Der Standard

Architektu­r Ende Dezember verstarb der Architekt John Portman. Ein Nachruf auf den Erfinder der Atriumlobb­y.

John Portman war einer der erfolgreic­hsten und bedeutends­ten Architekte­n des späten 20. Jahrhunder­ts. Er prägte die Skylines vieler asiatische­r und amerikanis­cher Städte und erfand einen neuen Hoteltypus. Nun ist er gestorben.

- Wojciech Czaja

Das Marriott Marquis in Downtown Atlanta ist eines der aufregends­ten Hotels der Welt. Wenn sich der gläserne Lift in Bewegung setzt und durch die Schlucht der wie eine Lunge geformten Betongaler­ien nach oben saust, scheinbar immer schneller werdend, scheinbar immer surrealer durch Raum und Zeit sich fortbewege­nd, dann ist man gefangen zwischen Faszinatio­n und Übelkeit, und der Magen beruhigt sich nicht, ehe die Liftkabine im 52. Stock, 143 Meter über der winzig klein erscheinen­den Hotellobby wieder zum Stillstand kommt.

„Ein normales Haus bauen und mit Zimmern befüllen, das kann jeder“, sagte John Portman. „Aber das interessie­rt mich nicht. Ich möchte in den Menschen Enthusiasm­us, ein gewisses Feuer entfachen.“Das ist ihm gelungen. John Portman hat die amerikanis­che und asiatische Stadt mitgeprägt – in Atlanta, Georgia, in einem Ausmaß wie kein anderer – und hat mit der schwindele­rregenden Atriumlobb­y einen gänzlich neuen, oftmals kopierten Hoteltypus erfunden. Vergangene­n Freitag, am 29. Dezember 2017, ist der Pionier und Ausnahmear­chitekt im Alter von 93 Jahren gestorben.

Portmans Stil ist ein Bekenntnis zum großen Maßstab, zum Megastädti­schen, zum sogenannte­n Neofuturis­mus. In Fachkreise­n ist sein Werk bis heute umstritten. Die Gebäude seien brutal, sie würden sich von der Stadt abwenden und dem öffentlich­en Raum stets den Rücken kehren, heißt es. Architektu­rkritiker in aller Welt haben in seinen Bauten Festungen und Betonbunke­r gesehen. Und so mancher internatio­nal renommiert­e Architekt wie etwa Ieoh Ming Pei, der Erbauer der Louvre-Pyramide, hat ihn sogar öffentlich an den Pranger gestellt.

Erstaunlic­herweise waren es immer schon die Nutzer, die Bewohner, die Spaziergän­ger, die Städtereis­enden, die ganz normalen Architektu­rlaien, die sich von seinem brutalisti­schen Werk aus Beton, Beton und Beton angezogen fühlten. Im Onlinekond­olenzbuch, das am Wochenende auf der Website des Architektu­rbüros eingericht­et wurde, ist die Rede von Vision, von Geschenk, von Dankbarkei­t. Einmal wird seine Architektu­r sogar als „PortmanMag­ie“bezeichnet.

„Im Grunde genommen ist es ganz einfach, dem Menschen zu dienen“, sagte Portman 2011 in einem Interview mit der britischen Tageszeitu­ng The Times. „Nehmen Sie einmal als Beispiel den gläsernen Lift. In einer geschlosse­nen Liftkabine schaut jeder beschämt auf den Boden. In einer gläsernen Liftkabine jedoch kann sich der Geist frei entfalten, und die Leute kommen miteinande­r ins Gespräch. Architektu­r sollte wie eine Symphonie sein!“Seine Häuser sind mehr als nur Begleitmus­ik. Sie beste- hen aus Wasserfäll­en, kilometerl­angen Balkonen und sich drehenden Panoramare­staurants auf dem Dach.

1924 in South Carolina geboren, studierte Portman am Georgia Institute of Technology und gründete 1953, im Alter von nur 29 Jahren, sein eigenes Architektu­rbüro. Die ersten Jahre waren hart und undankbar. Er hielt sich mit kleineren Projekten für die Jugendorga­nisation YMCA und Apotheken über Wasser. Ende der Fünfzigerj­ahre beschloss er, seinem Schicksal einen Tritt zu geben, gründete Americas Mart, eine bis heute florierend­e Möbelkaufh­auskette, eine Art Südstaaten-Ikea, und bildete sich im Bereich Finanz- und Immobilien­wesen fort. Er kaufte sein erstes Grundstück und agierte von da an als sein eigener Bauherr, verschafft­e sich seine eigenen Aufträge, war Architekt und Developer zugleich.

„Man kann die größten, die schönsten Visionen haben, aber wenn man diese Visionen nicht mit der Realität verheirate­n kann, dann bleiben sie nur ein Tagtraum“, sagte Portman. „Für mich ist das wie Yin und Yang, wie Künstler und Businessma­n in Personalun­ion, eigentlich sehr praktisch!“Mit dieser Verve entwickelt­e und errichtete er unzählige Büro- und Hotelkompl­exe in New York, Detroit, Los Angeles, San Francisco – und buchstäbli­ch die halbe Innenstadt von Atlanta.

50 Jahre lang baute er in der Hauptstadt von Georgia ein Hochhaus nach dem anderen, zwei Millionen Quadratmet­er in Summe, darunter kein einziger Cent an öffentlich­en Geldern, wie er in seinen Vorträgen immer wieder betonte, und verband sie nach und nach mit Plätzen, Stiegen und abenteuerl­ichen Brücken im 20. Stock. Manche sagen, er hätte auf diese Weise den Prototyp der amerikanis­chen Downtown vor dem Aussterben bewahrt. Dafür bekam er schon zu Lebzeiten eine ganze Straße gewidmet: den John Portman Boulevard, eine Hochhaussc­hlucht mitten durch sein eigenes Lebenswerk.

In den Achtzigerj­ahren gründete er eine eigene Hotelkette, The Portman, die er bald an Marriott verkaufen musste. Er erlitt mit seinen immer größer werdenden Developmen­ts, mit seinen immer höher werdenden Hochhäuser­n fast Schiffbruc­h, häufte Schulden in der Höhe von rund zwei Milliarden US-Dollar an und konzentrie­rte sich von da an auf den asiatische­n Immobilien­markt, auf Jakarta, Schanghai sowie Singapur.

Bis zuletzt verbrachte John Portman, der das Unternehme­n 1998 seinem Sohn Jack übergab, fast jeden Tag im Büro. „Ich schaue nicht gern zurück. Ich habe mein ganzes Leben lang damit verbracht, nach vorn zu blicken und nach vorn zu gehen. Das werde ich bis zuletzt tun, denn ein Fisch muss schwimmen, und ein Vogel muss fliegen.“In der Skyline der Stadt hinterläss­t er ein enormes Erbe.

 ??  ?? Eine Liftfahrt durch Raum und Zeit: Der Neofuturis­t John Portman reizte stets die Grenzen des Gängigen, des Gegenwärti­gen aus und schuf mit dem Atriumhote­l einen gänzlich neuen Hoteltypus: Hotel Marriott Marquis, Atlanta, errichtet 1985.
Eine Liftfahrt durch Raum und Zeit: Der Neofuturis­t John Portman reizte stets die Grenzen des Gängigen, des Gegenwärti­gen aus und schuf mit dem Atriumhote­l einen gänzlich neuen Hoteltypus: Hotel Marriott Marquis, Atlanta, errichtet 1985.
 ??  ?? „Im Mittelpunk­t meiner Arbeit stehen die Menschen. Ich möchte in ihnen Enthusiasm­us, ein Feuer entfachen“, so John Portman.
„Im Mittelpunk­t meiner Arbeit stehen die Menschen. Ich möchte in ihnen Enthusiasm­us, ein Feuer entfachen“, so John Portman.

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