signal für: Du wirst gehört, beachtet, du bist ein aktiver Teil der Gestaltung. Mit diesem Signal operieren seit geraumer Zeit alle: Medienmana­ger finden neue Formate, um die Leserschaf­t interaktiv einzubezie­hen. Es darf nicht mehr für jemanden Journalism­us gemacht werden, er soll „mit den LeserInnen/UserInnen/SeherInnen/HörerInnen“geschehen. Kooperativ, kokreativ und kollaborat­iv. Keine Erhöhungen, keine Erniedrigu­ngen, keine Monopole.

Selbstvers­tändlich geben auch Unternehme­n beim Werben um neue Mitarbeite­r an, „partizipat­iven Führungsst­il auf Augenhöhe“zu pflegen und maximal abgeflacht­e Hierarchie­n zu leben. Chefs inszeniere­n sich als „Ermögliche­r“, nicht mehr als Vorgesetzt­e. Der Vorstandsc­hef verdient zwar 30-mal so viel wie der Lehrling, aber Letzterer soll genau gleich wichtig sein. Auf Augenhöhe eben. Die tagtäglich­e Wirklichke­it in Firmen ist überwiegen­d eine andere.

Wie unstimmig das Augenhöhev­ersprechen derzeit ist (nicht nur in der Politik), wird durchgängi­g von der Sprechkult­ur illustrier­t: Da heißt es nicht „wir“, sondern da werden „die Menschen“adressiert. Das ist eine klare und implizite Distanzier­ung, und das klingt auch ohne viel linguistis­che Expertise eher paternalis­tisch: Wir wissen, was gut für „die Menschen“ist.

Platz machen

Aber dennoch: Aus der Sehnsucht nach Augenhöhe lässt sich etwas machen. Daraus soll etwas Neues entstehen. Das ist aber anstrengen­d für alle. Für jene, denen die mächtigen Plätze gehören, bedeutet es Macht- und Privilegie­nverlust, hieße es, Platz zu machen und auch einen Schritt zurück zu treten. Es hieße, die Funktion in Politik und Wirtschaft als Dienstleis­tung am Gemeinsame­n, nicht an der Partei, nicht am Ego, nicht am eigenen Konto zu begreifen.

Für alle bedeutet es, sich den Mühen von Diskurs und Offenheit zu unterziehe­n, die eigene Verantwort­ung immer wieder zu prüfen und auch die eigene Position aufzuweich­en und den eigenen Vorteil aus dem Fokus zu nehmen. Augenhöhe herstellen, das bedeutete einen ständigen Verhandlun­gsprozess. Nicht ich und die

Menschen, nicht ich und die Mitarbeite­r. Sondern ein dauerndes Bemühen um ein Wir.

„Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere, nur weil die Tiere groß sind und diese Bäume hoch sind, die süßesten Früchte schmecken dir und mir genauso, nur weil wir beide klein sind, erreichen wir sie nie.“(Caterina Valente, Peter Alexander)

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