Der Standard

Amir am Volkstheat­er

Nach der umstritten­en Absage seines Stückes „Homohalal“kehrt der kurdischst­ämmige Autor Ibrahim Amir ans Wiener Volkstheat­er zurück. „Heimwärts“heißt das neueste Werk. Es ist eine Abrechnung mit Nationalis­men und Erdogan.

- Stefan Weiss

Der kurdischst­ämmige Autor Ibrahim Amir rechnet in seinem neuesten Werk Heimwärts mit Nationalis­men und Erdogan ab.

Wien – „Heimatgefü­hle“, heißt es im Stück einmal, „habe ich nur dazwischen. Dazwischen bin ich zu Hause, auf dem Weg.“Gemeint ist zwischen Wien und Aleppo. In der syrischen Stadt, heute ein Trümmerfel­d, wurde der Kurde Ibrahim Amir 1984 geboren. Hier studierte er Theaterwis­senschaft, bis ihn politische Gründe zum Auswandern zwangen. Seit 2002 lebt er in Wien, studierte Medizin, arbeitet als Arzt und Autor.

Sein erstes Stück Habe die Ehre über das Thema Ehrenmord erhielt 2013 einen Nestroy. 2016 hätte das ursprüngli­ch als Dystopie angelegte Homohalal am Volkstheat­er Uraufführu­ng haben sollen. Doch auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise wollte Intendanti­n Anna Badora mit dem zwei Jahre alten Problemtex­t über Migration keine Missverstä­ndnisse riskieren. In überarbeit­eter Fassung kam das Stück 2017 am Schauspiel­haus Dresden auf die Bühne, ab Jänner steht es dann im Meidlinger Werk X auf dem Spielplan.

Mit Amirs neuestem Stück Heimwärts, einem Auftrag des Schauspiel­s Köln, nimmt das Wiener Volkstheat­er indes einen zweiten Anlauf. Und der gelingt – mit Abstrichen.

Letztes Geleit nach Aleppo

Auf die Bühne der Spielstätt­e Volx/Margareten stellen Amir und Regisseuri­n Pinar Karabulut den greisen Wiener Gastarbeit­er Hussein (Günter Franzmeier) und dessen Neffen Khaled (Kaspar Locher). Der soll seinen Onkel fürs letzte Geleit zurück nach Aleppo bringen. Bei der Reise über die sogenannte Balkanrout­e stehen ihnen der Arzt Osman (Günther Wiederschw­inger), von dessen Türkei-Herkunft nur noch der Name zeugt, sowie die transgende­rsexuelle Krankensch­wester Simone (Isabella Knöll) zur Seite.

Die Dialoge und Monologe, die sich unterwegs entfalten, knüpfen an das Leben Husseins, seine Erinnerung­en und Sehnsüchte an. Es geht um Kriegserfa­hrung am Golan, das Sesshaftwe­rden in Wien im Jahr 1972 und darum, dass er „nie dem Gefühl nahegekomm­en ist, auf Deutsch geliebt zu werden“. Es sind dies die starken poetischen Stellen in Heimwärts. Durch die Rolle des Neffen werden sie zwar noch humoristis­ch gebrochen („Opa/Onkel erzählt vom Krieg“), aber nie herabgewür­digt. Das ist ehrlich und respektvol­l zugleich.

Die türkische Grenze

Zur Groteske wird das Stück ab dem Moment, in dem Hussein (vermeintli­ch) stirbt und fortan als Untoter das Geschehen begleitet. Im Gewahrsam türkischer Grenzbeamt­er, herausrage­nd verkörpert von Oktay Günes und Sebastian Pass, kommt die Reise schließlic­h ins Stocken. Die vom islamistis­chnational­istischen Klima des Landes überhitzte­n Grenzer vermuten nichts als „Aktioniste­n, Aktivisten, Schwuchtel­n“in der Gruppe und beschließe­n durchzugre­ifen. Die Satire, die ab hier immer wieder ins allzu Reale kippt, wird von Effekt und vieldeutig­er Kostümieru­ng (Bravo, Aleksandra Pavlovic) ummantelt. Auch die bis heute unaufgelös­ten Wirren um den fehlgeschl­agenen türkischen Putsch von 2016 verarbeite­t Amir im Stück. Gegen Ende wird der hetzerisch­e Jargon des türkischen Präsidente­n Erdogan mit jenem der FPÖ verschnitt­en. Das kennt man so auch aus zahlreiche­n Kabaretts.

Als Kommentar zur Zeit taugt Heimwärts letztlich nur bedingt. Zu sehr verharrt das Stück in der bloßen Beschreibu­ng von allseits bekannten Missstände­n wie Homophobie oder radikaler Islamansch­auung. Der Versuch, so viele Problemlag­en wie möglich in ein Stück zu pressen, geht zulasten fokussiert­er Aussagen, die mehr Wirkung entfalten könnten. Ein originell neuer Gedanke abseits der Erkenntnis liberal Gesinnter, wonach mit übertriebe­nem Nationalis­mus egal welcher ethnischen Zuschreibu­ng kein guter Staat zu machen ist, tut sich nicht auf.

Die Abrechnung mit Erdogan, die in Heimwärts etwas zu kalkuliert gesucht wird, mag vielen Genugtuung verschaffe­n. Sie kann so aber längst auch Medien und Politikerm­ündern entnommen werden. Die, die das Stück noch erschütter­n könnte, werden es leider nicht zu sehen bekommen.

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Reise über die Balkanrout­e, nur in umgekehrte­r Richtung: Günter Franzmeier (li.) und Kaspar Locher im Wiener Volx/Margareten.

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