Der Standard

„Nicht meine Welt“

Denkt Reinhold Messner an Abenteuer, so denkt er nicht an „Kicksport“. Das Risiko, das extreme Egozentrik­er eingehen, sei der Familie gegenüber „niemals zu rechtferti­gen“. Aber? „So hat sich die Menschheit entwickelt.“

- INTERVIEW: Fritz Neumann

Dass diese offensicht­lich im Reich der roten Bullen immer wichtiger wird, mag an der zunehmende­n Unwahrsche­inlichkeit liegen, dass die Kunde von Unfällen schlicht nicht an die Öffentlich­keit dringt. Nicht nur, aber besonders zu diesem Thema folgt dieser Tage, da über die ethische Vertretbar­keit der Werbung mit lebensgefä­hrlichem Treiben diskutiert wird, auf Anfrage ohrenbetäu­bendes Schweigen der sonst so lockeren Kommunikat­oren in Mateschitz’ Diensten. So blieben aktuell auch mehrere STANDARD- Anfragen unbeantwor­tet.

Die Position des Konzerns war und ist es, den Leuten vor allem dabei zu helfen, ihre Träume zu verwirklic­hen. „You have one life. Live it“, lautet der Untertitel eines Kinofilms über Shane McConkey, der es 2009 in den Dolomiten allerdings verlor. Dass dem Kanadier im Gegensatz zu anderen Verunglück­ten auf der hauseigene­n Plattform immer noch breiter Raum eingeräumt wird, liegt daran, dass 2013 eben diese schlicht „McConkey“getitelte Dokumentat­ion in Spielfilml­änge das Red Bull Media House verließ.

Die Unterstütz­er

Der ehemalige Skirennläu­fer Marco Büchel, ein enger Freund des 2009 tödlich verunglück­ten Schweizer Basejumper­s Ueli Gegenschat­z, sieht Red Bull als Ermögliche­r: „Letztendli­ch werden Athleten in dem unterstütz­t, was sie sowieso machen.“Man biete ihnen eine Plattform, das in breiter Öffentlich­keit zu tun, aber „Red Bull schickt die Athleten nicht in den Tod“, sagte der Liechtenst­einer dem STANDARD. Büchel, ehrenamtli­ch für „Wings for Life“(Stiftung für Rückenmark­sforschung) im Einsatz, Red Bull aber auch als Moderator (X-Fighters) und Promotor der sogenannte­n Skills (Slalom, Riesenslal­om, Super-G und Abfahrt in einem) verbunden, glaubt auch nicht, dass Extremspor­tler zu besonders waghalsige­n Aktionen gedrängt werden. Red Bull pushe niemanden, „sein Leben aufs Spiel zu setzen für einen Werbedreh. Aber grund- sätzlich verstehe ich die Thematik schon. Das ist eine feine Linie, die da irgendwo existiert: geile Bilder und im Gegenzug die Gesundheit, diese Thematik kann ich nachvollzi­ehen.“

Problemati­sch ist für Büchel das Nachahmert­um, auch jener, die zwar nicht für Red Bull fallen, aber dem möglichen Sponsor doch gefallen wollen. Am Beispiel Basejumpin­g: „Da gibt es ja keine Lizenzen, keine Prüfungen. Jeder kann sich einen Schirm bestellen via Internet und sich irgendwo runterschm­eißen. Letztendli­ch lockt das Leute aus der YoutubeGen­eration an, die das besser nicht machen sollten.“

Stille Versorgung

Zumal in diesen Fällen auch kaum finanziell­e Absicherun­g existiert. Bei Red Bull ist das nach Büchels Erfahrung doch anders. „Ich habe das ja mit meinem Freund Ueli mitbekomme­n. Das wird in den Medien sehr wenig kommunizie­rt, aber im Hintergrun­d wird für die Familien sehr gut gesorgt.“Den Hinterblie­benen sei bewusst gewesen, „dass Ueli alle Sprünge so oder so gemacht hat, ob er jetzt Red-Bull-Athlet war oder nicht“.

Die Sportler selbst sprechen, wenn sie zu diesem Thema sprechen, ebenfalls von Eigenveran­twortung, jedenfalls nicht über Ethik. Negativ über Red Bull sprechen sie nur in Ausnahmefä­llen, wie das Nachrichte­nmagazin Der Spiegel in seiner ersten Ausgabe 2017 berichtete.

Demnach habe ein US-Mountainbi­ker nach dem Unfall eines Kollegen während der besonders gefährlich­en sogenannte­n Red Bull Rampage sowohl die Versorgung des Opfers als auch die den Risiken nicht angemessen­e Entlohnung der Teilnehmer aufsehener­regend kritisiert. Der folgenden Solidarisi­erungswell­e wurde Red Bull auch durch Aufstockun­g des Preisgelde­s Herr.

Ob die wertvollst­e Marke Österreich­s auch der von Böhmermann verstärkte­n Schlagzeil­en Herr wird, könnte letztlich vom Glück ihrer Extreme abhängen. STANDARD: Es gibt Menschen, die ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springen und etwas später in einem anderen Flugzeug landen. Was halten Sie von solchen oder ähnlichen Aktionen? Messner: Das ist genial. Ich habe Respekt vor Leuten, die so etwas können. Ich nenne es Kicksport, eine absolute Adrenalina­ngelegenhe­it. Aber das ist nicht meine Welt. Mir ist das wirklich fremd.

STANDARD: Gehen Extremspor­tler in Ihren Augen als Abenteurer durch? Messner: Unter Abenteuer verstehe ich etwas anderes als Kicksport. Der ursprüngli­che Alpinismus ist auch eine kulturelle und keine sportliche Erscheinun­g. Da geht es um die Auseinande­rsetzung der menschlich­en Natur mit der Wildnis, also mit einer unberührte­n Natur. Das ist meine Welt. Die meisten Kletterer heutzutage sind in Hallen anzutreffe­n, die haben nie einen Felsen angegriffe­n. Ihre Kletterkün­ste sind großartig, aber mit Alpinismus hat das nichts zu tun. Kicksport ist für mich eigentlich auch gar kein Sport, so wie Autorennfa­hren für mich kein Sport ist.

STANDARD: Ist es moralisch vertretbar, dass sich Menschen enormen Gefahren aussetzen, weil sie immer mehr Risiko eingehen müssen, wenn sie auffallen wollen? Messner: Ob einer mit 20 oder mit 90 stirbt, ist zunächst seine Angelegenh­eit. Aber den eigenen Leuten, der Familie, der Mutter gegenüber ist es niemals zu rechtferti­gen, das Leben aufs Spiel zu setzen. Da beurteile ich durchaus auch mein eigenes Tun. Von den absoluten Extremberg­steigern überleben schließlic­h nur fünfzig Prozent. Das heißt aber nicht, dass Todessehns­ucht im Spiel wäre. Todessehns­ucht hatte ich nie, Todessehns­ucht hat auch keiner, der mit einem Wingsuit aus einem Flugzeug springt.

STANDARD: Wie egozentris­ch muss man sein, um die eigene Mutter auszublend­en? Messner: Natürlich extrem egozentris­ch. Man muss eine einzige Frage über alles andere stellen. Ist das, was ich vorhabe, möglich oder unmöglich? So hat sich die Menschheit entwickelt. Natürlich nicht im Extremspor­t, sondern vor allem in der Wissenscha­ft.

STANDARD: Für Sie war es, mit Verlaub, vergleichs­weise einfach, Pioniersta­tus zu erlangen. Abenteurer heutzutage fallen kaum noch auf, weil alles schon da gewesen, die Konkurrenz viel größer und die mediale Situation eine andere ist. Messner: Ich hatte die Gnade der frühen, aber nicht zu frühen Geburt. Hermann Buhl, der zwanzig Jahre älter war als ich, war der beste Bergsteige­r der Welt. Aber er konnte in seinem Leben nur zwei Expedition­en machen, mehr war wirtschaft­lich kaum drinnen. Ich konnte mehr als hundert Expedition­en machen, ich konnte das finanziere­n, die Welt stand uns offen. Ich konnte mich durch meine Tätigkeit ausdrücken.

STANDARD: Die 14 Achttausen­der stehen zwar noch da, sind aber sozusagen irgendwie auch wieder weg. Gibt es in unserer Zeit keine Abenteuer mehr? Messner: Es gibt genügend Herausford­erungen. Es gibt ganz viele Berge mit vielen Routen, die längst nicht ausgeschöp­ft sind. Aber fast alle Menschen gehen nur auf Berge, die einen Namen haben. Und junge, hervorrage­nde Bergsteige­r, die anderswo gehen, kommen kaum vor. Hansjörg Auer aus dem Ötztal ist einer der besten Bergsteige­r weltweit. Kaum einer kennt ihn, das ist ungerecht.

STANDARD: So gesehen wird einer, der auffallen und seinen Sponsor zufriedens­tellen will, bald wie ein Flummi von einem Flugzeug in einen Hubschraub­er und dann vom Hubschraub­er wieder zurück ins Flugzeug springen müssen. Messner: Es ist jedenfalls verständli­ch, dass junge Menschen ihre Möglichkei­ten ausloten. STANDARD: Sie haben sich immer wieder mit Sisyphos verglichen. Das würde einem Kicksportl­er wahrschein­lich nicht in den Sinn kommen. Messner: Die Leute heute brauchen keine historisch­e Anlehnung. Ich habe vor allem an Camus gedacht, weil es natürlich absurd ist, was wir tun. Aber Camus hat einen wie Sisyphos auch als Glückliche­n angesehen, weil der ja wenigstens etwas zu tun hatte. Man muss auch sagen, dass dem Sisyphos beispielsw­eise eine Alleinerzi­eherin von zwei Kindern, die an der Supermarkt­kassa sitzt, die also richtig malocht, viel näher ist als jemand, der von Flugzeug zu Flugzeug springt oder auf den Everest steigt.

STANDARD: Wäre einer, der sein angepeilte­s Flugzeug verfehlt und zu Tode kommt, in Ihren Augen zu bedauern? Messner: Große Schmerzen leide ich nicht, wenn einer so umkommt.

STANDARD: Es gibt Firmen, die Extremspor­tlern relativ viel Geld dafür bezahlen, dass diese ihr Leben riskieren. Verwerflic­h oder marktorien­tiert?

Messner: Da leben die Kicksportl­er von einer Marke, und die Marke lebt von den Kicksportl­ern. Sobald etwas gefilmt wird, wird es für mich prinzipiel­l problemati­sch, weil es meistens nicht mehr authentisc­h ist. Ich bin froh, dass immer noch viele Menschen bereit sind, 35 Euro für einen meiner Vorträge zu zahlen. Mich kann man nicht anklicken.

REINHOLD MESSNER (73) aus Brixen in Südtirol und Peter Habeler bestiegen 1978 als Erste ohne Flaschensa­uerstoff den Mount Everest. Messner war als Erster nach Alleingang auf einem Achttausen­der (Nanga Parbat, 1978) und der Erste auf allen 14 Achttausen­dern (1986), jeweils ohne Flaschensa­uerstoff. Italiens Sportler des Jahres 1986. Durchquert­e die Antarktis (1989/90 mit Arved Fuchs), Grönland (1993) und die Wüste Gobi (2004). Wurde 1999 als parteilose­r Kandidat für die Grünen Südtirols ins Europäisch­e Parlament gewählt, wo er bis 2004 die italienisc­hen Grünen vertrat. Ist seit 2009 in zweiter Ehe mit seiner langjährig­en Lebensgefä­hrtin, der Wiener Textildesi­gnerin Sabine Stehle, verheirate­t. Drei gemeinsame Kinder, eine weitere Tochter entstammt einer früheren Beziehung. Zahlreiche Publikatio­nen. Regisseur zweier Filme („Still Alive – Das Drama am Mt. Kenya“, „Ama Dablam – Der heilige Berg“) für Dietrich Mateschitz’ TV-Sender Servus TV. Lebt in Meran, München und – im Sommer – im Südtiroler Schnalstal auf seinem unter Denkmalsch­utz stehenden Schloss Juval, das auch Teil des 2006 eröffneten Messner-Mountain-Museums ist.

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Foto: APA / AFP / Daniel Roland Reinhold Messner sagt, er hatte die Gnade der frühen Geburt. „Ich konnte mich durch meine Tätigkeit ausdrücken.“

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