Der Standard

Der Grabstein, der Tote und der Brief

Bei alten Gräbern ist es für Friedhöfe oft schwierig herauszufi­nden, wer für Nutzung und Pflege verantwort­lich ist. Manchmal gibt es nur Daten von Verstorben­en, die dann überrasche­nd Post erhalten.

- Michael Simoner

Wien – Manchmal, so hat man den Eindruck, möchte der Amtsschimm­el mit lautem Wiehern Tote erwecken: „Ihr Grabstein ist nach hinten umgefallen“, heißt es in einer Aufforderu­ng zur baulichen Instandset­zung, die die Friedhöfe Wien GmbH Herrn Diplom Ingenieur Friedrich W. vor kurzem zukommen ließ. Doch Herr W. kann sich nicht mehr darum kümmern. „Er ist im Jahr 1964 verstorben“, erzählt seine Urenkelin, die den Brief deswegen in Händen hält, weil sie mittlerwei­le in der früheren Wohnung ihres Uropas in Wien-Mariahilf lebt.

Die Familie wusste gar nicht, dass das Grab noch existiert. Genauso überrascht war man davon, dass der Vorfahre 53 Jahre nach seinem Tod ausgerechn­et für die Verwaltung des Wiener Zentralfri­edhofs noch lebt.

Das Grab, für dessen Reparatur eine Frist bis 23. Jänner gesetzt wurde, ist nicht das, in dem der Urgroßvate­r selbst bestattet wurde, sondern die letzte Ruhestätte für ein bereits 1912 verstorben­es Familienmi­tglied. Der Uropa hatte als junger Mann das Grab erworben. Es befindet sich in einem für heutige Verhältnis­se recht prominente­n Teil des Zentralfri­edhofs gleich hinter der Borromäus-Kirche, nicht weit entfernt vom Haupteinga­ng bei Tor 2. Urgroßvate­r W. fand in Niederöste­rreich seine letzte Ruhestätte.

Bei der Friedhöfe Wien GmbH, die zum Wiener Stadtwerke-Kon- zern gehört, wird versichert, dass man keinen pietätlose­n Eindruck erwecken habe wollen. Für das amtliche Schreiben seien die letzten verfügbare­n Daten verwendet worden. „Bei 200.000 Kunden ist leider nicht immer garantiert, dass alle Daten auch auf dem letzten Stand sind“, sagt ein Sprecher zum STANDARD. Grundsätzl­ich falle es in die Zuständigk­eit von Nutzungsbe­rechtigten, Änderungen bekanntzug­eben. Üblicherwe­ise regelt sich das heute bei der Verlängeru­ng der auf jeweils zehn Jahre befristete­n Grabnutzun­g. Doch damals, wie im Fall W., waren Einmalzahl­ungen für Gräberplät­ze üblich – Nutzungsre­chte auf Bestandsda­uer des Friedhofs inklusive.

Unterschie­dliche Kosten

Heute werden – je nach Lage und Art des Grabes – für die erstmalige Dekade zwischen 950 und 1200 Euro für Sarggräber fällig. Bei Urnengräbe­rn, deren Benützung gleich auf bis zu 60 Jahre festgelegt werden kann, betragen die erstmalige­n Zehnjahres­gebühren 500 bis 650 Euro. Eine Verlängeru­ng ist etwas günstiger, weil das einmalige Bereitstel­lungsentge­lt entfällt.

Übernehmen nach einem Todesfall Hinterblie­bene bereits vorhandene Gräber, müssen sie eidesstatt­lich erklären, dass die Übernahme mit anderen Verwandten abgeklärt ist beziehungs­weise dass es keine anderen Verwandten gibt. Außerdem müssen sie künftige Kosten übernehmen.

Familie W. wird das ramponiert­e Grab auf dem Zentralfri­edhof herrichten lassen und hofft, dass nun auch der Urgroßvate­r wieder seine ewige Ruhe hat.

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Der Wiener Zentralfri­edhof: 330.000 Grabstelle­n auf einer Fläche von 2,5 Quadratkil­ometern.

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