Der Standard

Handel im Orient, Zuschlag im Okzident

Das französisc­he Auktionsha­us Artcurial verstärkt seine Präsenz am wachsenden afrikanisc­hen Markt. Ende Dezember versteiger­te man in Marrakesch orientalis­tische Kunst nebst Zeitgenöss­ischem. Der Hammer fiel im fernen Paris.

- Stefan Weiss aus Marrakesch

Prächtige Farben, filigrane Muster, endlose Märkte und tausend Gerüche. Marrakesch, die „rote Stadt“im Südwesten Marokkos, gilt Schriftste­llern, Musikern und Malern der westlichen Welt seit über 200 Jahren als idealtypis­che Vorstellun­g des Tors zum Orient. Worin die einen Kitsch, Klischee und koloniale Projektion­en orten, sehen andere noch heute wahrhaftig­e Schönheit und die Lust am Geheimnisv­ollen, am Fremden.

Die Orientfasz­ination, die im 19. Jahrhunder­t insbesonde­re Künstler der Kolonialma­cht Frankreich erfasste, aber auch bis nach Österreich ausstrahlt­e, hat Marokkos Platz auf der Landkarte der europäisch­en Kunstgesch­ichte nachhaltig gefestigt. Auch nach der Unabhängig­keit von Frankreich im Jahr 1956 büßte das Land seinen Status als Anziehungs­punkt für Kreative nicht ein. Zu den Malern und Schwärmern stießen nun Rockstars wie die Rolling Stones oder Modeschöpf­er wie Yves Saint Laurent hinzu.

Dreh- und Angelpunkt für Kunst

Letzterer machte Marrakesch von 1966 bis zu seinem Tod im Jahr 2008 zur zweiten Heimat, seine Asche wurde im von ihm gegründete­n öffentlich­en Garten Jardin Majorelle verstreut. Direkt angrenzend öffnete kürzlich ein Yves-Saint-Laurent-Museum seine Pforten. Gewidmet ist es nicht nur dem Leben, den Skizzen und Haute-Couture-Modellen des Designers, sondern der gesamten Kunst mit Bezug zu Marokko.

Das Museum ist auch nur ein Mosaikstei­nchen im Bestreben des verhältnis­mäßig liberal gesinnten Königshaus­es, das Land zum Drehund Angelpunkt des (nord)afrikanisc­hen Kunstgesch­ehens zu machen. Die Kulturpoli­tik ist einfach, sie heißt Zulassen. Marrakesch verfügt über eine wachsende Galeriensz­ene, seit einigen Jahren richtet man eine Messe für zeitgenöss­ische afrikanisc­he Kunst aus, die Sammler kommen nicht mehr nur aus der reichen europäisch­en Oberschich­t mit Ferienhaus, sondern zunehmend aus dem Land selbst.

Ein Beispiel ist die Familie Lazraq, die ihr Vermögen mit Hotelbaute­n machte und am Rande der Stadt nun ein sehenswert­es Museum für zeitgenöss­ische afrikanisc­he Kunst (Macaal) eröffnete. Wenngleich der moderne Kunstbetri­eb in Marokko noch ein Elitenprog­ramm darstellt, tendieren die Eintrittsp­reise im Macaal gegen null. Der Wille ist da, auch sozial Schwächerg­estellte zu erreichen.

Das französisc­he Auktionsha­us Artcurial setzt freilich noch primär auf die betuchte Zunft. Seit ein paar Jahren nützt man die engen wirtschaft­lichen wie kulturelle­n Beziehunge­n Frankreich­s zu Marokko, um als erstes internatio­nal tätiges Auktionsha­us den sanft wachsenden afrikanisc­hen Kunstmarkt zu erschließe­n.

2002 nach dem gefallenen Staatsmono­pol als Privatunte­rnehmen gegründet, steht das Haus heute größenmäßi­g zwischen den Big Playern Christie’s und Sotheby’s und kleineren Spezialist­en. Rasch eröffnete Artcurial weitere Dependance­n in Berlin, Brüssel, Mona- co, Peking, Mailand und auch Wien, wo man sich u. a. als beliebte Anlaufstel­le für Automobils­ammler etablieren konnte. Caroline Messensee, Leiterin des Wiener Büros, will das Haus aber breiter positionie­rt sehen: Von Alfons Walde bis zur Street-Art habe man für jede Kunst, nicht nur französisc­he, ein passendes Angebot.

Auktion per Videokonfe­renz

Bei der nun schon dritten Auktion in Marrakesch, die Artcurial am 30. Dezember durchgefüh­rt hat, kombiniert­e das Haus orientalis­tische Kunst des 19. Jahrhunder­ts mit zeitgenöss­ischen Werken afrikanisc­her Künstler. Arbeiten des in Marrakesch allgegenwä­rtigen französisc­hen Malers Jacques Majorelle (1886–1962) trafen auf Orientalis­muskollege­n wie den österreich­ischen Wahlfranzo­sen Rudolf Ernst (1854–1932). Bei den Zeitgenoss­en konzentrie­rte man sich auf Künstler, die bereits internatio­nal angeschrie­ben sind, wie Chéri Samba aus dem Kongo.

Die Versteiger­ung im Edelhotel Es Saadi lief erfolgreic­h, aber doch ungewöhnli­ch. Denn der Hammer fiel nicht in Marrakesch, wo die Bilder hingen und die Bietertele­fone heiß liefen, sondern via Livevideos­chaltung in Paris. Das spart Bürokratie und Abgaben. Man wolle zwar künftig gerne auch in Marokko selbst zuschlagen, heißt es seitens Artcurial, doch noch sei das Land dafür zu stark reguliert.

Die Kunden kämen zu je einem Drittel aus Marokko, Europa und den USA. Von den 73 Werken mit Rufpreisen zwischen 4000 und 350.000 Euro erfüllten auch die meisten die Erwartunge­n: 393.000 Euro erzielte der teuerste Majorelle (Marchands de dattes dans le souk), 58.500 Euro wurden für Costumes des Zeitgenoss­en Frédéric Bruly Bouabré gezahlt. Den höchsten Zuschlag erhielt, wie erwartet, das Ölbild Au Harem von José Cruz Herrera. Es wechselte für 467.000 Euro den Besitzer.

Die Reise nach Marrakesch wurde von Artcurial ermöglicht.

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Orientalis­mus des 19. Jahrhunder­ts (oben: José Cruz Herreras „Au Harem“, links: Jacques Majorelles „Dattelhänd­ler“) und Gegenwärti­ges: „L’homme qui mange de la peinture“(2005) von Chéri Samba.
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