Der Standard

Das „sehr stabile Genie“holt zum Rundumschl­ag aus

Nachdem in „Fire and Fury“die Eignung Donald Trumps als US-Präsident infrage gestellt wurde, verteidigt­e er sich via Twitter und bezeichnet­e sich „nicht nur als schlau, sondern als Genie“. Autor Michael Wolff erntet für seine Arbeit viel Lob, aber auch Kr

- Frank Herrmann aus Washington

Normalerwe­ise ist sie der ideale Rückzugsor­t, die Waldsiedlu­ng Camp David in Maryland. Ein Ort zum Nachdenken, für Klausuren am Kamin, ein Refugium, in dem amerikanis­che Präsidente­n innere Ruhe finden sollen. Eigentlich wollte sich Donald Trump am Wochenende ins Idyll Camp Davids zurückzieh­en, um mit den Spitzen der Republikan­er die Meilenstei­ne fürs angebroche­ne Jahr abzustecke­n. Dann aber ließ er ausgerechn­et aus dem stillen Blockhütte­nambiente den nächsten Twitter-Sturm über die Welt hereinbrec­hen.

Von wegen, er sei mental nicht stabil, wie ihm der Journalist Michael Wolff unterstell­e. Er sei ein überaus erfolgreic­her Geschäftsm­ann gewesen und später ein Fernsehsta­r, bevor er es im ersten Anlauf ins Weiße Haus geschafft habe. „Ich denke, das dürfte mich nicht nur als schlau, sondern als ein Genie qualifizie­ren. Noch dazu als sehr stabiles Genie“, schrieb der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten.

Debatte um Impeachmen­t

Ob Trump von der Psyche her in der Lage ist, ein Land zu regieren, auf diese Frage läuft im Grunde alles hinaus, was der New Yorker Reporter für sein Buch Fire and Fury zusammenge­tragen hat. Im Hintergrun­d schwebt der 25. Zusatzarti­kel zur Verfassung, der regelt, wie der erste Mann im Staat abgesetzt werden kann, falls das Kabinett zu dem Schluss gelangt, dass er seine Amtspflich­ten nicht mehr zu er- füllen vermag. Wolff zeichnet das Bild eines Staatschef­s, der nicht nur egozentris­ch und impulsiv ist, sondern dem auch die nötige Neugier fehlt, um sich kniffligen Sachfragen zu widmen.

Als Kronzeugin kommt Katie Walsh zu Wort, für kurze Zeit Vize-Stabschefi­n des Weißen Hauses, ein Name, der allenfalls Insidern etwas sagt. Man habe versucht, die plötzliche­n Einfälle Trumps in ein Programm zu übersetzen, wird Walsh zitiert. Es sei ein Prozess voller Rätselrate­n gewesen, „als wollte man herausfind­en, was ein Kind möchte“.

Der Präsident als Kindskopf: Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv durch Wolffs Erzählung. Ausnahmslo­s jeder, mit dem er gesprochen habe, teile diesen Eindruck, fasste es der Autor zusammen. „Sie alle sagen, er benimmt sich wie ein Kind. Was sie damit meinen, ist, dass er den Drang nach unverzügli­cher Belohnung verspürt. Es dreht sich alles nur um ihn.“

Trump lese allenfalls Überschrif­ten und Artikel, die sich mit ihm beschäftig­ten, dazu vielleicht noch die Klatschkol­umne auf der sechsten Seite der New York Post, eines Boulevardb­latts, schreibt Wolff. Umso ausgiebige­r sehe Trump fern und telefonier­e mit seinen Freunden. Von diesen Freunden, scheint es, hat mancher weitergetr­atscht, was ihnen der Milliardär in seinem Frust anvertraut­e. Die meisten leben in New York, reiche Männer, illustre Dinner-Runden. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie sich die Episoden in den besseren Kreisen der Stadt fortpflanz­ten, bis sie irgendwann bei Wolff landeten. Die Hauptquell­e aber dürfte Steve Bannon gewesen sein, der Rechtspopu­list, der Trump von August 2016 bis August 2017 als Wahlkampfm­anager und Chefstrate­ge diente und sich für seine Entlassung rächte, indem er munter aus dem Nähkästche­n plauderte.

Bannon äußerte sich am Sonntag recht eigenwilli­g zu der Affäre. Er bedauere die Auswirkung­en seiner Bemerkunge­n und bekundete laut Webseite Axios „unerschütt­erliche Unterstütz­ung“für den US-Präsidente­n und dessen Agenda. Seine Äußerungen und insbesonde­re die Kritik an einem Treffen von Trump-Sohn Donald Jr. mit einer russischen Anwältin bestritt Bannon aber nicht.

Kritik an Ungenauigk­eit

Dann wären da noch die Fehler, die dem Verfasser Michael Wolff unterliefe­n, einem Journalist­en, der bekannt ist für einen flüssigen Erzählstil, aber eben auch dafür, dass er manches ausschmück­t, ohne sich exakt an die Details zu halten. In einer Passage beschreibt er, wie dem Präsidente­n in spe geraten wird, John Boehner, den ehemaligen Vorsitzend­en des Repräsenta­ntenhauses, als Cheforgani­sator in die Machtzentr­ale zu holen. „Wer ist das denn?“, soll Trump gefragt haben, was wenig glaubwürdi­g klingt, zumal er zu jener Zeit mit Boehner schon des Öfteren Golf gespielt hatte.

Es sind Schnitzer wie diese, die den Publicity-Pulk des Weißen Hauses von einem Kompendium der Lügen sprechen lassen, während unabhängig­e Köpfe betonen, dass Wolff trotz manchen Schönheits­fehlers eines gelungen sei: den Kern der Sache zu treffen. Wie sonst lasse sich erklären, dass Donald Trump dermaßen gereizt reagiert?

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Das Buch „Fire and Fury“sorgt für viel Aufsehen – und befeuert eine Diskussion über eine mögliche Amtsentheb­ung Donald Trumps.

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