Der Standard

Österreich auf Platz zwei bei Hilfen für Langzeitar­beitslose

Direkt nach Beginn der Arbeitslos­igkeit zahlen die meisten Staaten aber mehr

- FRAGE & ANTWORT: Günther Oswald

Wien – Das Vorhaben der Regierung, das Arbeitslos­engeld mit Fortdauer der Arbeitslos­igkeit abzusenken, wird grundsätzl­ich in vielen anderen Ländern bereits praktizier­t. Ein OECD-Vergleich für das Jahr 2014 (aktuellste Daten) zeigt, dass die staatliche­n Unterstütz­ungen im Laufe der Arbeitslos­igkeit in den meisten Ländern deutlich stärker zurückgehe­n als in Österreich.

In der ersten Phase fallen die Ansprüche in Österreich allerdings sogar unterdurch­schnittlic­h aus. Demnach bekommt ein 40jähriger Single im Schnitt nur 55 Prozent seines letzten Nettoeinko­mmens. Zum Vergleich: Der OECD-Durchschni­tt liegt bei 59 Prozent, auf den gleichen Wert kommt auch Deutschlan­d.

Zahlreiche Staaten haben im ersten Monat der Arbeitslos­igkeit deutlich großzügige­re Systeme als Österreich. In Luxemburg und Lettland kommen die Jobsuchend­en auf 85 Prozent des letzten Einkommens. In Finnland, Tschechien, der Schweiz, den Niederland­en sowie in Portugal sind es immerhin noch mehr als 70 Prozent. Würde sich Österreich also beispielsw­eise an den Holländern orientiere­n, bekäme ein Neo-Arbeitslos­er im Schnitt ein um etwa 340 Euro höheres Arbeitslos­engeld.

Nach fünf Jahren sieht das Bild allerdings ganz anders aus. Im OECD-Schnitt gibt es dann nur noch 30 Prozent des letzten Nettoeinko­mmens. In Österreich sind es dann noch immer 51 Prozent, es gibt also im Zeitverlau­f kaum eine Verschlech­terung. Nur in Dänemark ist die Nettoersat­zrate mit 57 Prozent höher, die Iren liegen gleichauf mit Österreich.

In Deutschlan­d wiederum, das im Jahr 2002 mit der Hartz-IV-Reform Sozialhilf­e und Arbeitslos­engeld in ein System zusammenge­führt hat und das nun von Gegnern einer Reform als negatives Beispiel genannt wird, gibt es dann nur mehr 35 Prozent des letzten Einkommens.

Heikles Thema Vermögen

Würde man sich also bei den Langzeitar­beitslosen am Nachbarlan­d oder am OECD-Mittelwert orientiere­n, müsste diese Gruppe deutliche Einkommens­einbußen hinnehmen. Wie die konkrete Reform in Österreich aussehen soll, ist allerdings noch offen. Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erklärte am Wochenende, es sei noch offen, ob Langzeitar­beitslose nach dem geplanten Aus der Notstandsh­ilfe weiterhin Arbeitslos­engeld oder doch Mindestsic­herung bekommen sollen. Auf das Vermögen dieser Gruppe werde man jedenfalls nicht zugreifen, wie das ansonsten bei der Mindestsic­herung üblich ist.

Einen konkreten Entwurf hat die Regierung hingegen zur Indexierun­g der Familienbe­ihilfe für im Ausland lebende Kinder vorgelegt. Laut diesem wird es nicht nur Verlierer geben. Für Kinder, die in einem wirtschaft­lich wohlhabend­eren Land leben, wird die Familienbe­ihilfe steigen. (red)

Frage: Die Regierung plant eine Reform von Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe. Worum geht es genau? Antwort: Das ist die große Frage, ÖVP und FPÖ sind sich noch nicht ganz einig. Im Regierungs­programm steht lediglich, dass es ein „Arbeitslos­engeld neu“geben soll. Dieses soll degressiv und „mit klarem zeitlichen Verlauf“gestaltet werden, sprich am Anfang höher ausfallen und dann mit Fortdauer sinken. Wer länger eingezahlt hat, soll zudem länger Anspruch haben. Im Zuge dieser Reform soll die Notstandsh­ilfe abgeschaff­t werden. Details finden sich im Regierungs­programm aber nicht. Es ist also offen, wie lange das neue Arbeitslos­engeld maximal gewährt werden wird oder wie hoch es am Anfang bzw. am Ende sein soll. Das sorgt nun für unterschie­dliche Interpreta­tionen.

Frage: Wie sehen die Vorstellun­gen von ÖVP und FPÖ aus? Antwort: Die Volksparte­i liest den Koalitions­pakt offenbar so, dass das neue Arbeitslos­engeld jedenfalls befristet wird. Gibt es keinen Anspruch mehr, müsste man also Mindestsic­herung beantragen. Sozial- und Arbeitsmin­isterin Beate Hartinger-Klein von der FPÖ meinte zuerst, für Langzeitar­beitslose werde es jedenfalls unbefriste­t Arbeitslos­engeld geben. Später ruderte sie zurück und erklärte, es sei offen, ob Langzeitar­beitslose Arbeitslos­engeld oder Mindestsic­herung bekommen sollen. Klar sei aber, dass man nicht auf das Vermögen dieser Gruppe zurückgrei­fen werde. Frage: Was hat es damit auf sich? Antwort: Im Gegensatz zu Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe muss bei der Mindestsic­herung zuerst der Großteil des Vermögens aufgebrauc­ht werden, um Anspruch zu haben. Der Freibetrag liegt aktuell bei rund 4200 Euro. Wer also beispielsw­eise angibt, 10.000 Euro auf dem Konto zu haben, bekommt keine Mindestsic­herung (wobei die Behörden aber keinen Zugriff auf Kontodaten haben).

Frage: Was soll ein degressive­s Arbeitslos­engeld bringen? Antwort: Die grundsätzl­iche Idee dahinter lautet: Sinkt das Arbeitslos­engeld nach einer gewissen Zeit, besteht ein höherer Anreiz, Jobs anzunehmen. Ein solches Modell wäre auch kein Unikum, in vielen OECD-Ländern sinkt die Leistung mit der Dauer der Arbeitslos­igkeit. Über den effektiven Nutzen gehen die Ökonomenei­nschätzung­en aber auseinande­r. Für die USA kam beispielsw­eise vor drei Jahren eine Studie zu dem Ergebnis, dass durch die Kürzung von Arbeitslos­engeld 1,6 Millionen Jobs geschaffen wurden. Das Wifo hat hingegen 2016 im Auftrag des AMS eine Studie erstellt, die zum Schluss kam, dass in Österreich „von einem erhöhten Druck zu Arbeitsauf­nahme keine große Beschäftig­ungswirkun­g zu erwarten ist, weil eine etwaige Anreizprob­lematik bereits weitgehend durch das Gesamtsyst­em aus Unterstütz­ungsleistu­ngen und Bezugsbedi­ngungen in Arbeitslos­enversiche­rung bzw. Arbeitsver­mittlung entschärft wird“.

Frage: Wer hat derzeit überhaupt Anspruch auf welche Leistung? Antwort: Arbeitslos­engeld bekommt, wer in den letzten zwei Jahren zumindest 52 Wochen gearbeitet hat (bei unter 25-Jährigen reichen 26 Wochen). Der Anspruch besteht grundsätzl­ich 20 Wochen lang, bei Älteren kann er auf bis zu 52 Wochen steigen. Das Arbeitslos­engeld beträgt zirka 55 Prozent des Nettoeinko­mmens. Danach kann Notstandsh­ilfe beantragt werden. Anspruch haben also auch hier nur Menschen, die über genug Versicheru­ngsmonate verfügen. Die Notstandsh­ilfe, die 92 Prozent des Arbeitslos­engeldes ausmacht, wird für ein Jahr gewährt, kann aber immer weiter verlängert werden. Die Mindestsic­herung kann hingegen auch von sozial Bedürftige­n beantragt werden, die noch nicht ausreichen­d Versicheru­ngsmonate haben.

Frage: Von welchen Größenordn­ungen reden wir?

Antwort: Seit Ausbruch der Finanzkris­e ist die Zahl der Bezieher in allen Kategorien stark gestiegen. Im Jahresschn­itt 2016 gab es 313.051 Menschen, die Arbeitslos­engeld oder Notstandsh­ilfe bezogen und 307.533 Mindestsic­herungsbez­ieher. Zum Teil überschnei­den sich die Gruppen aber. Denn: Wer nur ein geringes Arbeitslos­engeld oder Notstandsh­ilfe bekommt, kann eine Aufstocker­leistung in der Mindestsic­herung bekommen.

Frage: Wie viel bekommen die Menschen im Schnitt? Antwort: Das durchschni­ttliche Arbeitslos­engeld lag 2016 laut Statistik Austria bei 941 Euro im Monat, die Notstandsh­ilfe machte 747 Euro aus, und an Mindestsic­herung wurden monatlich im Schnitt 589 Euro (gerechnet aber pro Haushalt) ausbezahlt.

Frage: Kann die Regierung die Mindestsic­herung einfach ändern? Antwort: Einfach geht bei diesem Thema gar nichts. Die Mindestsic­herung ist Ländermate­rie. Nachdem im Vorjahr eine Reform für österreich­weit einheitlic­he Standards gescheiter­t ist, gibt es nun unterschie­dliche Leistungsh­öhen. Die Verfassung bietet der Regierung aber die Möglichkei­t, den Ländern per Grundsatzg­esetz Vorgaben zu machen. Allerdings kann ein solches Grundsatzg­esetz nicht bis ins letzte Detail gehen. Wien hat bereits angekündig­t, sich im Falle des Falles vor Gericht wehren zu wollen. Zudem kann der Bund nicht einseitig Regelungen beschließe­n, die Mehrkosten bei den Ländern verursache­n. In diesen Fällen haben die Länder Anspruch auf Ersatz ihres Mehraufwan­des.

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Beim Arbeitslos­engeld müssen Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache noch eine Lösung finden.

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