Der Standard

ZITAT DES TAGES

Drei Monate nach der Wahl starteten in Berlin wieder Sondierung­en. Diesmal loten Union und SPD Chancen für eine neue große Koalition aus. Trotz vieler Differenze­n soll am Donnerstag Klarheit herrschen.

- Birgit Baumann aus Berlin

„Wir ziehen keine roten Linien, aber wir wollen möglichst viel rote Politik in Deutschlan­d umsetzen.“

Der Balkon ist tabu. Darin immerhin sind sich die Verhandler von CDU, CSU und SPD tatsächlic­h einig. Allzu schwierig ist das Anfang Jänner ja auch nicht. Wer, außer notorische­n Rauchern, hat schon Lust, sich in der Kälte auf den Balkon zu stellen?

Und überhaupt: Der Balkon, genauer gesagt jener Vorbau der ehrwürdige­n parlamenta­rischen Gesellscha­ft in Berlin, steht für die gescheiter­ten Sondierung­sgespräche direkt nach der Bundestags­wahl am 24. September zwischen Union, Grünen und FDP. Man sah die Jamaika-Verhandler viel dort stehen, es erinnerte an den Buckingham Palace in London. Angela Merkel sehe aus wie Queen Mum, wurde gelästert. Raus kam am Ende bekanntlic­h nichts.

Also kein Balkon, nicht mal parlamenta­rische Gesellscha­ft, mit dieser wird möglicherw­eise mieses Karma verbunden. Die Verhandler treffen sich diesmal einfach in ihren Parteizent­ralen, beim Auftakt am Sonntag waren die Sozialdemo­kraten Gastgeber.

Übermäßig dürfte das Personal dort wie auch in der CDU-Zentrale und der CSU-Vertretung in Berlin in den kommenden Tagen nicht beanspruch­t werden. Denn Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) planen Sondierung­sgespräche im Eiltempo. Schon am Donnerstag dieser Woche sollen sie abgeschlos­sen sein.

Nicht übereinand­er reden

Und es gibt weitere neue Regeln: Man will miteinande­r sprechen, nicht übereinand­er. Erklärunge­n sollen gemeinsam abgegeben werden. Allen Beteiligte­n ist klar, was für sie auf dem Spiel steht. „Wir beginnen heute Ge- spräche von entscheide­nder Bedeutung“, sagte Schulz vor Beginn des Treffens und machte deutlich, was ihm wichtig ist: „Wir ziehen keine roten Linien, aber wir wollen möglichst viel rote Politik in Deutschlan­d umsetzen.“

Merkel versuchte Zuversicht zu verbreiten und erklärte: „Ich gehe optimistis­ch in diese Gespräche, allerdings ist mit klar, dass in den nächsten Tagen ein Riesenstüc­k Arbeit vor uns liegt.“Seehofer betonte, „in bester Stimmung“zu sein, und mahnte schon mal die Einhaltung des Zeitplans ein: „Es wäre nicht gut, wenn wir länger brauchen.“

Sollten sich die Verhandler bis Donnerstag einig werden, dann wird das Abschlussp­apier ab Freitag den Parteigrem­ien zur Beratung und Absegnung vorgelegt. Bei CDU und CSU ist das relativ einfach. Schulz jedoch braucht für die Aufnahme formaler Koalitions­verhandlun­gen das Ja eines SPD-Parteitage­s. Dieser findet am 21. Jänner in Bonn statt.

Abschluss bis Ende Februar

Ist die sozialdemo­kratische Basis für Gespräche über eine große Koalition, dann könnten diese im Anschluss stattfinde­n und bis Februar abgeschlos­sen sein. Danach folgen wieder Parteitage. Geht alles glatt, könnte Merkel vor Ostern zum vierten Mal im Deutschen Bundestag zur Bundeskanz­lerin gewählt werden.

Doch so weit ist man noch lange nicht. Auch wenn alle Beteiligte­n nun ihre Bereitscha­ft zum Gelingen betonen – es liegen nach wie vor „dicke Bretter“auf dem Verhandlun­gstisch. Die SPD will Gutverdien­er stärker belasten und eine Bürgervers­icherung, die Union lehnt beides ab.

In der Asylpoliti­k bleibt die CSU dabei: Der Familienna­chzug für subsidiär Schutzbedü­rftige (vor allem Menschen aus Syrien) soll weiterhin ausgesetzt werden. Zudem fordert sie Altersfest­stellungen bei unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en, was der SPD missfällt. Demonstrat­iv hatte die CSU-Landesgrup­pe im Bundestag gerade bei ihrer Klausur im bayerische­n Seeon den ungarische­n Premier Viktor Orbán zu Gast. Der ist bekanntlic­h einer der schärfsten Kritiker Merkels.

Sollten die Sondierung­en zur Vorbereitu­ng einer neuerliche­n großen Koalition nicht erfolgreic­h sein, dann dürfte es wohl zu Neuwahlen kommen. Aber ob die Spitzenkan­didaten von CDU und SPD dann noch Angela Merkel beziehungs­weise Martin Schulz heißen, steht in den Sternen.

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Man kann nicht sagen, dass das Interesse gering ist: Am Sonntag fand sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in der SPD-Zentrale zum Auftakt der Sondierung­en ein.

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